Der Geist hat heute schlechte Karten. Man begegnet ihm fast nur in der Spirituosenabteilung. Wir leben in manchmal geistlosen, manchmal geistfernen, fast immer geistfeindlichen Zeiten.
An den Universitäten spreizt sich eine Naturwissenschaft, die ihr Gefallen daran findet, alles, was nicht Materie ist, aus dem Wissenskanon auszuscheiden. In der Wirtschaft triumphieren Zahl und Ziffer, obsiegt abermals die Materie. Alles muss sich handeln, berechnen und aufwiegen lassen. Im täglichen Leben lernt man präpubertär, dass man ist, was man hat, dass auch der Körper nur ein Stück Fleisch sei, das es zu „tunen“ gelte im Kampf um Distinktionsgewinne.
Wer das Christentum wieder neu im ehemals christlichen Abendland verankern möchte, der muss zunächst Raum schaffen für den Geist. Der muss im vor-religiösen Raum die Bedingungen der Möglichkeit schaffen, dass da Geist werde. Der darf nicht mittun bei den Weltfestspielen des Stumpfsinns, wie sie uns täglich von den Bildschirmen entgegen quillen.
Platzhalter des Göttlichen
Das Christentum ist ein Geistereignis par excellence. Nicht nur ist der Heilige Geist Platzhalter des Göttlichen bis zur Parusie. Ohne die Begeisterten von ehedem gäbe es keine Bibel, gäbe es keine Kunde von jener Gnade, jener Vergebung, die durch Christus in die Welt kam. Wir alle sind Schuldner der Begeisterten der Urkirche.
In diesem Sinne sagte Papst Benedikt XVI. 2010, die frohe Botschaft erfordere „das Wirken begeisterter und mutiger Zeugen. Jeder Jünger Christi, auch jeder von uns, ist berufen, Zeuge zu sein. Das ist der präzise, anspruchsvolle und aufregende Auftrag des auferstandenen Herrn.“
Zugleich mahnte Benedikt die in besonderer Weise Bevollmächtigten des Geistes, die Priester, das „begeisterte Bewusstsein“ ihrer Aufgabe und ihrer Erwählung nie zu vergessen. Wer hingegen „vor allem seinen eigenen Ehrgeiz verwirklichen, seinen eigenen Erfolg erreichen will, der wird immer Sklave seiner selbst und der öffentlichen Meinung bleiben.“
Absage an den Materialismus
Damit sind einige Gründe benannt, weshalb es eines begeisterten Christentums oft ebenso gebricht wie einer geistvollen Gegenwart. Um dem Geist eine Gasse zu bahnen und so der Begeisterung den Boden zu bereiten, bedarf es einer entschiedenen Absage an den scheinbar unumschränkt herrschenden Anti-Geist des Materialismus.
Jesus, hielt Egon Friedell fest, „hat immer nur einen Feind erbittert bekämpft: den Teufel im Menschen, den Materialismus.“ Dieser Materialismus ist nicht nur die Geschäftsgrundlage vieler Wissenschaften und der Technik geworden. Nein, er erhebt eben auch dort sein Haupt, wo wir es vielleicht nicht vermuteten: im Menscheninnern. Wir alle sind von ihm angekränkelt, wenn wir schielen nach dem schnellen Ansehensgewinn, nach der risikolosen Rendite, nach der anstrengungsfreien Erkenntnis. All das gibt es nämlich nicht.
Jeder Gipfel erschließt sich erst nach dem Anstieg, nur durch uns hindurch führen die Pfade nach Hause. Daran könnte uns Pfingsten erinnern, das schließlich, mit einem Wort des Dichters Rudolf Borchardt, das „revolutionäre Wiederausbrechen der ins Irdische eingeflößten Sprengwirkung“ und deshalb „Vorform des Gottesreiches und der Gemeinschaft der Kinder Gottes“ Ist. Pfingsten zeigt, dass das Christentum einen stellvertretenden Dienst leistet: Indem es der Geistlosigkeit die Stirn bietet, kann es Begeisterung wecken für den Geist, der es ins Dasein rief.
Dr. Alexander Kissler ist Publizist und Autor. Er leitet das Kulturressort beim Berliner Monatsmagazin „Cicero“.