"Papst & Teufel"
Der Münsteraner Kirchenhistoriker Hubert Wolf legte eine erste Bilanz nach der Öffnung der Vatikan-Archive aus den Jahren 1922 bis 1939 vor. Wolf entwarf neues Gesamtbild der Päpste Pius XI. und Pius XII. "Kathpress"-Korrespondentenbericht von Reto Romanini
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Prof. Hubert Wolf |
Anhand diplomatischer Dokumente und Gesprächsnotizen zeigt Wolf, wie die Zeit Pacellis als Nuntius in München und Berlin (1917-1929) den späteren Kardinal-Staatssekretär und Papst geprägt hat. Die gescheiterte Friedensvermittlung im Ersten Weltkrieg, an der er im Auftrag von Benedikt XV. mitwirkte, habe den jungen Nuntius so traumatisiert, dass die strikte Neutralität des Heiligen Stuhls bei internationalen Konflikten für ihn oberstes Gebot wurde. Zudem habe er den in seiner Zeit in München und Berlin immer noch nachwirkenden Schock des deutschen "Kulturkampfs" verinnerlicht: Die Kirche müsse jeden unnötigen Kampf mit dem Staat und jede Einmischung in die Politik vermeiden, wenn als Gegenleistung Seelsorge, Gottesdienst und Sakramentenspendung sichergestellt seien.
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Die Vatikanischen Archive |
Pacellis Berichte nach Rom zeigten aber auch, so Wolf, dass er keinen besonders guten Eindruck von Teilen des deutschen Episkopats gehabt habe. Die "Staatsbischöfe" schienen ihm zu eigenständig, zu wenig romtreu und theologisch nicht immer richtig ausgebildet. Bei aller Faszination durch "deutsche Tugenden und deutsche Technik" sei dem Römer Pacelli sein Dienstland weitgehend fremd geblieben; fast alle in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts gängigen "deutschen Ideen" - vom "Kampf um den Platz an der Sonne" über den "Vitalismus" bis zum primitiven rassistischen Antisemitismus - mussten einem römischen Aristokraten vom Schlag Eugenio Pacellis als absurd und lächerlich erscheinen.
Keine Zugeständnisse
Zum Reichskonkordat von 1933 - für den Vatikan ein "Pakt mit dem Teufel" - konnte Wolf die These vom Tauschgeschäft entkräften, bei dem Pacelli die Fäden gezogen habe. Von einem Junktim zwischen der Zustimmung der Zentrumspartei zum Ermächtigungsgesetz von 1933, zwischen der Rücknahme der Warnung der deutschen Bischöfe vor dem Nationalsozialismus und eben dem Staatsvertrag zwischen dem Vatikan und Berlin könne keine Rede sein. Der Heilige Stuhl habe für diesen Vertrag nicht mit Zugeständnissen gezahlt, belegt Wolf. Diese Schritte gingen auf das Konto der deutschen Bischöfe - zum Ärger Pacellis. Der Kardinal äußerte Unverständnis, dass die Bischöfe für ihr Entgegenkommen keine Gegenleistungen ausgehandelt hatten.
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Papst Pius XII. |
Auf Überraschendes stieß Wolf im Zusammenhang mit der päpstlichen Antisemitismus-Erklärung von 1928. Weitsichtig habe Pius XI. schon lange vor "Reichskristallnacht" und "Endlösung" vor den Gefahren des rassistischen Judenhasses gewarnt - so deutete man bisher das Dokument. Aber bei dem Vorgang ging es, so Wolfs Erkenntnis, in erster Linie um einen innerkirchlichen Schachzug: Der Papst hatte sich nach langem Hin und Her entschlossen, die Priestervereinigung "Amici di Israel" (Freunde Israels) aufzulösen.
Die Gruppe, der auch Kardinäle und Bischöfe angehörten, wollte alle judenfeindlichen Aussagen aus Glaube und Liturgie streichen. Konkret und ohne Erfolg forderten sie schon damals eine Reform der umstrittenen alten Karfreitagsfürbitte für die "treulosen Juden". Um den vatikanischen Schritten gegen die judenfreundliche Gruppe jeglichen judenfeindlichen Anstrich zu nehmen, wurden sie mit einer breiten Warnung vor dem Antisemitismus verknüpft: So entstand die päpstliche Antisemitismus-Warnung sozusagen als Nebenprodukt.
