Lebenskunst
29.10. & 1.11. | 07:05 | Ö1
29. Oktober
LEBENSKUNST – Begegnungen am Sonntagmorgen, 29. Oktober 2023, 7.05-8.00, Ö1
Halte lieb deinen Genossen, dir gleich – Bibelessay zu Matthäus 22, 34-40
Das Gebot bildet die Mitte der Tora, der Fünf Bücher Mose, und wird von Jesus aus Nazareth zitiert: „Du sollst Deinen Nächsten lieben wie dich selbst.“ Oder wie es in der Übersetzung von Buber/Rosenzweig heißt: „Halte lieb deinen Genossen, dir gleich.“ Gedanken zum Liebesgebot, das am 29. Oktober in katholischen Gottesdiensten Thema ist, von Martin Jäggle. Der katholische Theologe und Religionspädagoge ist Präsident des Koordinierungsausschusses für christlich-jüdische Zusammenarbeit.
Du sollst es so gut wie möglich bei mir haben – Etty Hillesums Gespräch mit Gott
Das Tagebuch war als Therapie gedacht, daraus geworden ist das Zeugnis einer spirituellen Entwicklung und Gottsuche in dunkelster Zeit. Die Aufzeichnungen der niederländischen Intellektuellen und studierten Juristin Etty Hillesum (1914-1943), die als Jüdin 29-jährig in Auschwitz ermordet wurde, sind Grundlage einer szenischen Lesung mit Musik. Ab 4. November ist die Aufführung in der „Tribüne Linz“ zu erleben, und Spiritualität und Leidenschaft bei Etty Hillesum sowie Leonard Cohen sind ihr Thema. In ihren letzten beiden Lebensjahren hat die radikale Sozialistin und Atheistin Etty Hillesum zu Gott gefunden. In einem Sonntagmorgentext vom Juli 1942 schreibt sie: „Es sind beängstigende Zeiten, mein Gott. (…) Aber ich werde Dir helfen, dass Du nicht in mir zugrunde gehst. (…) Und das ist das Einzige, was wir in dieser Zeit bewahren können: Ein kleines Stück von Dir in uns selbst.“ Es spricht Bettina Buchholz.
Etty Hillesum: Ich will eine Chronistin dieser Zeit werden. Sämtliche Tagebücher und Briefe 1941 -1942 (C.H.Beck)
Stationen und Personen – Streifzüge durch den Vatikan
Die angekündigte „Botschaft an das Volk Gottes“ steht noch aus, doch es ist von einer „lebhaften und in ihren Themen breitgefächerten Debatte“ die Rede. Mit 29. Oktober endet die vierwöchige Weltsynode im Vatikan. Nicht weniger als die Zukunft der römisch-katholischen Kirche wird verhandelt – und zum ersten Mal haben bei einer „Bischofssynode“ nicht nur katholische Bischöfe aus aller Welt, also Kleriker, beraten, sondern auch sogenannte Laien, Expertinnen und Experten. Mit dabei ist unter anderem auch der Wiener Erzbischof Kardinal Christoph Schönborn. Bereits im Vorfeld der Synode hat er mit Medienvertreterinnen und -vertretern bedeutsame Orte in Rom besucht. Barbara Krenn und Lena Göbl mit Einblicken in den Vatikan.
Körper und Seele im Gleichgewicht? – Zwei Coaches zur Sufi-Mystik in ihrem Herkunftsland Türkei
Im Krieg zwischen der Terrororganisation Hamas und Israel scheint die Türkei eine Gratwanderung zu versuchen: Während in der Türkei für Palästina demonstriert wird, hat sich der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan, der über Hamas-Kontakte verfügt, als Vermittler zur Freilassung der Geiseln angeboten. Nach mehrjährigen Spannungen zwischen der Türkei und Israel gab es seit 2022 wieder eine Annäherung. Doch der Krieg in Gaza könnte diese wieder in Frage stellen. Als Gratwanderung erscheint auch das ambivalente Verhältnis des Staates zum Sufismus. Denn trotz der konservativ-religiösen Ausrichtung der derzeitigen Regierung unterliegen in der laizistischen türkischen Republik alle Religionen staatlicher Kontrolle – und den Sufi-Gruppen wird gleich von mehreren Seiten mit Argwohn begegnet. Anlässlich der Ausrufung der türkischen Republik vor genau 100 Jahren, am 29. Oktober 1923, durch Mustafa Kemal Pascha, später: Kemal Atatürk, hat Lise Abid zwei in Wien und Istanbul beheimatete Coaches aufgesucht und mit ihnen die wechselvolle Stellung von Sufi-Orden reflektiert. Beide haben eine starke Beziehung zu Spiritualität und Mystik von Sufis, der Schriftsteller, Management-Berater und Coach Ercüment Aytac und seine Frau, die Bildungswissenschafterin Gülmihri Aytac, die Kinder- und Jugend-Coach ist.
