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Was junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler über den Ukraine-Krieg berichten

 

Ein Bericht über das Wiener Symposium "War in Ukraine: Theological, Ethical and Historical Reflections"

 

Foto: Universität Wien / KTF

   

Vom 13. bis 17. Februar veranstaltete die Katholisch-Theologische Fakultät der Universität Wien ein Symposium zum Ukraine-Krieg. Die Tagung brachte knapp 30 junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler (die meisten von ihnen aus der Ukraine) zusammen, die in ihren Vorträgen und den Diskussionen verschiedene Aspekte des Krieges in der Ukraine thematisierten. Höhepunkt des Symposiums war ein (Online-)Vortrag der ukrainischen Friedensnobelpreisträgerin und Vorsitzenden des Kiewer Centers for Civil Liberties, Oleksandra Matviichuk.

 

Olha Uhryn, Universitätsassistentin am Institut für Historische Theologie der Katholisch-Theologischen Fakultät der Uni Wien, hat die Ergebnisse der Tagung in einem Bericht zusammengefasst, den der PRO ORINTE-Informationsdienst im Folgenden dokumentiert:

 


  

Vom 13. bis 17. Februar 2023 veranstaltete die Katholisch-Theologische Fakultät der Universität Wien das Symposium "War in Ukraine: Theological, Ethical and Historical Reflections". An dem Symposium nahmen 27 Referentinnen und Referenten überwiegend ukrainischer Herkunft aus Österreich, Deutschland, Polen, den Niederlanden, Belgien, der Schweiz, Schottland, den Vereinigten Staaten und der Ukraine teil.

 

Die Idee zu dem Projekt entstand Anfang März 2022 als Reaktion einer Gruppe von Fakultätsangehörigen aus verschiedenen Fachbereichen auf die Eskalation des Angriffskriegs Russlands gegen die Ukraine, der am 24. Februar 2022 begonnen hatte. Das Symposium sollte Doktorand*innen und Nachwuchswissenschaftler*innen aus der Ukraine unterstützen und ihnen die Möglichkeit bieten, sich fachlich über den Krieg auszutauschen und seine kulturellen, religiösen und politischen Herausforderungen zu erörtern. In der interdisziplinären Betrachtung sollten Theologie, Ethik und Geschichtswissenschaften zur Sprache kommen, wobei ein besonderer Fokus auf der Perspektive der Ukrainer*innen als der unmittelbar Betroffenen lag.

Aus der Vielzahl der eingegangenen Bewerbungen wählten die Organisator*innen 27 Referent*innen aus, die die geografische Vielfalt der Ukraine (Lviv, Ternopil, Ivano-Frankivsk, Kyjiv, Dnipro, Donezk, Odessa, Mariupol, Simferopol usw.) sowie verschiedene akademische Einrichtungen und Disziplinen widerspiegelten.

 

Zu den Sponsoren der Tagung zählten etwa die Stadt Wien, Renovabis, die Stiftung Zusammenleben in Liechtenstein, die Österreichische Forschungsgesellschaft und diverse Einrichtungen der Universität Wien.

Das Symposion war in thematische Blöcke gegliedert. Es ging dabei u.a. um das Konzept des gerechten Krieges und des gerechten Friedens (Andriy Tretiak, Pavlo Smytsnyuk), die Ideologie der "russischen Welt" und des russischen Imperialismus (Nadiia Volik, Volodymyr Shelukhin), die Verletzung religiöser Rechte und Freiheiten (Oleksandra Kovalenko, Maksym Vasin), die Zerstörung ukrainischer Kulturdenkmäler und Initiativen zu deren Erhaltung (Iryna Hnidyk, Tetiana Kutsyr), ethische Dilemmata und Herausforderungen für religiöse Führungspersonen in der Nachkriegszeit (Tetiana Kalenychenko), die Positionen des Ökumenischen Patriarchen von Konstantinopel Bartholomaios, des Großerzbischofs der Ukrainischen Griechisch-Katholischen Kirche (UGKK) Sviatoslav Shevchuk und von Papst Franziskus zum Krieg (Patrice Hrimle, Kateryna Budz).

 

Als Gastrednerin sprach Oleksandra Matviichuk, Gründerin und Direktorin des "Center for Civil Liberties", das 2022 den Friedensnobelpreis erhielt. Am 15. Februar hielt sie einen Online-Vortrag zum Thema "Impunity breeds War Crimes. How to fight it?". Matviichuk wandte sich unter anderem mit der Aufforderung, gegenüber dem Völkermord in der Ukraine nicht in gleichgültige Distanz zu verfallen, an die Zuhörer*innen: "Ich möchte Ihnen die Namen der Opfer nennen, nicht nur trockene Statistiken, denn wir dokumentieren nicht nur Kriegsverbrechen, wir dokumentieren menschliches Leid."




