Im Mittelalter war die Assyrische Kirche des Ostens die geografisch am weitesten verbreitete Kirche der Welt. Der Katholikos (das Kirchenoberhaupt) hatte seinen Sitz in Bagdad, ihm unterstanden aber auch Millionen Christen in ganz Zentralasien, in China, Tibet, ja sogar auf Sumatra und in Indien. Heute zählt diese Kirche nur noch maximal 500.000 Gläubige und der Katholikos hatte über viele Jahre seinen Sitz im „Exil“ in den USA.
Aufgrund der historischen Entwicklung steht die Assyrische Kirche mit keiner anderen Kirche in Kirchengemeinschaft, wiewohl es inzwischen etwa zur römisch-katholischen Kirche bereits sehr positive Kontakte gibt. (Seit 2001 gibt es eine begrenzte Kommuniongemeinschaft zwischen der Assyrischen Kirche und der Chaldäisch-katholischen Kirche.)
Im Gottesdienst dieser Kirche – wir sprechen von ostsyrischen Ritus – können wir weit zurück in die Anfänge des Christentums blicken. Die Liturgie atmet zum Teil noch den frühchristlich-jüdischen Geist der ersten Jahrhunderte. Liturgiesprache ist das Syrische (Aramäische), jene Sprache, die auch Jesus gesprochen hat. Ein Spezifikum der Assyrischen Kirche besteht darin, dass immer ein Teil des eucharistischen Brotes wieder in den neuen Brotteig gemischt wird.
Die Assyrische Kirche kennt sieben Sakramente, die zum Teil aber inhaltlich nicht ganz den katholischen entsprechen. (Taufe, Eucharistie, Priesterschaft, Sündenvergebung, Salbung, das Kreuzeszeichen sowie der Sauerteig, der dem Brot des Abendmahls beigegeben wird.) Die kirchlichen Feste und Fastenzeiten entsprechen im Wesentlichen denen der anderen christlichen Kirchen. Bischöfe und Mönche leben ehelos, Priester dürfen heiraten und zwar im Gegensatz zu den übrigen Ostkirchen auch nach der Priesterweihe. Oberhaupt der Kirche ist der Katholikos-Patriarch.
Die Geschichte der Assyrischen Kirche fasziniert: Von Antiochien und Edessa aus überschritten christliche Missionare schon bald die Grenzen des Römischen Reiches und gründeten auch im Perserreich christliche Gemeinden. - Die Ursprünge der Assyrischen Kirche.
Die Kirche selbst führt ihre Entstehung vor allem auf die Apostel Thomas und Thaddäus (aramäisch Addai) zurück. In Mesopotamien entwickelte sich so schon in den ersten Jahrhunderten eine blühende Kirche, die auch große Theologen und Kirchenväter hervorbrachte. Die theologische Schule von Edessa und später jene von Nisibis waren tonangebend.
Von den kirchenpolitischen und teils theologischen Vorgängen im römisch-byzantinischen Reich war die Kirche im Perserreich aber weitgehend abgeschnitten. Vertreter der Assyrischen Kirche konnten an den ersten kirchlichen Konzilen (Nicäa 325, Konstantinopel 381, Ephesus 431 und Chalcedon 451) nicht teilnehmen. Erst auf ihrer eigenen Synode von Seleukia-Ktesiphon im Jahr 410 rezipierte die Kirche die Konzilsbeschlüsse von 325 und 381. Zur Rezeption der Beschlüsse von Ephesus und Chalcedon kam es dann später nicht mehr. So kam es – eigentlich erst im Nachhinein – zum „Bruch“ mit der Reichskirche.
Während sich die Assyrische Kirche in den ersten Jahrhunderten relativ frei im Perserreich entwickeln konnte, setze ab dem 4. Jahrhundert eine Zeit der Verfolgung ein. Im gleichen Ausmaß, wie im Römischen Reich die Christen immer mehr Freiheiten erhielten und schließlich das Christentum sogar zur Staatsreligion wurde, wurde die Kirche im Perserreich unterdrückt. Man bezichtigte sie der Kollaboration mit den römischen Feinden. Das führte dazu, dass die Kontakte zwischen der Assyrischen Kirche und der übrigen Kirche immer mehr abrissen.
Der Katholikos hatte seit dem 5. Jahrhundert seinen Sitz in Seleukia-Ktesiphon (in der Nähe der heutigen Hauptstadt Bagdad). Die Kirche entwickelte, losgelöst vom Rest der Christenheit, eine rege Missionstätigkeit. Mitte des 7. Jahrhunderts erreichten die ersten Missionare bereits China und gründeten dort christliche Gemeinden. In vorislamischer Zeit gehörten der Kirche auch viele Araber- bzw. Beduinenstämme auf der Arabischen Hablinsel an.
Nachdem die Araber im 7. Jahrhundert Persien erobert hatten, wurde die Assyrische Kirche zu einer Minderheit in einer islamischen Welt, behielt aber ihre Strukturen vorerst weiter bei. In ganz Zentralasien und China und Indien gab es Diözesen, Bischöfe, christliche Gemeinden und Schulen. Einigendes Band waren die syro-aramäische Liturgie und Kultur. Im 9. Jahrhundert erfuhr diese Expansion einen massiven Dämpfer, weil der chinesische Kaiser aus politischen Motiven heraus das Christentum verbot. Es verschwand (für einige Zeit) fast vollständig aus China.
