mein STAND.PUNKT
Hunger: Ein Skandal!
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Hunger: Ein Skandal!
Ein STAND.PUNKT von DDr. Michael Landau
Ich war vor wenigen Wochen im Norden Kenias, und obwohl ich schon einiges gesehen habe, bin ich tief erschüttert. Abgemagerte Kinder, viel zu schwach und viel zu klein für ihr Alter. Verzweifelte Mütter und Väter. Verendete Tiere und vertrocknete Ernten.
22,9 Millionen Menschen sind in Ostafrika von einer akuten Hungerkrise betroffen, 22,9 Millionen Menschen, die in Kenia, Äthiopien, Uganda, Südsudan und Somalia leben. Nicht mitgerechnet die vielen Opfer der Hungerkrisen in Jemen oder Nigeria. Grund sind zum einen Konflikte, wie im Südsudan und Somalia, zum anderen die anhaltende Dürre in weiten Teilen Kenias, Äthiopiens, Burundi, Uganda, Sudan und Dschibuti. In diesen Ländern sind im Jahr 2016 die beiden lebenswichtigen Regenzeiten beinahe gänzlich ausgefallen, und auch heuer hat es bisher kaum geregnet.
Vor allem für Kinder und ältere Menschen geht es um Leben und Tod. Mangelernährung verhindert, dass Kinder wachsen und sich gut entwickeln können. Oft bleiben dann körperliche, geistige und seelische Schäden. Wer permanent Hunger hat, wird öfter krank, kann in der Schule nicht lernen, hat keine Kraft.
Hunger ist kein Schicksal, Hunger ist ein Skandal
Weltweit sind genügend Nahrungsmittel verfügbar, dennoch sind fast 800 Millionen Menschen chronisch unterernährt. Alle 10 Sekunden stirbt weltweit ein Kind an Hunger oder seinen Folgen, jährlich 3 Millionen Kinder.
Und es sind dies für mich Bilder, die sich ins Gedächtnis einbrennen: Die viel zu kleinen Körper der Kinder, die Gesichter mit großen, alten, traurigen Augen, die stille Verzweiflung der Mütter. So lange auf dieser Welt Kinder an Hunger sterben, haben wir als Gesellschaft versagt. Eine Einsicht, die in solchen Augenblicken ganz klar und gleichzeitig beklemmend wird. Wie auch die Erfahrung: Hilfe ist möglich! Und es kommt dabei auf jede und jeden Einzelnen an.
Ich bin überzeugt: In einer zusammenwachsenden Welt brauchen wir auch eine Globalisierung des Verantwortungsbewusstseins und der Solidarität. Solidarität im Weltmaßstab, nicht nur für den Hausgebrauch. Es liegt auch an uns, wie diese Welt aussieht. Auch wenn es keine einfachen Antworten gibt: Oft reicht es, ein Stück bewusster zu leben. Und daran zu glauben, dass das Gemeinsame letztlich stärker ist als das Trennende, dass das "Wir" mehr bewirken kann, als jeder und jede von uns alleine, dass Hilfe größer ist als Hunger. Denn letztlich sind wir weltweit in eine Schicksalsgemeinschaft gestellt, aus der sich keiner davonstehlen, aus der aber auch keine und keiner ausgeschlossen werden darf.
Die Caritas setzt dabei die Schwerpunkte in Landwirtschaftliche Entwicklung, Vorsorge für Menschen in ökologisch und klimatisch anfälligen Gebieten, Anwaltschaft für die Hungerbekämpfung und das Recht auf Nahrung, sowie Trainings in nachhaltiger Landwirtschaft und Nutztierhaltung. In den langfristigen Programmen zur Ernährungssicherheit konzentriert sich die Caritas Österreich auf die ärmsten Bauern- bzw. Nomadenfamilien in ihren langjährigen Schwerpunktländern und in der Nothilfe auch in betroffenen Gebieten, wie zum Beispiel in Kenia. Wir tun dies als Teil der internationalen Caritasfamilie, weil gemeinsam mehr erreicht werden kann. Und auch Bildung ist immer ein wichtiges Thema, denn es geht stets auch um langfristige Perspektiven, um Hilfe zur Selbsthilfe und das Ziel eines selbstbestimmten Lebens.
UN-Ziele als Masterplan für eine gerechtere Welt
Seit 2016 gelten die insgesamt 17 Sustainable Development Goals. Die Staatengemeinschaft hat es sich zum Ziel gesetzt, bis 2030 etwa akute Armut und Hunger zu beseitigen. Die Halbierung ist mit den Millenniumentwicklungszielen bis 2015 schon gelungen. Die SDGs, der Masterplan für weltweite soziale Gerechtigkeit, müssen viel mehr Aufmerksamkeit bekommen. Das SDG 2 zielt auf die Beseitigung von Hunger ab. Entwicklungszusammenarbeit ist ein wichtiger Baustein, die Ziele zu erreichen.
Aber genauso wichtig wird es sein, in anderen Bereichen Veränderungen zu initiieren: die Europäische Agrarpolitik wird gerade neu definiert, um nur ein Beispiel zu nennen. Die Subventionspolitik der Europäischen Union sollte dahin geändert werden, dass billige Agrarexporte aus der EU die lokale Produktion in afrikanischen Ländern nicht länger gefährden. Oder ob es weiterhin, so wie bisher, Subventionen für Agrotreibstoffe geben soll, müsste überdacht werden. Die Herstellung von Agrotreibstoffen steht in dramatischem Zusammenhang mit Landgrabbing gerade in den Ländern Afrikas und damit in Konkurrenz zur dortigen Nahrungsmittelproduktion.
Glockenläuten gegen den Hunger
Als Caritas, als Kirche, wollen wir nun ein starkes Signal setzen: Am Freitag, dem 28. Juli, um 15 Uhr, läuten die Kirchenglocken einem gemeinsamen Beschluss der Österreichischen Bischöfe folgend in ganz Österreich fünf Minuten lang. In der Sterbestunde Jesu erinnert das Läuten der Glocken daran, dass aktuell Millionen Menschen vom Hungertod bedroht sind. Gleichzeitig werden die Österreicherinnen und Österreicher damit zum aktiven Engagement gegen den weltweiten Hunger aufgerufen.
Nicht zuletzt dank der treuen und engagierten Hilfe so vieler privater Spenderinnen und Spender erhalten betroffene Menschen überlebensnotwendige Nahrungsmittel und Trinkwasser. Langfristig sollen die Lebensgrundlagen der Menschen, also ihr Nutztier und Ackerland, geschützt und gestärkt und auch Perspektiven geschaffen werden: in nachhaltiger Landwirtschaft, Bewässerung, Schule und Bildung.
Es macht betroffen, Menschen zu sehen, die Hunger leiden. Aber nehmen wir das als einen Auftrag an jede und jeden Einzelnen an, einen Beitrag für die Menschen in Not zu leisten. Ich habe gesehen: Die Hilfe kommt an. Sie rettet Leben, schenkt Hoffnung, schafft Perspektiven und gibt Menschen Zukunft. Werden wir zu Anwälten von all jenen Menschen, die nicht für sich selbst Hilfe erbitten können! Wir haben heute die Fähigkeiten, Mittel und Möglichkeiten, um den Hunger in der Welt zu beseitigen - wir müssen es nur tun! Danke für Ihre Unterstützung!
DDr. Michael Landau ist Caritasdirektor der Erzdiözese Wien und seit 2013 auch Präsident der Caritas Österreich (www.caritas.at)
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