Cornoa-Krise kann frühere Traumata reaktivieren
"Die Maßnahmen rund um Corona beinhalten etliche sogenannte Trigger für psychische Leidenszustände. Das bedeutet, die momentanen Erfahrungen können ein plötzliches und intensives Wiedererleben vergangener, sehr belastender Ereignisse oder Gefühlszustände reaktivieren". Das betonte die Leiterin der Telefonseelsorge in Oberösterreich, Silvia Breitwieser, am Montag in einer Aussendung. Auf psychischer Ebene vermischten sich dabei neue und alte Belastungen. Man fühle das Gleiche wie damals - als wäre man wieder mittendrin.
Covid-19 bringe vielerlei außergewöhnliche Umstände auf nahezu allen Ebenen mit sich: Isolation, massive Kontakteinschränkungen, ständige Konfrontation mit Themen rund um Krankheit und Tod, Einschränkungen der persönlichen Freiheit, Wirtschaftskrise, finanzielle und berufliche Unsicherheiten, Rekord-Arbeitslosigkeit, die Schließung von Geschäften, Kinos, Theatern und vieles mehr. "Unsere Welt ist derzeit kaum wiederzuerkennen. Sie konfrontiert uns mit neuen Eindrücken, neuen Erfahrungen, zeigt uns neue Bilder", so Breitwieser. Bilder, die manchmal auch an vergangene leidvolle Zeiten erinnern und ihre Wirkung entfalten würden.
So sei etwa die Isolation häufig Auslöser für Depressionen: Das Wissen darum, lange Zeit zu Hause isoliert zu sein, könne ausreichen, um eine depressive Episode hervorzurufen. Auch die Stille könne als Trigger wirken, an verstorbene geliebte Menschen erinnern und scheinbar abgeschlossene Trauerreaktionen reaktivieren, so Breitwieser. Auch für alkoholkranke Menschen beinhalte die Situation ihre Trigger - die aktuelle soziale, wirtschaftliche und persönliche Verunsicherung könne hier sehr überfordernd sein.
Speziell traumatisierte Menschen seien von der Reaktivierung belastender Ereignisse betroffen, wie Breitwieser berichtet: "Vor allem ältere Menschen, die den Zweiten Weltkrieg und die anschließende Besatzungszeit miterlebt haben, schildern, dass die derzeitige Lage alte Traumata weckt, die sie längst vergessen glaubten. Die Wirkungen vieler Maßnahmen erinnert viele an die Zeit rund um den Krieg. Dass solche Traumata wiederbelebt werden, sei eine weitgehend normale Reaktion auf abnorme Umstände", so die Expertin.
Negative Regungen anerkennen
Im Umgang damit sei es laut Breitwieser zunächst nötig, diese negativen Regungen anzuerkennen und sie sich einzugestehen - in einer unsicheren Zeit dürfe man sich auch unsicher fühlen. "Um aber nicht in diesem umfassenden Wiedererleben traumatischer Zustände steckenzubleiben, ist es ratsam, sich auf das Hier und Jetzt zu besinnen, ganz bewusst das Heute vom damals zu unterscheiden. Der Kontakt und die Verbundenheit mit anderen Menschen besitzt hierfür eine enorme Wichtigkeit. Es hilft, darüber zu reden, sich über Erfahrungen und Gefühle auszutauschen."
Die eigene Vorstellungskraft könne genutzt werden, um sich in Gedanken an schöne, "sichere" Orte zu verfrachten oder sich die schönen Dinge vorzustellen, die nach der Krise wieder möglich sein werden. Damit könnten andere Gefühlszustände erzeugt werden. Seien die Krisen aber so stark, dass sie allein nicht bewältigt werden können, sollte unbedingt Hilfe gesucht werden, rät die Psychotherapeutin.
David Sonntagbauer, Referent der TelefonSeelsorge, ermutigt Menschen, die von der Krise seelisch extrem belastet sind, sich ihre Sorgen und Ängste von der Seele zu reden:
Der vertrauliche Charakter des Notrufdienstes macht es möglich, dass Menschen über Nöte reden, die sie im Freundes- und Familienkreis nicht ansprechen können.
Die Anrufer seien oft Personen, die unter den Folgen von schwierigen Erlebnissen leiden und deren Leben aufgrund widriger Ereignisse oder Umstände in seiner Entwicklung gehemmt sei, so Sonntagbauer. Am Telefon gelte es erst einmal, den Schmerz und das Leid mit auszuhalten und nichts zu beschönigen oder wegzureden. Sonntagbauer:
Die Berater helfen in der Rolle eins mitfühlenden Zeugen dabei, über traumatische Erfahrungen und widrige Lebensumstände zu sprechen. Dies führt oft dazu, dass Geheimnisse um schmerzhafte oder beschämende Ereignisse gelüftet werden können. Oft wird unterschätzt, wie sehr sich Betroffene schämen, wenn sie anderen von ihren Verwundungen und ihren Leiden erzählen.
Unter der Notrufnummer 142 können Anrufende ohne Angst vor Bewertungen oder Konsequenzen, ohne das Gefühl, versagt zu haben, und ohne Scham mit einer neutralen Person über ihre Schwierigkeiten, Sorgen, Ängste, Nöte sprechen. Telefonseelsorge ist an allen Tagen des Jahres rund um die Uhr erreichbar, vertraulich und kostenlos.
Quelle: kathpress