Redaktion & Moderation: Doris Appel
1. November
LEBENSKUNST – Begegnungen am Feiertag (Allerheiligen), 1. November 2023, 7.05-8.00, Ö1
Vom Perspektivenwechsel der Seligpreisungen – Bibelessay zu Matthäus 5, 1-12a
„Selig die Trauernden; denn sie werden getröstet werden. Selig, die keine Gewalt anwenden; denn sie werden das Land erben. Selig, die hungern und dürsten nach der Gerechtigkeit; denn sie werden satt werden. Selig die Barmherzigen; denn sie werden Erbarmen finden …“ Jedes Jahr zu Allerheiligen sind sie in katholischen Gottesdiensten zu hören: die Seligpreisungen aus der „Bergpredigt“ des Jesus von Nazareth, wie sie bei Matthäus überliefert sind. Mit Blick in die Welt und auf das leidvolle Schicksal so vieler Menschen mögen die Seligpreisungen in einer gewissen Doppelbödigkeit erscheinen, meint dazu der katholische Theologe, Psychotherapeut und Bischof der Diözese Feldkirch, Benno Elbs: „Versteht man sie oberflächlich, erscheinen sie als ferne, bisweilen zynisch wirkende Utopie. Gräbt man jedoch eine Schicht tiefer, können sie einen Perspektivenwechsel ermöglichen, der den Blick auf Hoffnung und Zuversicht freilegt. Gerade in dieser Zwiespältigkeit machen die Seligpreisungen vor allem eines deutlich: dass angesichts der Erfahrung unverschuldeten Leids der Glaube an Gott schwer möglich, aber notwendig zugleich ist.“
Quelle der Heiligenlegenden – Über die Legenda Aurea
Sie gilt als Quelle sehr vieler Heiligenlegenden: die „Legenda Aurea“, die „Goldene Legende“, wie sie aufgrund ihrer Bedeutung in der katholischen Kirche genannt wird. Das wahrhaft monumentale Sammelwerk wurde vom Dominikanermönch Jacobus de Voragine im 13. Jahrhundert zusammengetragen. Markus Veinfurter berichtet zu Allerheiligen 2023 darüber und bringt dabei zahlreiche Zitate aus den Lebensgeschichten von Heiligen zu Gehör.
Altar im Exil – Der polarisierende Naumburger Marienaltar im Stift Klosterneuburg
Ein Renaissance-Altar sorgt für heftige Diskussionen: Die Mitteltafel des Marienaltars, der 1519 von Lucas Cranach dem Älteren für den Naumburger Dom gemalt worden war, wurde 1541 im Zuge einer Aktion reformatorischer Bilderstürmer zerstört. Nun stellte der 1968 in Erfurt geborene Maler, Zeichner und Grafiker Michael Triegel eine neue Version her, die den erhalten gebliebenen Altarflügeln Cranachs im vergangenen Jahr hinzugefügt wurde, „im altmeisterlichen Stil“, doch mit zeitgenössischen Elementen, etwa einer Baseballmütze auf dem Kopf des Apostels Petrus. Ein Rabbiner aus Jerusalem soll Michael Triegel als Vorbild für Paulus gedient haben: Menschen von hier und heute auf dem berühmten Renaissance-Altar. Dieses alt-neue Kunstwerk hätte nun Ursache sein können, dass dem Naumburger Dom der Status des UNESCO Weltkulturerbes aberkannt wird. Während der Zeit der hitzigen Debatten in Deutschland hat der Altar noch bis 15. November im österreichischen Stift Klosterneuburg „Asyl“ gefunden, wo er auch besichtigt werden kann. Ab Winter 2023 darf er wieder zurück. Maria Harmer berichtet.
Totenwache – Aus der Linearität des Lebens heraustreten
Am Tag nach Allerheiligen begeht die römisch-katholische Kirche das Gedächtnis ihrer Verstorbenen, „Allerseelen“. Der Brauch, rund um Allerheiligen und Allerseelen Gräber zu besuchen, hat längst auch nicht-christliche oder nicht-religiöse Bereiche der Gesellschaft erreicht. Der Brauch der Totenwache allerdings wird nur noch selten ausgeübt. Maren Wurster hat sich dessen besonnen. Drei Tage lang hielt die studierte Philosophin für ihren Vater Totenwache. Sein Körper lag aufgebahrt in einem Raum, für sie stand ein Bett darin. Maren Wurster blieb sogar über Nacht – und schlief tief und fest. Alles, was sie dabei gefühlt hat, beschreibt sie in ihrem Buch „Totenwache“. Aufbauend auf diesem persönlichen Erleben erkundet Maren Wurster die Totenwache aus philosophischer, historischer und gesellschaftskritischer Perspektive. Lena Göbl hat die deutsche Schriftstellerin in Wien getroffen und mit ihr über ihre Erfahrungen und Erkenntnisse gesprochen.
Maren Wurster: Totenwache. Eine Erfahrung (Leykam)
Moderation: Martin Gross
Redaktion: Doris Appel