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Papst Pius XI. |
Erste Rückschlüsse lässt das jetzt zugängliche Material auch auf das "Schweigen" von Pius XII. zum Holocaust zu - obwohl die Archive zum Pontifikat des Pacelli-Papstes ab 1939 weiterhin unter Verschluss sind. Ab Hitlers Machtübernahme in Frühjahr 1933 trafen im Vatikan zahlreiche Gesuche ein, Papst Pius XI. möge die Judenverfolgungen öffentlich anprangern. Auch Nuntius Cesare Orsenigo berichtete detailliert aus Berlin - und riet entschieden von einer Intervention des Vatikans ab. Sein Votum: Der Vatikan solle sich aus der "Judenfrage" heraushalten und die Angelegenheit den deutschen Bischöfen überlassen. An diese Linie hielt sich der Heilige Stuhl auch nach dem Erlass der schändlichen "Nürnberger Gesetze" und der "Reichskristallnacht".
Das Schreiben von Edith Stein
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Sr. Edith Stein |
Das wiederholte Dazwischentreten Pacellis, die Verhinderung einer öffentlichen Äußerung Pius XI. zur Judenfrage habe jedoch nichts mit einer inhaltlichen Billigung des Antisemitismus zu tun, betont Wolf. Pacelli habe den Rassenantisemitismus klar abgelehnt: "Sein Eintreten für ein öffentliches Schweigen des Papstes hängt vielmehr engstens mit seinem Verständnis des Amtes des Oberhaupts der katholischen Kirche als 'padre comune' aller gläubigen Katholiken zusammen". Diese Linie habe ihn als Staatssekretär bestimmt und später auch als Papst.
Fast wie ein Krimi liest sich die Auseinandersetzung des Vatikans mit der NS-Ideologie. Denn warum landete Alfred Rosenbergs "Mythos des 20. Jahrhunderts" 1934 ohne viel Federlesens auf dem Index der verbotenen Bücher, nicht aber Hitlers "Mein Kampf"? Mehrere Jahre lang stritten Päpstliches Staatssekretariat und "Heiliges Offizium", die Vorgängerinstitution der Glaubenskongregation, ob man zwischen dem Nationalsozialismus als politischer Partei und als neuheidnischer, christenfeindlicher Ideologie unterscheiden könne. Immer neue Gutachten wurden in Auftrag gegeben. Letztlich aber versandete 1937 ein Papier zu Kommunismus und Rassismus - und damit auch eine öffentliche Verdammung von "Mein Kampf".
Die Exkommunikation Hitlers
Ob Pius XI. allein dafür zuständig war, ob er den Kardinälen folgte oder ob Pacelli im Hintergrund stand, darüber gäben die Akten keinen eindeutigen Aufschluss, schreibt Wolf. Pacelli wollte 1937 auf jeden Fall auf politischem Gebiet die Konflikte mit den faschistischen Regimen möglichst gering halten. Dazu passt auch das Gerücht um eine Exkommunikation Hitlers durch den Papst. Offenbar hatte Benito Mussolini, als er noch klar die Gefahren erkannte, die nördlich des Brenner lauerten, dem Vatikan diesen Vorschlag nahe gebracht. Von der Einleitung eines solchen Verfahrens finden sich in den Vatikan-Archiven keinerlei Spuren. Hitler blieb bis zu seinem Tod formal ein Mitglied der katholischen Kirche.
Dass dies aber keinerlei Anbiederung des Heiligen Stuhls an den deutschen Diktator und seine wahnwitzigen Unternehmungen bedeutete, ist schon seit vielen Jahren aktenkundig. Paul VI. hatte vier Jesuiten unterschiedlicher Nationalität beauftragt, das vatikanische Archiv im Hinblick auf die Situation im Zweiten Weltkrieg zu durchforsten. Das Ergebnis war die elfbändige Dokumentation "Atti e documenti della Santa Sede relativi alla Seconda Guerra Mondiale", die zwischen 1965 und 1981 erschienen ist. Wer sich in diese Dokumentation vertieft, wird bald erkennen, dass das angebliche "Schweigen" des Pacelli-Papstes zur Shoah eine späte Konstruktion kommunistischer Geheimdienste im Zug des Kalten Kriegs war.