Wandlung per Bildschirm?
Priesterlose Gottesdienste? - Einspruch!
Wandlung per Bildschirm?
Priesterlose Gottesdienste? - Einspruch!
Ein STAND.PUNKT von Prof. Jan-Heiner Tück
Der politische Imperativ der Kontaktvermeidung in Zeiten der Corona-Krise trifft die Kirche hart. Sie ist vom griechischen Begriff "ekklesia" her die Gemeinschaft derer, die sich mit Leib und Seele "herausrufen" lassen, um das Wort Gottes zu hören und die Gegenwart Christi in der Eucharistie zu feiern. Nun aber haben die Bischöfe in Abstimmung mit den staatlichen Organen alle öffentlichen Gottesdienste ausgesetzt. Selbst die österliche Liturgie der drei Tage auf dem Petersplatz ist abgesagt worden.
Im Resonanzraum des entschleunigten Lebens hallen nun Stimmen, die eine Wandlung per Bildschirm, eine Beichte per Telefon oder gleich priesterlose Hausgottesdienste empfehlen. Statt im Gespräch mit den Bischöfen die Lage zu beraten und nach vertretbaren Lösungen in der Notlage zu suchen, hat der Wiener Pastoraltheologe Johann Pock die Richtlinien der Österreichischen Bischofskonferenz als "vertane Chance" kritisiert und mit Verweis auf die Taufberufung der Gläubigen indirekt die Wandlung von Brot und Wein zuhause mit oder ohne Bildschirm nahegelegt. Auch wenn die Aussage kalkuliert unscharf gehalten und möglicherweise sogar ironisch gemeint war, so provoziert sie doch Rückfragen. Noch weiter geht freilich der Vorstoß des Moraltheologen Daniel Bogner (Freiburg/Schweiz), der schon in seiner Schrift "Wir lassen uns die Kirche nicht kaputt machen!" eine Rhetorik des Revolutionären pflegte. Er ragt mit seinem Votum für ein "kultisches Gedächtnismahl ohne Geweihte" aus dem polyphonen Konzert der Stimmen heraus.
Zur Rolle des Priesters
Biblische Vorgaben und theologische Normierungen der Tradition können dabei nicht einfach übersprungen werden. Historisch-kontingente Faktoren, die in ihre Genese hineinspielen, sind nicht der Grund ihrer Geltung – diese wird im Glauben an das Wirken des Geistes in der Kirche Gottes angenommen, was nicht ausschließt, dass diese Normierungen je neu auslegungsbedürftig sind. Das priesterliche Amt jedenfalls hat seine Fundierung in der Sendung durch Christus. Wie Jesus nicht im eigenen Namen, sondern im Namen Gottes, des Vaters, gesprochen hat, wie er der Sohn ist, weil er vom Vater gesandt wurde, so sind auch die Zwölf nicht aus sich selbst Apostel, sondern weil sie durch Christus berufen und gesandt wurden. "Wir sind also Gesandte an Christi statt, und Gott ist es, der durch uns mahnt" (2 Kor 5, 20).
Das Kollegium der Zwölf, aber auch Paulus, der durch den erhöhten Christus zum Apostel berufen wurde, haben durch Handlauflegung und Gebet die apostolische Sendung an geeignete Amtsträger weitergegeben (vgl. Apg 6,6; 13,3; 14,23; 1 Tim 4,14; 2 Tim 1,16). An dieses Zeichen ist die sakramentale Ordination auch heute gebunden. Die Weitergabe der apostolischen Sendung hat sich früh ausdifferenziert in die zunächst noch elastische dreigliedrige Ämter-Struktur von Bischöfen, Presbytern und Diakonen. Der Bischof steht für die Einheit der Ortskirche, die ihrerseits in einem Netz bischöflich verfasster Ortskirchen verankert ist. Das bildet die Grundstruktur der Communio-Ekklesiologie der Alten Kirche, die in der Geschichte der Kirche diverse Transformationen erfahren hat. Nach und nach kristallisierte sich heraus, dass die Spendung der Sakramente der Eucharistie und der Buße, aber auch der Krankensalbung, an die Priesterweihe gebunden ist. Ein Beispiel für eine Selbstermächtigung von Laien zur Feier der Eucharistie findet sich nirgends – auch in Krisenzeiten nicht.
Prof. Jan-Heiner Tück, Universität Wien
Das sakramentale Prinzip der Ordination ist Ausdruck des Gabe-Charakters der Sakramente. Dieses wird ausgehöhlt, wenn nun im Namen der Krisenbewältigung ein „kultisches Gedächtnismahl ohne Geweihte“ gefordert wird.
Eine solche Forderung ist traditionsvergessen, latent spaltungsträchtig und ökumenisch problematisch. Sie ist zunächst traditionsvergessen, weil in der Überlieferung der katholischen Kirche die Feier der Eucharistie an einen ordinierten Bischof oder Priester gebunden ist, der die Konsekrationsworte über Brot und Wein im Zusammenhang des eucharistischen Hochgebets nicht im eigenen, sondern im Namen Jesu Christi spricht. Sie ist sodann latent spaltungsträchtig, weil mit der Empfehlung von "Do-it-yourself"-Messen der Weg in frei flottierende, um nicht zu sagen sektiererische Formen des Christentums beschritten wird. Die zustimmungsheischende Absage an einen "Retrokatholizismus" kippt hier um in einen "Turbokatholizismus", der – gut dialektisch – den Traditionsbruch als fälligen Akt der Glaubensweitergabe empfiehlt, ohne schon absehen zu können, wohin das alles führen soll.
Die Traditionalisten jedenfalls werden genüsslich applaudieren und sich bestätigt fühlen, wenn katholische Theologen nach dem II. Vatikanischen Konzil im beschleunigten Reformeifer aus den Bahnen der Tradition ausscheren. Die in der Tat "revolutionäre" Forderung nach priesterlosen Hausmessen würde der Kritik zweifellos Recht geben.
