Der wunderbare Kranz, Teil 1 | Wie der Rosenkranz entstanden ist
Der Klang der klappernden Würfel im Becher, die knisternde Spannung, wenn er den Becher auf den Tisch stürzte, das bedauernde „Ach“ der Mädchen, wenn Dominikus verlor – und er brauchte doch Geld, um die Mädchen einladen und weiterspielen zu können. Er borgte Geld aus, konnte es nicht zurückzahlen. Seine Wettschulden wurden immer größer. Schließlich flüchtete Dominikus aus der Universitätsstadt Krakau und begann als „fahrender Scholar“ durch die Welt zu ziehen.
Weil er gescheit, freundlich und temperamentvoll war, gewann er überall Freunde. Aber seine Spielleidenschaft verdarb ihm alle neuen Möglichkeiten. Er enttäuschte die Freunde, er betrog sie, er nützte sie aus – und flüchtete weiter. Immer wieder schwor er sich, ein ganz neues Leben zu beginnen, und immer wieder verlor er den Kampf gegen sich selbst.
„Ich habe mein Leben verpfuscht“, sagte er sich, ein junger Mensch von 25 Jahren.
Krank und elend irrte er durch viele Länder und Städte. Im Oktober des Jahres 1409 kam er nach Trier. Vor den Toren der Stadt lag die Kartause St. Alban. Mühsam, Schritt für Schritt, schleppte sich Dominikus bis zur Klosterpforte und klopfte an. Ein Mönch in weiter Kutte, die Kapuze tief ins Gesicht gezogen, öffnete ihm.
„Kann ich hier Unterkunft finden?“, bat Dominikus. „Ich bleibe bestimmt nicht lang – ich bin sterbenskrank.“ Der Mönch führte Dominikus zum Prior. Der Prior, Adolf von Essen, war nur wenige Jahre älter als Dominikus. Er brachte es nicht über sich, das armselige Menschenbündel abzuweisen. Dominikus erhielt Essen und frische Kleidung und ein Lager in der Zelle.
Der Prior dachte über den seltsamen jungen Menschen nach, der zum Sterben nach St. Alban gekommen war. Er gefiel ihm, trotz seiner Verkommenheit. Aber würde er das strenge Leben eines Kartäusers aushalten? Vielleicht gab es ein Hindernis für den Ordenseintritt? Die Regeln des Ordens sahen eine genaue Prüfung vor. Der Prior bat Dominikus zu einem Gespräch. Auf viele Fragen gab Dominikus keine Antwort. Er wollte den Prior nicht belügen. Aber die Wahrheit über seine Vergangenheit zu sagen – dazu konnte er sich nicht durchringen.
Vielleicht kommt ihm später der Mut, ganz offen zu sein, dachte der Prior und schickte Dominikus zu einem alten, gütigen Freund, einem Karmeliter. „Mit ihm kannst du über alles reden“, sagte er zu Dominikus. „Auch beichten, wenn du willst, und durch die Beichte ein neuer Mensch werden.“
Dominikus besuchte den alten Mönch. Er erzählte ihm sein ganzes Leben. Nichts ließ er aus, keine Gemeinheit, keinen Verrat, keine Erbärmlichkeit. Der alte Mann begann zu weinen, die Tränen rannen ihm über die Wangen. Verwundert sah Dominikus ihn an. Warum weinte der alte Mönch? „Kind“, sagte der Karmelit, „ich wollte, ich hätte dein Bekenntnis nicht anhören müssen!“ Er weint, weil ich ein großer Sünder bin, dachte Dominikus. Er weint, aber ich weine nicht. Bin ich denn noch ein Mensch, wenn ich über meine eigene Schuld nicht weinen kann?
Dominikus erschauerte und wandte sein Gesicht ab. Jetzt stiegen auch ihm die Tränen in die Augen, er warf sich auf den Boden, zitterte und weinte. Der alte Mann bückte sich und streichelte ihn. „Mein Lieber“, sagte er, „es kann alles wieder gut werden.“ Geduldig wartete er, bis der junge Mann sich wieder gefasst hatte. Er wartete eine ganze Stunde lang, bis Dominikus wieder sprechen konnte. Dann gab ihm der alte Mönch die Lossprechung und empfahl dem Prior von St. Alban, Dominikus in die Kartause aufzunehmen.
Oft packte den jungen Dominikus die Angst: Würde er die Probezeit in der Kartause St. Alban durchhalten? Konnte er sich nach seiner unseligen Studentenzeit an das strenge Leben eines Kartäusermönches gewöhnen, an das Arbeiten, Beten, Stillschweigen? Der Prior, Adolf von Essen, selber noch ein junger Mensch, merkte den Kummer seines Schützlings. Er sagte zu Dominikus: „Du wirst durchhalten. Du wirst ein neuer, glücklicher Mensch werden. Ich setze meine Seele für dich ein!“ Heimlich begann Dominikus, seinen Prior zu beobachten. Woher nahm der seine Ruhe, seine Kraft, seine brüderliche Hilfsbereitschaft?
Adolf von Essen stammte aus einer adeligen Familie. Er kannte das Leben am Hof, er interessierte sich für Politik, es war ihm nicht gleichgültig, wer im kirchlichen und politischen Bereich die Macht besaß. Adolf erlebte die Not seiner Verwandten, die Pest, die Kriege, die politischen Streitigkeiten. Damals herrschten zwei oder drei Päpste zur gleichen Zeit, viele Leute wussten nicht, auf wen sie hören sollten. Adolf von Essen erfuhr am eigenen Leib, wie hilflos, wie ratlos ein Mensch sein konnte. Wie erbärmlich sich einer fühlt, wenn er das Elend mitanschauen muss und zu schwach zum Helfen ist. Gott, dachte Adolf, warum lässt Du all dies zu, warum?
