Lebenskunst
25.6.| 07:05 | Ö1
LEBENSKUNST – Begegnungen am Sonntagmorgen, 25. Juni 2023, 7.05-8.00, Ö1
Mut zur Klage – Bibelessay zu Jeremia 20, 10-13
„Ich hörte die Verleumdung der Vielen: Grauen ringsum!“, heißt es in jenem alttestamentlichen Bibelabschnitt aus dem nach dem Propheten Jeremia benannten Buch, der am 25. Juni in katholischen Gottesdiensten zu hören ist. Für Martin Jäggle ist der Text ein Beispiel für eine lebensfördernde „Schule des Klagens“, die die Bibel sein kann. Denn Klagen ist etwas anderes als Jammern, das sich ständig im Kreis dreht. „Wer jammert, will vielleicht gar nichts ändern. In der Klage hingegen kommen Leidende selbst zu Wort, werden sie vom Objekt zum Subjekt, das die eigene Not beim Namen nennt …. Klagen kann hilfreich, ja sogar notwendig sein, sollen Menschen nicht in ihrem Leid versinken …. Wer klagt, sehnt sich danach, dass sein Schmerz geheilt wird. Auch, wenn im Moment noch alles dagegenspricht.“ Martin Jäggle ist katholischer Theologe, Religionspädagoge und Präsident des Koordinierungsausschusses für christlich-jüdische Zusammenarbeit.
„Das Leben feiern“ – Abrahamsfest
Der Gott der jüdischen und christlichen Bibel, der Gott des Koran will kein Menschenopfer. Das, so Carla Amina Baghajati, die Leiterin des Schulamtes der Islamischen Glaubensgemeinschaft Österreich, ist kurz zusammengefasst der Inhalt der Erzählung von der verhinderten Opferung des Sohnes Abrahams / Ibrahims. Sie ist die Grundlage des sogenannten Opferfestes, das Musliminnen und Muslime ab Mittwoch, 28. Juni, feiern. Auf Arabisch: Eid al Adha, auf Türkisch und Bosnisch: Kurban Bayram, zieht Carla Amina Baghajati auf Deutsch den Namen Abrahamsfest vor. Verbindet doch gerade diese Erzählung die drei „Buchreligionen“ – auch mit ihrer Aussage: „Opfern soll in einer persönlichen Dimension gedacht werden. Was also kann ich tun, damit die Welt ein Stück besser wird – soziales Ungleichgewicht aufgehoben und ein menschenwürdiges Leben in Frieden möglich wird.“
Ruhestätte am Donaustrom – Zu Besuch auf dem „Friedhof der Namenlosen“
Am äußersten östlichen Ende Wiens, im 11. Bezirk, liegt abgelegen der Hafen Albern inmitten eines Augebietes. Am schmalen Hafenbecken stehen freilich fünf Großspeicher aus der Zeit der NS-Diktatur, an die sich neue Bauwerke und moderne Industrie angeschlossen haben. Ein kurzer Spaziergang entlang des südlichen Ufers führt zum „Friedhof der Namenlosen“. Sollte er je nach Wien ziehen, so hat Peter Handke einmal gesagt, dann in diese Gegend – weil dort sein Lieblingslokal ist. Im US-amerikanischen Spielfilm „Before Sunrise“ kommt der so besondere Friedhof ebenso vor wie in einem Singspiel von Ernst Molden. Entstanden ist der „Friedhof der Namenlosen“ (der alte, heute verschwundene Teil ab 1840, der neue Teil ab 1900), weil hier Körper an das Donauufer gespült wurden. Leichname von Menschen, die – durch Suizid oder Unfälle – in den Fluten ihr Leben verloren hatten. 102 Gräber sind es, aber nur ein Teil der hier Bestatteten ist tatsächlich namenlos. Von manchen sind die Lebensumstände sogar recht genau bekannt, und es gibt einige Menschen, denen die Würde dieses Ortes ein echtes Anliegen ist. Davon hat sich Brigitte Krautgartner für den Ö1-Donauschwerpunkt „Im Fluss“ überzeugt.
Ist der Sinn bei Gott? – Sinnfrage und Wertorientierung nach Viktor Frankl heute gelesen
Gottfried Matthias Spaleck ist Arzt und Psychotherapeut im Sinne der Logotherapie und Existenzanalyse nach Viktor Frankl und u.a. Mitarbeiter am Viktor-Frankl-Zentrum in Wien. Dort hat er vor Kurzem einen viel beachteten Vortrag mit dem schlichten, aber bedeutungsvollen Titel „Ist der Sinn bei Gott?“ gehalten. Das hat ein breites Publikum neugierig gemacht und für einen vollen Hörsaal gesorgt. – Der Neurologe und Psychiater Frankl, der im Gegensatz zu seiner Familie den Holocaust überlebt hat, ist Zeit seines Lebens der Frage nach dem Sinn des menschlichen Lebens nachgegangen; er begründete die Logotherapie und Existenzanalyse. Wie der vortragende Gottfried Matthias Spaleck ausführte, hat Frankls Konzept der Wertorientierung als Sinngebung für die Gesellschaft in Europa heute unverminderte Relevanz – gerade auch in Zeiten von künstlicher Intelligenz und ChatGPT. Lise Abid berichtet.
Redaktion & Moderation: Doris Appel