Beispiele der Präsentationen


Aus der Fülle an Präsentationen seien einige beispielhaft herausgegriffen. Gulnara Abdulayeva vom Fernsehsender ATR beschrieb in der Einheit über die Krimtartar*innen die Zeit auf der Krim zwischen den Annexionen von 1783 und 2014. Nach der Unterwerfung des Khanats der Krim durch Russland begannen religiöse und politische Repressionen, und viele Tatar*innen wurden gezwungen, ihr Land zu verlassen. Elmira Ablyalimova-Chyihoz vom Institut für strategische Studien der Krim bezeichnete die Maßnahmen und die Politik der derzeitigen Besatzungsbehörden auf der Halbinsel Krim als humanitäre Zerstörung, toponymische Repressionen und Vernichtung der religiösen Identität. Andriy Zhyvachivskyi erwähnte Beispiele aus der Geschichte interreligiöser und politischer Zusammenarbeit zwischen den Tatar*innen und ukrainischen Eliten.


Oleksandra Kovalenko zufolge wurden von den 2.100 registrierten Religionsgemeinschaften auf der Krim seit 2014 etwa 900 verboten und vertrieben. Neben den römisch- und griechisch-katholischen Gemeinden sind Jehovas Zeugen, evangelikale Gemeinschaften und Muslim*innen besonders betroffen. Kovalenko berichtete über die Ermordung und Entführung von Geistlichen im Zuge der erzwungenen Russifizierung in den besetzten Gebieten der Regionen Donezk und Luhansk.


Der aus Donezk stammende Philosoph Anton Tarasyuk stellte auf dem Symposium den ersten Band seines englischsprachigen Dokumentarfotografieprojekts "Living the War" vor, das sich an westliche Leser*innen richtet und Erinnerungen von Kyjiver Bürger*innen an die ersten Tage der russischen Invasion enthält. Eine der an diesem Projekt Mitwirkenden ist die bekannte ukrainische Historikerin Natalia Yakovenko.

 

Ergebnisse und Erkenntnisse

 

In seiner Zusammenfassung der Ergebnisse des Symposiums am 17. Februar zeigte der Wiener Professor für Kirchengeschichte Thomas Prügl wichtige Ergebnisse der Tagung auf. Erstens wurde im Zusammenhang mit den Überlegungen zum Krieg die Notwendigkeit eines neuen Konzepts des gerechten Krieges und des gerechten Friedens angesprochen, aber auch die Erfahrung des andauernden Krieges als verändernde Realität für Politik, Gesellschaft und Religion. Thematisiert wurde zweitens auch die Rolle von Kommunikation und Konsensbildung während des Krieges. Die Art und Weise, wie Ukrainer*innen mit dem Krieg umgehen, insbesondere in den sozialen Medien, durch Bilder, Literatur und Folklore, schafft eine gemeinsame Erzählung, die auf gemeinsamen Werten und einer gemeinsamen Hoffnung beruht. Sie zeugt von der Einigkeit und dem Optimismus der „Maidan-Generation“ und einer "neuen" Ukraine.

 

Drittens wurde auf dem Symposium die Rolle der Religion und der Religionsgemeinschaften hervorgehoben, die eine Stärkung der ukrainischen Widerstandsfähigkeit bewirken, aber auch eine ethische Orientierung in dunklen Zeiten bieten. Ein wesentliches Ergebnis des Symposions bestand darin, den Menschen außerhalb der Ukraine zu helfen, den Krieg mit den Augen der Opfer der militärischen Aggression zu sehen.

 

Thomas Mark Németh, Professor für Theologie des christlichen Ostens in Wien und Priester der UGKK, betonte in seinem Schlusswort, dass das Symposium eine wichtige Plattform für interdisziplinären Gedankenaustausch geboten habe. Gerade auch die Theologie könne als wissenschaftliche Disziplin dazu beitragen, öffentliche Diskurse zu fördern und die Rolle der Kirchen in einer freien und demokratischen Gesellschaft zu stärken.

 

Anstelle einer Hinordnung auf den Staat sollten die Kirchen ihren Auftrag stärker als Teil einer zivilen Öffentlichkeit begreifen, betonte Tetiana Kalenychenko, die Direktorin des "European Center for Strategic Analytics" mit Sitz in Kyjiv. Laut Pavlo Smytsnyuk, Forschungsstipendiat an der Princeton University (USA), bot das Symposium wichtige Ansätze für interdisziplinäre Forschung und für die Schaffung eines Netzwerks zwischen jungen ukrainischen und mitteleuropäischen Wissenschaftler*innen und ist eine bedeutende Investition in die Zukunft.

 

Die Ergebnisse des Symposiums sollen in einem Sammelband veröffentlicht werden.

 




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