All seine gelehrte Wissenschaft konnte Adolf in diesen Augenblicken der Angst und Verzweiflung nicht helfen. Da begann er zu beten, in der ganz einfachen, bescheidenen Weise der armen Leute auf dem Land: 20-, 30-, 50mal hintereinander das Gegrüßet seist du, Maria. Den Gruß des Engels und die Lobpreisung, mit der Elisabet Maria begrüßt hat. Damals schloss das Gebet mit den Worten: Gebenedeit ist die Frucht deines Leibes.
Wenn Adolf so betete, stellte er sich Maria vor, wie sie das Leben ihres Sohnes begleitete. Und er sah das Leben Jesu mit den Augen seiner Mutter. Wie sie „ja“ sagte zu dem Kind, das sie gebären sollte, wie sie es aufzog und behütete, wie sie den jungen Sohn voller Angst suchte und ihn im Tempel wiederfand. Und Adolf begann über das Geheimnis zu staunen, dass der menschgewordene Gott seinen Menschenbrüdern nichts voraushaben wollte. Gott lieferte sich den Menschen aus. Eine Mutter konnte ihn an der Hand führen, ihm Vorwürfe machen. Er gehorchte ihr. Der menschgewordene Gott war gehorsam, litt, ängstigte sich und starb. Kein göttlicher Glanz war in diesem Leiden. Adolf begann zu verstehen, dass das Leid in der Welt ein Geheimnis ist, das der Mensch erst im Angesichte Gottes einmal ganz durchschauen wird. „Ich wüsste mir nicht zu helfen“, sagte Adolf zu seinen Mitbrüdern, „wenn Gott nicht Mensch geworden wäre!“
Er wollte diese neue Art zu beten, durch die er selber Trost fand, auch anderen Menschen erklären. Zu diesen Menschen gehörte die junge Herzogin Margarethe von Lothringen. Sie war unglücklich und verbittert, denn sie hatte erfahren müssen, dass der Herzog eine andere Frau lieber hatte als sie. Diese andere Frau hatte sogar Kinder vom Herzog, gesunde, lustige Buben, aber Margarethe hatte tote Kinder auf die Welt gebracht. Es war schwer, diese junge Frau zu trösten.
Adolf von Essen schrieb ein eigenes kleines Buch für sie, das sie zum Beten des Rosenkranzes anregen sollte. Margarethe war eine gebildete Frau, sie kannte die Lieder der Minnesänger, die das Herz des Menschen mit einem Garten vergleichen und die Rose mit der Liebe. Ein Loblied auf Maria nannte man in adeligen Kreisen „Rosarium“, Rosenkranz. Adolf von Essen erfand einen schönen Titel für sein Buch: „Das Rosengärtlein Unserer Lieben Frau“. Margarethe lernte, den Rosenkranz wie Adolf zu beten: Sie überdachte dabei das Leben Jesu und verglich es mit ihrem eigenen Leben. Da fand sie Kraft und Mut und den Willen, durchzuhalten, zu verzeihen und sich um ihr Volk zu kümmern... Vielleicht könnte auch Dominikus den Rosenkranz lernen, dachte Adolf von Essen, und als Dominikus einmal in seiner Nähe war, sprach er laut zu einem Mitbruder: „So schlecht ist keiner, dass er nicht ein neuer Mensch werden könnte, wenn er ein Jahr lang versucht, den Rosenkranz zu beten.“
Nach den Schriften des P. Karl Joseph Klinkhammer SJ
Nacherzählt von Lene Mayer-Skumanz
Fortsetzung in der nächsten Ausgabe
Verächtlich wird der Rosenkranz als ein Gebet für alte Frauen bezeichnet. Dass dem nicht so ist, erkennen wir, wenn wir die Entstehung des Rosenkranzes bedenken.
Am Beginn dieser Betweise steht ein junger Adeliger Adolf von Essen. In einer schwierigen Lebenssituation findet er dazu, 50 Ave Maria (nur den ersten Teil des heutigen Gegrüßet seist du Maria) zu beten und dabei das Leben Jesu zu betrachten. Ein Mitbruder des Adolf, Dominikus von Preußen, hat sich als Hilfe zur Konzentration die „Leben-Jesu-Sätze“ aufgeschrieben. Natürlich konnten es nicht mehr 50 sein, sondern die Zahl wurde allmählich auf die heutigen 15, bzw. 20 „Leben-Jesu-Sätze“ (Geheimnisse) reduziert.
Durch Rosenkranzbruderschaften wurde diese Betweise dann im Volk verbreitet.
Zum Vorwurf, dass der Rosenkranz ein Gebet für alte Frauen ist: Wir sind dankbar für die vielen Menschen, die ihre alten Tage durch das Beten des Rosenkranzes ausfüllen und bereichern. Ihr Gebet ist ein großer Schatz für die Kirche.
Meine persönliche Erfahrung: Ich habe mit etwa 17 Jahren begonnen, regelmäßig den Rosenkranz zu beten.
P. Benno Mikocki
© Foto 1: Gisela Peter/pixelio.de
© Foto 2: commons.wikimedia.org
© Foto 3 & 4: Franz Josef Rupprecht/kathbild.at