Der wunderbare Kranz, Teil 2 | Wie der Rosenkranz entstanden ist
Beten und Gott loben, Handwerksarbeit verrichten und studieren – darin besteht das Leben eines Kartäusermönches. Inmitten der Klostergemeinschaft wohnt er wie ein Einsiedler in seiner Zelle. Auch Dominikus hatte eine solche Zelle: ein kleines zweistöckiges Häuschen, unten befand sich die Werkstatt, darüber lag ein einfacher Raum zum Beten und Schlafen. Die Eingangstür der Zelle mündete in den Kreuzgang. Durch eine kleine Öffnung neben der Tür bekam Dominikus von einem Bruder das Essen gereicht: Brot und Gemüse, Eier oder Käse, Milchspeisen, manchmal auch Fisch, aber niemals Fleisch. An strengen Fasttagen aß Dominikus nur Brot und trank einen Schluck Wasser dazu.
Vor jeder Zelle, abgeschirmt durch die hohe Klostermauer, lag ein winziger Garten, den der Mönch selber bebaute. Dominikus plagte sich sehr bei der Arbeit im Garten und in der Werkstatt, denn von Kindheit an litt er an Rückenschmerzen. Diese Schmerzen kehrten nun öfter und heftiger wieder. Nur mühsam konnte er sich bücken, etwas aufheben, das Werkzeug und die Gartengeräte halten. Im Vergleich zu dieser körperlichen Marter erschienen Dominikus das Studieren und Beten noch einfacher. Still saß er auf seinem hölzernen Schemel und betrachtete das Leben Jesu, während er den Rosenkranz betete. So hatte es ihm sein Prior, Adolf von Essen, geraten: mit dem Herzen der Mutter Maria den Weg ihres Sohnes Jesus zu begleiten. Aber auch beim Beten hatte Dominikus seine Schwierigkeiten. War das eine Folge seines wilden Studentenlebens, dass er nun seelisch und körperlich so ausgelaugt, sosehr am Ende aller Kräfte war? Dominikus konnte sich nicht konzentrieren. Seine Gedanken hielten nichts fest; sie schweiften von einer Vorstellung zur anderen, verloren sich in seltsame Bilder und Träume. Kaum hatte sich Dominikus in Gedanken aufgemacht, Maria auf ihrem Weg zu Elisabet zu begleiten ... da schoben sich in seine Gedanken die Erinnerungen an all die Wege, die er als junger Student gewandert war: von Gasthaus zu Gasthaus, auf der Flucht vor Menschen, die er betrogen hatte. Der Lärm und das Lachen und Fluchen von damals klangen in seinen Ohren. Die alte Angst bedrückte ihn: Kann ein so armseliger Mensch wie ich jemals Heil und Frieden finden?
„Ich bin zu nichts nütz“, dachte Dominikus. „Nicht einmal die einfachsten Gebete kann ich beten.“ Trotz seiner Verzweiflung gab Dominikus nicht auf. Im Advent des Jahres 1409 kam ihm die rettende Idee: Er wollte sein ungehorsames Hirn überlisten. Schwarz auf weiß sollten vor seinen Augen die einzelnen Stationen des Lebens Jesu aufgeschrieben stehen, dann konnten sich seine Gedanken nicht länger hilflos verirren. Dominikus ging an sein Schreibpult. Er versuchte, der Reihe nach kleine Sätze zu formulieren. Nach dem Gruß der Elisabet wollte er sie einfügen: ... und gebenedeit ist die Frucht deines Leibes, Jesus – „den du“, schrieb Dominikus, „empfingest vom Heiligen Geist, da dich der Engel Gabriel grüßte und du, reine Magd, sprachest: Siehe hier die Dienerin Gottes, mir geschehe nach deinem Wort“.
50 Stationen schrieb Dominikus auf, er nannte sie „Clausulae“, Sätzchen. In seiner Freude erzählte er einem Mitbruder davon. Der berichtete dem Prior von dieser praktischen Hilfe beim Rosenkranzbeten. Adolf von Essen bat Dominikus, ihm die „Clausulae“ zu zeigen.
„Aber es ist doch nichts Besonderes“, sagte Dominikus verlegen. „Eine Kleinigkeit, nur ein Hilfszettel, nichts weiter!“
„Nicht jeder Mensch fühlt sich zu jeder Zeit imstande, über das Leben Jesu frei zu meditieren“, sagte der Prior. „Es gibt für jeden auch Zeiten innerer Bedrängnis, in denen man nicht beten kann. Dafür werden deine Sätzchen eine große Hilfe sein.“
Bald kamen die ersten Mitbrüder und baten um Abschriften. 50 Jahre später, als alter Mann, schrieb Dominikus, dass von der Trierer Kartause weit über tausend Abschriften der Rosenkranz-Sätzchen in alle Welt verschickt worden waren. Adolf von Essen und Dominikus von Preußen gingen schweren Zeiten entgegen. Dominikus kämpfte sein Leben lang mit Krankheiten. Adolf aber musste innerhalb des Ordens viel Bitterkeit erfahren: Dass er inmitten der politischen Unruhen immer wieder für Recht und Gerechtigkeit eintrat, trug ihm Neid und Verfolgung ein. Dominikus beobachtete, wie geduldig Adolf alle Verleumdungen hinnahm, wie er Hass mit Liebe und Freundlichkeit vergalt. Woher kam seine Kraft? Viel später entdeckten die Mönche eine Antwort auf diese Frage, als sie Adolfs Schriften studierten. Da machten sie eine erschütternde Erfahrung: Der große Beter Adolf konnte auch nicht immer so beten und meditieren, wie er es gern getan hätte. Aber er verlor den Mut nicht. Er schrieb in einfachen, kleinen Sätzen auf, worüber er betend nachdenken wollte:
„... und gebenedeit ist die Frucht deines Leibes, Jesus,
den sie mit Hilfe falscher Zeugen verklagten ...
dem sie Ohrfeigen gaben ...
den sie anspuckten ...“
Falsche Zeugen ... Schläge ... Schande: Adolf verglich sein Leiden mit dem Leiden des Gekreuzigten, aber nie sprach er ein böses Wort gegen seine Verfolger.
Im Jahre 1438 brach in Europa die Pest aus. Sie wütete zwei Jahre lang. Ein Drittel der Menschen in Europa, so berichtete Dominikus, musste sterben.
Auch in der Trierer Kartause hielt der Schwarze Tod Einzug.
„Ich bin ohnehin schon schwach und elend“, dachte Dominikus. „An mir ist nicht viel dran, ich nütze keinem.“ Und er meldete sich als Krankenpfleger für die Pestkranken. Liebevoll sorgte er für sie, wachte bei ihnen Tag und Nacht und tröstete sie. Die Pest verschonte ihn. „Ich, ein ganz unnützer Knecht, soll leben, wenn so viele von uns sterben müssen?“
Auch Adolf von Essen starb. Dominikus betete mit ihm und für ihn. Als er später in seinen Aufzeichnungen Adolfs Leben schilderte, schrieb er mit Einverständnis seiner Ordensoberen das höchste Lob, das einem Kartäusermönch nach altem Brauch zuteil werden konnte: „Er lebte allen Lobes wert.“
An einer anderen Stelle aber fand er ein noch schöneres Wort für Adolf von Essen, von dem er sein Leben lang nur Güte erfahren hatte: „Dieser Mann war Gottes Freund.“
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© Foto 2: kathbild.at / Franz Josef Rupprecht, Franz Josef Rupprecht
© Foto 3: Dominikus von Preussen (+ 1460), Public domain, via Wikimedia Commons