Paulus – Informationen zu Person und Theologie des Apostels | Teil 3
Paulus – Informationen zu Person und Theologie des Apostels /3
Apostel der Heiden
Durch die rastlose Tätigkeit des Paulus erfüllte sich auch der letzte Teil der Verheißung des Auferstandenen: „Ihr werdet meine Zeugen sein … bis an die Grenzen der Erde” (Apg 1,8). Trotzdem – es war nicht Paulus gewesen, der mit seiner Verkündigung den Durchbruch zu den Heiden bewirkt hatte.
Das hatten bereits die Christen in Antiochia vor ihm erreicht. Denn schließlich nahmen in der Diaspora auch Heiden an den jüdischen Sabbatgottesdiensten teil – Heiden, die mit dem jüdischen Ein-Gott-Glauben und seiner beeindruckenden Moral sympathisierten, ohne jedoch vollständig zum Judentum überzutreten. Da war es unvermeidlich, dass auch diese sogenannten Gottesfürchtigen das Evangelium von Jesus Christus zu hören bekamen, wenn Judenchristen im Rahmen des Sabbatgottesdienstes ihre Volksgenossen für das Evangelium gewinnen wollten. Und da es für alle, die dem Evangelium glaubten, nur eine Bedingung für die Aufnahme in die christliche Gemeinde gab – sie mussten sich auf den Namen Jesus taufen lassen –, sahen sich die Gottesfürchtigen gerade jener Hürde nicht gegenüber, die sie bislang vor dem vollen Übertritt ins Judentum abgehalten hatte: Sie mussten sich nicht beschneiden lassen.
Und so bildete sich in Antiochia eine Gemeinde von Christusgläubigen, die bereits vor Paulus Juden und Heiden umfasste:
Bei der Verfolgung, die wegen Stephanus entstanden war, kamen die Versprengten bis nach Phönizien, Zypern und Antiochia; doch verkündeten sie das Wort nur den Juden. Einige aber von ihnen, die aus Zypern und Kyrene stammten, verkündeten, als sie nach Antiochia kamen, auch den Griechen das Evangelium von Jesus, dem Herrn. Die Hand des Herrn war mit ihnen und viele wurden gläubig und bekehrten sich zum Herrn. … [Barnabas fand den Paulus] und nahm ihn nach Antiochia mit. Dort wirkten sie miteinander ein volles Jahr in der Gemeinde und lehrten eine große Zahl von Menschen. In Antiochia nannte man die Jünger zum ersten Mal Christen. (Apg 11,19–21.26)
Barnabas und Paulus
Barnabas hatte Paulus bereits in Jerusalem kennen gelernt. Dorthin war Paulus ja zwei, drei Jahre nach seinem Damaskuserlebnis zurückgekehrt, nachdem er in der Zwischenzeit „in der Arabia“ gewesen war (vgl. Gal 1,17). Aus dieser Zeit wusste Barnabas, dass Paulus zutiefst überzeugt war, von Gott mit dem Evangelium für die Heiden betraut zu sein. Deshalb gehörte er für ihn unbedingt nach Antiochia – dorthin, wo bereits Heiden den Zugang zum Evangelium gefunden hatten. Und er hatte recht. Nach seiner „Lehrzeit“ (Apg 11,26) traf Paulus in dieser Gemeinde der Ruf zu einer neuen Missionsreise:
In der Gemeinde von Antiochia gab es Propheten und Lehrer: Barnabas und Simeon, genannt Niger, Lucius von Kyrene, Manaën, ein Jugendgefährte des Tetrarchen Herodes, und Saulus. Als sie zu Ehren des Herrn Gottesdienst feierten und fasteten, sprach der Heilige Geist: Wählt mir Barnabas und Saulus zu dem Werk aus, zu dem ich sie berufen habe! Da fasteten und beteten sie, legten ihnen die Hände auf und ließen sie ziehen. (Apg 13,1–3) Es wurde eine lange Reise, zu der Barnabas und Paulus – „vom Heiligen Geist gesandt” – auszogen (vgl. Apg 13,4 – 14,28): Zuerst mit dem Schiff nach Zypern, der Heimat des Barnabas, dann durch die ganze Insel – von Nordosten nach Südwesten, von Salamis zur Hauptstadt Paphos; daraufhin wieder per Schiff zum kleinasiatischen Festland: nach Attalia und Perge und seinem Heiligtum der Artemis; danach auf der Passstraße über das Taurusgebirge ins 160 km entfernte Antiochia in Pisidien; von dort 140 km weiter auf der von Augustus angelegten Via Sebaste mitten durch die öde, einförmige Hochfläche Südgalatiens bis Ikonion, einem wichtigen Verkehrs- und Handelsort – und immer noch weiter bis Lystra und Derbe als End- und Wendepunkt. Dann wieder zurück, die gleiche Strecke bis Attalia, Seleukia, Antiochia.