Soll die Corona-Krise als "Reformkatalysator" missbraucht werden?
Die Forderung ist schließlich auch ökumenisch problematisch. Denn nicht nur in der katholischen Kirche und den bischöflich verfassten Kirchen des Ostens, auch in den Reformationskirchen (vgl. Confessio Augustana XIV; Calvin, Institutio IV, 3 u. 10) ist die Feier des Herrenmahls in der Regel an die Ordination gebunden, selbst wenn die Reformatoren ein priesterliches Amt nicht kennen. Die Ordination des Amtsträgers steht für das "extra nos" des Heils, das abgeflacht wird, wenn jeder selbst tätig werden kann, wenn er seine eucharistischen Bedürfnisse stillen will.
Man wird am Ende den Verdacht formulieren müssen, dass das temporäre Versammlungsverbot in der Corona-Krise als Reformkatalysator instrumentalisiert wird. Die Debatte ist – bei aller berechtigten Kritik am Klerikalismus – nicht selten auch von antiklerikalen Affektlagen geleitet, die die Wertschätzung für den Dienst der allermeisten Priester vermissen lässt.
Anstatt dankbar anzuerkennen, dass Priester den Laien geben können, was diese sich nicht selbst zu geben vermögen, werden Messfeiern ohne Gläubige nicht nur als priesterzentriert kritisiert, sondern auch als vorkonziliar diffamiert.
Jeder, der die Dokumente des II. Vatikanischen Konzils aufmerksam gelesen hat, weiß, dass diese Kritik nicht zutrifft. Gewiss, eine "missa sine populo" ist suboptimal, sie sollte nicht der Regelfall sein, sie ist aber sowohl liturgietheologisch wie kirchenrechtlich möglich, zumal auch solche Messen "ein Akt Christi und der ganzen Kirche" sind (Presbyterorum Ordinis 13). Die Polemik gegen "Privatmessen" mündet jedenfalls in eine erstaunliche "Privatisierung" der Messe, wenn forsch gefordert wird, dass jeder Mann und jede Frau im Wohnzimmer selbst die Eucharistie feiern können soll. Mit der Lizenz zu selbstfabrizierten Gottesdiensten mag für die einen der Traum einer demokratisierten Kirche näher rücken, für andere sind solche Formen einer wildwüchsigen Partizipation von unten der blanke Albtraum.
Die Lektion der gegenwärtigen Krise ist, so hat es der Philosoph Slavoj Zizek soeben in der NZZ formuliert, dass wir nicht souverän sind. Das gilt für die Politik, die Ökonomie, die Gesellschaft und auch die Kirche. Wie können wir, die wir so gerne Herr der Lage sind, mit Ohnmachtserfahrungen umgehen?
Geduld ist gefragt
Aus der Umtriebigkeit der Corona-Blogs und Kommentare spricht bei aller Sorge um die Zukunft der Kirche vielleicht auch eine Unfähigkeit zu warten und die Unterbrechung der Normalität als Anstoß zur Nachdenklichkeit zu nehmen. Jedes spirituelle Bedürfnis soll sofort gestillt werden. Die konsumistischen Imperative des Warenkapitalismus sind aber nicht auf die Kirche übertragbar. Die Not ist eine Not – und sie sollte als solche auch ausgehalten und nicht kaschiert werden. Die Teilnahme an einer Live-Stream-Messe ist nicht die persönliche Teilnahme an einer realen, die Beichte am Telefon keine reale, sie wäre auch nicht gültig.
Sakramente sind an körperliche Präsenz gebunden, keine Taufe ohne Wasser, keine Firmung ohne Chrisam, keine Eucharistie ohne Brot und Wein. Das lässt sich nicht überspringen.
Könnte die Mangelerfahrung aber nicht auch eine Sehnsucht wecken und eine neue Kultur der Gastfreundschaft für das Heilige hervorrufen? Eine heilsame Unterbrechung routinierter Frömmigkeitspraktiken, die bewusst macht, dass etwas fehlt, wenn die Eucharistie fehlt oder der Zugang zum Bußsakrament nicht möglich ist? Die Gottesdienste, die jetzt nicht stattfinden können, sind ja in der Regel schlecht besuchte Gottesdienste. Das gemeinsame Priestertum der Gläubigen – ein Reformpotential, das jetzt aufgerufen wird, um den Laien Kompetenzen von Klerikern zu übertragen – hat vielfältige Möglichkeiten. Praktisch den Dienst, für ältere Nachbarn die Einkäufe zu besorgen oder Menschen, die alleinstehen, durch einen Brief oder einen Anruf ein Zeichen der Zuwendung zukommen zu lassen.
Die Fokussierung auf die Eucharistiefeier lässt überdies fast vergessen, dass es plurale Formen der Frömmigkeit gibt, in denen sich der Glaube ausdrücken kann. Warum nicht die Partitur der Psalmen wiederentdecken? Warum nicht in die Stille gehen? Warum nicht vor dem Allerheiligsten in einem leeren Kirchenraum verweilen? Warum nicht verbunden mit der ganzen Kirche das Stundengebet beten – und sich die Sterblichkeit, Fehlbarkeit und Verwundbarkeit menschlicher Existenz vor Augen führen? Wir sind nicht souverän, aber wir haben die Sprache – und können in der Stunde der nächtlichen Einsamkeit sprechen, die Komplet mitsprechen, uns einander zusprechen: "Herr, auf dich vertraue ich, in deine Hände lege ich mein Leben."
Prof. Dr. Jan-Heiner Tück lehrt Dogmatik und Dogmengeschichte an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien.
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