mein STAND.PUNKT
Drei Lehren
aus der kirchlichen Statistik
mein STAND.PUNKT
Drei Lehren
aus der kirchlichen Statistik
Ein STAND.PUNKT von Prof. Rainer Bucher
Die langfristigen Entwicklungen der kirchlichen Statistik in Österreich signalisieren drei weit reichende Befunde, die zusammen als das Auslaufen des gewohnten Konstitutionsmusters der katholischen Kirche gelesen werden können:
Zum einen dokumentieren die Zahlen einen grundsätzlich und offenkundig unumkehrbaren Wandel im Nutzungsmuster von Religion in der österreichischen Gesellschaft. Religion wird von einer mehr oder weniger selbstverständlich das Leben dominierenden und orientierenden zu einer nach individueller Bedürfnislage wahlweise in das eigene Leben eingespielten Größe.
Religion verschwindet nicht einfach, wird aber nachrangig und relevanzgemindert und dabei zu einer Angelegenheit der situativen Wahl. Sie wird Option: nicht mehr, nicht weniger.
Das markiert einen fundamentalen Herrschaftswechsel im Verhältnis von Individuum und religiöser Institution: Religion verschwindet nicht einfach, wird aber nachrangig und relevanzgemindert und dabei zu einer Angelegenheit der situativen Wahl. Sie wird Option: nicht mehr, nicht weniger. Damit vergesellschaften sich religiöse Institutionen, auch die Kirche, nicht mehr normativ, sondern nur noch situativ.
Jeder kirchliche Ort gerät unter den prekären Zustimmungsvorbehalt der eigenen Kirchenmitglieder. Damit endet eine über 1500 Jahre alte Tradition der Kirche als Herrschaftsinstitution mit weitreichenden religiösen und gesellschaftlichen Sanktionsmöglichkeiten.
Prof. Rainer Bucher: Thesen zur kirchlichen Statistik
Der offenkundig irreversible Rückgang der Priesterweihen und damit der Priesterzahlen führt zweitens dazu, dass die herkömmliche, priesterzentrierte pastorale Basisstruktur der katholischen Kirche nicht mehr länger aufrechterhalten werden kann. Das zwingt dazu, neue Organisationsformen zu schaffen, was wiederum die alltägliche Erfahrungsrealität von Kirche ziemlich dramatisch verändert. Diese Erfahrung wandert nach langen Jahren nur prognostischer Überlegungen aktuell ins Bewusstsein der Katholikinnen und Katholiken. Viele deutschsprachige Bistümer sind gegenwärtig - mehr oder weniger kreativ und glücklich - mit diesem Umbau ihrer Basisstruktur beschäftigt.
Notwendig dürfte vor allem ein entschlossener Habituswechsel sein, weg von Erhabenheit, Selbstverständlichkeitsvermutung und Selbstzentriertheit hin zu Demut, Aufmerksamkeit und Solidarität.
Die traditionell starke, ja hegemoniale Stellung der römisch-katholischen Kirche in Österreich ist drittens durch einige spezifische demographische Entwicklungen gefährdet. Die im langfristigen Vergleich gesunkene Taufquote, der Zuzug anders konfessioneller (vor allem orthodoxer) Christen oder anders religiöser (vor allem islamischer) Menschen sowie der langsamen, aber unübersehbare Anstieg des konfessionslosen Bevölkerungsanteils in der österreichischen Gesellschaft werden sowohl die Finanzierungsgrundlage wie den zivilgesellschaftlichen Dominanzstatus des römisch-katholischen Christentums langfristig erodieren lassen.
Wie darauf reagieren? Notwendig dürfte vor allem ein entschlossener Habituswechsel sein, weg von Erhabenheit, Selbstverständlichkeitsvermutung und Selbstzentriertheit hin zu Demut, Aufmerksamkeit und Solidarität. Oder, um es mit Papst Franziskus zu sagen: die kirchlichen Hirten und nicht nur sie, sollen "nach Volk und nach Straße riechen" und die "Wunden der Menschen mit Öl und Wein" salben.
Oder wie Madleine Delbrêl, die große französische Prophetin einer ebenso frohen wie selbstbewussten Kirche in säkularer Gesellschaft, einmal poetisch an Gott gerichtet geschrieben hat:
Wir aber, wir vergessen so oft die Musik deines Geistes.
Wir haben aus unserem Leben eine Turnübung gemacht.
Wir vergessen, dass es in deinen Armen getanzt sein will,
dass dein heiliger Wille von unerschöpflicher Fantasie ist
und dass es monoton und langweilig nur für grämliche Seelen zugeht,
die als Mauerblümchen sitzen am Rand des fröhlichen Balls deiner Liebe.
Das Leben tanzen in den Armen von Gottes Liebe: Wo das Kirche kann, werden Zahlen zweitrangig.
Prof. Dr. Rainer Bucher lehrt Pastoraltheologie und Pastoralpsychologie an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Graz.
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