Orientierung
So., 13. August | 12:30 | ORF 2
Marienwallfahrtsort Fatima: Von der Kraft der Erscheinung
Was die Anerkennung von Marienerscheinungen betrifft, ist die katholische Kirche durchaus zurückhaltend. Sogenannte „Privatoffenbarungen“ werden erst nach eingehender Prüfung als authentisch anerkannt und sind nicht bindend für katholische Gläubige. Dennoch haben es einige Wallfahrtsorte, die auf angebliche Marienerscheinungen zurückgehen, zu weltweiter Bedeutung gebracht: Guadalupe in Mexiko, Lourdes in Frankreich und in besonderer Weise: Fatima in Portugal.
Zu dem portugiesischen Wallfahrtsort mit dem muslimischen Namen hatten und haben Päpste seit Jahrzehnten ein besonders enges Verhältnis. Allen voran Papst
Johannes Paul II: Er wurde an einem „Fatima-Tag“, dem 13. Mai 1981, auf dem Petersplatz von Kugeln aus der Waffe eines Attentäters schwer verletzt und schrieb seine Errettung dem Beistand der Muttergottes von Fatima zu. Eine der Kugeln ließ er in die Krone der Madonna in Fatima einfügen.
Was Fatima für viele Katholikinnen und Katholiken besonders attraktiv machte, waren die sogenannten „drei Geheimnisse“: drei Teile einer Vision, deren letzter erst im Jahr 2000 veröffentlicht wurde – vom damaligen Präfekten der Glaubenskongregation und späteren Papst Benedikt XVI., Joseph Ratzinger, der ebenfalls zu den großen Fatima-Verehrern zählt. Der Text schildert in apokalyptischen Bildern die Vision eines Bischofs in Weiß, der von Schüssen getroffen wird und wurde vielfach als Hinweis auf das Papstattentat interpretiert.
Besonders wirkmächtig jedoch wurde das Zweite Geheimnis, das frommen Kreisen als die Prophezeiung einer „Bekehrung Russlands“ gilt. Dabei ist bemerkenswert, dass die Muttergottes schon am 13. Juli 1917 auf von Russland ausgehende „Irrlehren, Kriege und Kirchenverfolgung“ hingewiesen haben soll - also zu einer Zeit, als die Oktoberrevolution und die Machtübernahme der Bolschewiki in Russland noch bevorstand.
„Fatima“ wurde jedenfalls nicht zuletzt durch seinen russlandkritischen und antikommunistischen Zungenschlag attraktiv für das autoritäre Regime des portugiesischen Langzeit-Ministerpräsidenten António Salazar. Kritiker spotteten, Salazar stütze sich auf „drei F“ als Säulen des portugiesischen Nationalgefühls: Fußball, Fado und Fatima. Der Wallfahrtsort erhielt eine ideologische Bedeutung im Kalten Krieg – und wurde zum roten Tuch für die demokratische und linke Opposition. Von denen, die unter Salazar verfolgt und inhaftiert worden waren, rechnete kaum jemand mit einem Überleben Fatimas nach der „Nelkenrevolution“ von 1974, die das Ende der Diktatur und den Übergang zu Demokratie einleitete. Doch Fatima hat die politischen Wirren überstanden und ist heute ein bedeutendes europäisches Zentrum katholischer Spiritualität.
Die Seher und Seherinnen von damals, drei Hirtenkinder namens Lúcia, Francisco und Jacinta, waren sich der großen politischen und kirchenpolitischen Implikationen keinesfalls bewusst, als sie am 13. Mai 1917 - und dann ein Mal monatlich bis zum Oktober - auf einem Feld namens „Cova da Iria“ bei Fatima eine Erscheinung wahrnahmen. Nur Lucia dos Santos hat die Kindheit überlebt. Sie wurde Ordensschwester und war zeitlebens die wichtigste Quelle und Interpretin der von den Kindern geschilderten Ereignisse. Francisco und Jacinta starben noch in Kindheitstagen an der Spanischen Grippe. Am 13. Mai 2017, 100 Jahre nach der ersten Marienerscheinung, reiste Papst Francisco nach Fatima, um sie heilig zu sprechen.
Bericht: Christian Rathner, Länge: 28 Minuten