Theologe: Pandemie auch keine "säkularisierte Gottesstrafe"
Dem zuletzt öfter vorgebrachten Gedanken, Covid-19 sei "in gewisser Weise die Rache der Natur bzw. unserer entfremdeten Lebensart, letztlich also die Strafe für unser Verhalten oder zumindest dessen Konsequenz", kann Alois Halbmayr, Dekan der Theologischen Fakultät in Salzburg, wenig abgewinnen. Hier werde ähnlich argumentiert wie bei der Gottesstrafe, "nur ist es nicht ein Gott, der uns die Plage schickt, damit wir umkehren, sondern die Natur, die als säkularisierte Strafinstanz erscheint". Dem hielt der Professor für Systematische Theologie in seinem Beitrag auf der Website feinschwarz.net entgegen, Pandemien habe es immer gegeben und sie würden "wohl auch in der gerechtesten und ökologischsten aller Welten vorkommen".
Im öffentlichen Diskurs spielten theologische Interpretationen keine große Rolle, so die Beobachtung Halbmayrs. "Und, man muss es sagen, das ist auch gut so." Denn es gebe keine theologische Erklärung oder Deutung der gegenwärtigen Pandemie. "Sie ist eine medizinische, politische, ökonomische und wohl auch psychologische Frage, aber sie ist keine unmittelbar theologische." Letztlich bleibe nur die Antwort des Buches Hiob aus dem Alten Testament, wies Halbmayr hin: "Wir wissen nicht, warum die Welt so ist, wie sie ist, warum die einen leiden und die anderen nicht."
Theologisch lasse sich "nicht im Modus des Wissens, sondern allein im Modus der Hoffnung" sagen, dass die Menschen trotz der nicht beantwortbaren Theodizee-Frage mit guten Gründen auf Gottes Zusage vertrauen dürfen, "dass er unser Leben in der Hand hält, es begleitet und führt, auch im größten Unglück und Elend gegenwärtig und treu ist, ja letztlich auch das verlorenste, bitterste und viel zu früh beendete Leben zur Vollendung führt".
Und genau dies erachtet der Salzburger Theologe als derzeitige Kernaufgabe der Kirche - nämlich Hoffnung und Vertrauen zu stärken. Diesbezüglich gesetzte Initiativen sollten nicht von der Angst getrieben sein, als Kirche "im Wettkampf der Aufmerksamkeiten" unterzugehen, sondern der Überzeugung folgen, dass dem eigenen Grundauftrag mit der absichtslosen Unterstützung der Menschen am besten entsprochen wird. Halbmayr:
Die wichtigste, ursprünglichste und höchste Form des Gottesdienstes ... ist die Nächstenliebe, die Solidarität mit den Bekümmerten und Notleidenden.
"Verkürztes Eucharistieverständnis"
Eine kritische Anmerkung machte der Dekan hier zu einem "verkürzten Eucharistieverständnis und einem problematischen Priesterbild", wenn etwa die Kirchenleitung verlautbare, dass "jeder Priester, egal welchen Alters, selbst in der gegenwärtigen Ausnahmesituation das Recht habe, persönlich die Osterliturgien zu feiern". Priester, die nun nicht mehr nur Christus und das Gegenüber zur Gemeinde repräsentierten, sondern gleichzeitig auch noch das Volk Gottes verkörpern, bewertete Halbmayr als Rückfall in eine vom Zweiten Vatikanischen Konzil überwundene Sichtweise. "Kirchliche Selbstmarginalisierung" sei hier zu befürchten.
Mit Skepsis betrachtet der Theologe auch die zuletzt von vielen Zusehern genutzten medialen Gottesdienstübertragungen: "Wer im Fernsehen oder Internet manche Übertragungen von Eucharistiefeiern sieht, mit einer Handvoll ausgewählter Personen, buchstäblich hinter verschlossenen Türen - wen deprimiert ein solches Bild nicht und wer sieht es nicht als Vorboten der Zukunft?"
Gegen Krise keine "Glasperlenspiele"
Jetzt gehe es vordringlich darum, die Pandemie zu beenden, befand der Dekan. Es gelte alles zu tun, dass eine optimale Versorgung für jeden Menschen, der sie braucht, gewährleistet bleibt. Nach überwundener Krise würden sich viele grundlegende Fragen stellen: "Werden die (derzeit gewiss notwendigen) Einschränkungen der Grundrechte wieder vollständig aufgehoben? Wem werden die entstandenen Kosten aufgebürdet, wie können diejenigen, die derzeit die großen Verlierer*innen in sozialer und ökonomischer Hinsicht sind, wieder Perspektiven entwickeln? In welcher Weise braucht es den Umbau unserer Gemeinwesen und Ökonomien? Wie kann es uns gelingen, fairere Lohn- und Besitzverhältnisse zu schaffen und mehr Menschen von einem nachhaltigeren Lebensstil zu überzeugen?"
Zu all dem werden qualifizierte Beiträge aus der Theologie hoffentlich nicht fehlen, so Halbmayr abschließend: "Sie sind allemal wichtiger als Glasperlenspiele in der eigenen Filterblase."
Quelle: kathpress