Wir können es uns heute wohl kaum mehr vorstellen, welche Belastungen physischer und psychischer Art eine derartige Missionsreise mit sich brachte. Denn es waren ja nicht nur die Hunderte von Kilometern, die bei Hitze und Kälte, bei Regen und Wind, keineswegs nur auf den Heeresstraßen der Römer, sondern auch auf unwegsamen Bergpfaden, bedroht von Räubern und oft nur den eigenen Proviant zur Verfügung, durchmarschiert werden mussten. Es waren bittere Tatsachen, an die Paulus die Korinther einmal erinnerte.
Dreimal wurde ich ausgepeitscht, einmal gesteinigt, dreimal erlitt ich Schiffbruch, eine Nacht und einen Tag trieb ich auf hoher See. Ich war oft auf Reisen, gefährdet durch Flüsse, gefährdet durch Räuber, gefährdet durch das eigene Volk, gefährdet durch Heiden, gefährdet in der Stadt, gefährdet in der Wüste, gefährdet auf dem Meer, gefährdet durch falsche Brüder. Ich erduldete Mühsal und Plage, viele durchwachte Nächte, Hunger und Durst, häufiges Fasten, Kälte und Nacktheit. (2 Kor 11,25–27)
Noch weit belastender musste es jedoch gewesen sein, sich unter einer Vielzahl von wandernden Philosophen, Wundertätern und Gauklern unerwartet und ungefragt mit einer ganz neuen, fast unglaublichen Botschaft unterwegs zu wissen – mit einer Botschaft, die angesichts der erwarteten baldigen Wiederkunft Christi um des Heiles aller Menschen willen gehört werden musste und geglaubt werden sollte!
Missionar und Seelsorger
Seit seinem Damaskuserlebnis wusste Paulus: „Ein Zwang liegt auf mir. Weh mir, wenn ich das Evangelium nicht verkünde!” (1 Kor 9,16). So machte er sich – wohl um das Jahr 49 – wiederum zu einer Missionsreise auf den Weg, diesmal mit Silas (Apg 15,40) und Timotheus (Apg 16,1–3). Ihr Weg aber fügte sich so, dass sie nach dem Besuch der früher gegründeten christlichen Gemeinden in Derbe und Lystra durch Phrygien und das galatische Land kamen, wo Paulus unter schwierigen persönlichen Umständen (vgl. Gal 4,13–15) den Galatern das Evangelium verkündete, bis sie in Troas an die Grenzen Kleinasiens stießen (Apg 16,6–10).
Auch in Philippi (Apg 16,13), Thessaloniki (17,1f), Beröa (17,10f) und Korinth (18,1.4) änderte Paulus sein bisheriges Vorgehen nicht: Er suchte – wo immer möglich – zuerst im Rahmen der Synagogengottesdienste Menschen für das Evangelium zu gewinnen.
Er suchte so zuerst mit Hilfe seiner Volksgenossen eine Gemeinschaft ins Leben zu rufen, die aufgrund ihrer Verbundenheit mit Christus die neue Schöpfung verkörperte. Ein solches Verhalten als Heidenmissionar war nur dann sinnvoll, wenn Paulus davon überzeugt war, dass es für die verständige Annahme des Evangeliums keine bessere Voraussetzung gibt als den Glauben Israels – nicht zufällig fand er bei den Athenern zwar Interesse, aber keinen Glauben (vgl. Apg 17,18–32)!
Sobald Paulus die Möglichkeit hatte, an einem Ort für längere Zeit die Menschen „das Wort Gottes zu lehren” (Apg 18,11), blieb er dort: in Korinth 18 Monate (Apg 18,11), in Ephesus gar zwei Jahre (Apg 19,10). Denn diese Stabilität erlaubte ihm beides: Er konnte das Evangelium allen Interessierten verkünden, nicht auf der Straße, sondern im Schutz eines Hauses, das ihm von den Gläubiggewordenen zur Verfügung gestellt wurde. Paulus fühlte sich als Vater und Mutter seiner Gemeinden. Es war für ihn keineswegs nur eine Floskel, wenn er behauptete, durch das Evangelium der Vater seiner Gemeinde(n) geworden zu sein (vgl. 1 Kor 4,14).
Univ.-Prof. Dr. Michael Ernst,
Universität Salzburg und Päpstliche Hochschule Heiligenkreuz