mein STAND.PUNKT
Kanarienvögel
im shitstorm
mein STAND.PUNKT
Kanarienvögel
im shitstorm
Ein STAND.PUNKT von Prof. Dr. Martin Dürnberger
Vielleicht ist die Kirche ja ein Kanarienvogel. Kanarienvögel waren bekanntlich jene Tiere, mit denen Grubenarbeiter sogenanntes böse Wetter aufspürten – gefährliche Gasgemische unter Tage, die zum Tod führen. Kippte das Vögelchen von der Stange, war Gefahr im Verzug – und Rückzug geboten. Wer die steile These nicht scheut, kann Kirche so verstehen: An ihr lassen sich oft ein wenig früher Herausforderungen sehen, die etwas später gesellschaftlich durchschlagen.
Die Erosion traditioneller Bindungskräfte, Überalterung, die Erschöpfung institutioneller Autoritäten, der demographische Wandel in Sachen Migration, die große Ermüdung der Mittelschicht – all das konnte die wache Kirchgängerin schon früh in ihrer Gemeinde wahrnehmen, wie einen Vorboten größerer Debattenlagen.
Das gilt auch für ein Problem, das neuerdings durch die digitale Transformation der Medien hochgespült wird: das Problem der Glaubwürdigkeit. Was einst ein Standardvorwurf gegen Kirche war ("Das ist doch unglaubwürdig" bzw. härter: "Ihr seid unglaubwürdig!"), ist in Zeiten von Lügenpresse-Rufe und fake news-Tweets ein gesamtgesellschaftliches Problem.
Die Implosion von Glaubwürdigkeit betrifft politische Parteien, Gewerkschaften, die Ärzteschaft, die Medien und andere mehr. Natürlich ist dem Gutes ab zu gewinnen, nämlich ein Schub kritischen Bewusstseins. Aber auch kritisches Bewusstsein kann bekanntlich hohl sein, bloße Deko fürs eigene Identitätsnarrativ: Kritischer Geist verkommt dann zum Asset in Twitter-Bios.
Prof. Dr. Martin Dürnberger lehrt an der Theologischen Fakultät der Universität Salzburg und leitet die "Salzburger Hochschulwochen" |
Im Internet findet eben nicht nur jede Wahrheit einen Mutigen, der sie ausspricht, sondern auch jede Idiotie einen Deppen, der sie ins Netz raunt – und damit auch noch Distinktionsgewinne schindet. All das reicht in die Nervenzentren unseres Zusammenlebens: Wer ist vertrauenswürdig? Welchen Infos kann man trauen? Welche Kanäle sind glaubwürdig? Überhaupt: Wem glauben? Das ist keine theoretische Frage, die theoretisch bearbeitet werden kann, sondern ein praktisches Problem.
Wie soll man es angehen? Glaubwürdigkeit und Vertrauen lassen sich nicht verordnen, höchstens erarbeiten – jede und jeder, der kirchlich identifiziert wird, weiß das; zugleich kann es jeder Fehler und Skandal neu herausfordern.
Aber dass es mühsam ist, heißt nicht, dass es aussichtslos ist – denn auch das ist eine Erfahrung der Kirche. Ihre Glaubwürdigkeit mag immer wieder erschüttert werden, aber sie blüht auch immer wieder unerwartet neu auf – und das gilt auch jenseits der Kirche, es ist auch gesamtgesellschaftlich wahr: Es ist kein Naturgesetz, dass Unterstellungen und Hasspostings im Netz das letzte Wort haben.
Solcher Fatalismus stünde gerade auch der Kirche nicht gut an. Sie soll, wie man Don Boscos ornithotheologischen Rat ins Digitale übersetzen kann, unbekümmert das tun, was jedem Kanarienvogel gut ansteht: Fröhlich sein, Gutes tun und die Spatzen twittern lassen – im Wissen um die Realität eigener Fehler, aber auch im Vertrauen auf die Schönheit der eigenen Melodie.
Dr. Martin Dürnberger ist Assistenz-Professor für Fundamentaltheologie und Ökumenische Theologie an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Salzburg und Obmann der "Salzburger Hochschulwochen"
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