Für die Kirche in Mesopotamien war es schwierig, dem ständigen Islamisierungsdruck zu widerstehen. Nicht-Muslime - Christen, Juden und Zoroastrier - hatten die Wahl, zum Islam zu konvertieren oder höhere Steuern zu zahlen. Immer wieder kam es auch zu Ausschreitungen gegen die religiösen Minderheiten. Zugleich waren vor allem das 9. und 10. Jahrhundert auch äußerst produktiv. In Bagdad, dem Sitz der Kalifen, übersetzten syro-aramäische christliche Gelehrte die bedeutendsten griechischen Texte der Antike zuerst ins Syrische und dann ins Arabische und retteten so die geistesgeschichtliche Welt der Antike für die Nachwelt.
Vor allem die vorerst in religiösen Belangen tolerante Herrschaft der Mongolen ermöglichte der Assyrischen Kirche schließlich im 12. und 13. Jahrhundert auch ein Comeback im Fernen Osten. Der Katholikos in Bagdad war das spirituelle Oberhaupt einer geographisch riesigen Kirche. Die Missionstätigkeit hinterließ Spuren, die bis heute den unermesslichen Reichtum dieser Kirche sichtbar machen. Entlang der Handelswege insbesondere der Seidenstraße finden sich Überreste von Taufbecken, Grabsteinen und Kreuzen. Die größte Ausdehnung mit 230 Diözesen erreichte die Kirche im 13. Jahrhundert. (In Indien standen die sogenannten Thomas-Christen lange Zeit mit der Assyrischen Kirche in Gemeinschaft, die Bischöfe in Indien wurden vom Patriarchen von Bagdad eingesetzt.)
Diese Blütezeit wurde dann durch einen politischen Wechsel innerhalb des Mongolenreiches abrupt beendet. Die Christen wurden im 14. Jahrhundert verfolgt und in Ost- und Zentralsien ist das Christentum damals so gut wie vollständig verschwunden.
Die Assyrische Kirche fand sich bald wieder auf ihr Kerngebiet in Mesopotamien und Syrien beschränkt. Der Erste Weltkrieg und der Genozid im Osmanischen Reich an den Christen hätte fast zur vollständigen Auslöschung der Assyrer geführt. 1918 waren nur mehr 50.000 Assyrer am Leben. Ein großer Teil der Überlebenden floh in den Irak, wo man auf den Schutz der Briten hoffte. Nach dem Abzug der Briten 1933 kam es aber wieder zu Massakern an den Assyrern, und so floh der Großteil der Gläubigen ins Ausland. Der Katholikos verlegte seinen Sitz in die USA. Die Gläubigen der Assyrischen Kirche sind seither über die ganze Welt verstreut. Sie leben teils noch im Irak und in Syrien, viele aber auch im Libanon, in Europa, Nordamerika und in Australien.
In den 1960er Jahren kam es dann unter der ohnehin schon sehr kleinen Kirche zu einer Spaltung wegen innerkirchlicher Meinungsverschiedenheiten, die vor allem Kalenderfragen betrafen. Heute gibt es daher zwei Patriarchate, eines mit Sitz in Bagdad und rund 70.000 Gläubigen („Alte Assyrische Kirche des Ostens“) und der schon bisher bestehende Teil der Kirche. Katholikos Mar Gewargis (seit 2015 im Amt) hat den Sitz des Patriarchats aus den USA wieder zurück in den Irak verlegt. Er residiert nun in der nordirakischen Stadt Erbil.
In Deutschland gibt es einige assyrische Gemeinden mit insgesamt rund 6.000 Gläubigen. Auch in der österreichischen Bundeshauptstadt Wien existiert eine kleine aber sehr lebendige Gemeinde.
Die bedeutendste Kirche im Land ist die Chaldäisch-katholische (67%). Weitere einheimische Kirche sind die Kirche des Ostens (20%), die Syrisch-orthodoxe und Syrisch-katholische Kirche (zusammen 10%), sowie die Armenisch-apostolische und Armenisch-katholische. Dazu kommen noch einige wenige Gläubige anderer Kirchen, etwa der Römisch-katholischen oder auch von Kirchen der reformatorischen Tradition.
Die religiöse Vielfalt im Irak ist groß, denn neben den Christen gibt es noch weitere religiöse Minderheiten im Land: Jesiden, Schabak, Mandäer, Kakai und Zoroastrier. Die irakische Verfassung garantiert Religionsfreiheit. Andererseits ist genauso festgeschrieben, dass kein Gesetz dem Islam widersprechen darf. Das führt in der Praxis immer wieder zu Problemen und Diskriminierung der Minderheiten.
Für den chaldäischen Patriarchen Louis Raphael Sako I. hängt die Zukunft des Irak davon ab, ob es gelingt, einen Bewusstseinswandel herbeizuführen, wonach nicht mehr religiös-ethnische Zugehörigkeiten im Land dominieren, sondern alle Iraker als gleichberechtigte Bürger ihres Landes gelten. Dazu braucht es auch eine Änderung der Verfassung und neue politische Spielregeln.