Scheuer: Glaube braucht Gemeinschaft und Allein-sein-Können
Die gegenwärtige Corona-Pandemie macht deutlich, dass ein reifer Glaube sowohl Gemeinschaft als auch das Allein-sein-Können braucht. Diese Erfahrung könne die Kirche als Institution wie auch jeder einzelne jetzt machen, führte Bischof Manfred Scheuer in einem Interview mit dem "Kurier" am Ostersonntag aus.
Die fehlende Gemeinschaft könne in der aktuellen Situation auch symbolisch erfahrbar werden. Obwohl der Petersplatz beim außerordentlichen Papstsegen "Urbi et Orbi" völlig leer gewesen sei, hätten die Kolonnaden gleichsam die Leiden und Schmerz der Welt hereingenommen, so der Linzer Bischof. Gleichzeitig mache der schmerzhafte Umstand, dass man nicht in Gemeinschaft und in gewohnter Weise feiern könne auch stärker bewusst, was fehlt und "wo wir oberflächlich geworden sind".
Für den Glauben sei neben der Gemeinschaft als zweiter Pol auch das Allein-sein-Können wichtig. "Ich bin im Glauben unersetzbar, das heißt, ich brauche Zeiten der Stille und des Alleinseins", betonte Scheuer, der auf den deutschen Philosophen Herbert Marcuse verwies. Dieser hatte gemeint, dass es keine freie Gesellschaft ohne Stille, ohne einen äußeren und inneren Bereich der Einsamkeit gibt. Scheuer: "In der Einsamkeit bin ich unverwechselbar, mich gibt es nur einmal. Fromm gesagt, ich lebe vor Gott, von Angesicht zu Angesicht." Freilich gebe es daneben auch die Gefahr der Vereinsamung, "die letztlich ein Fluch und nicht zum Aushalten ist".
Laut dem Linzer Bischof führe die Pandemie auch zu einer neuen Verhältnisbestimmung von Globalität, Staat und lokaler Ebene. Obwohl die Pandemie ein globales Ereignis sei, stünden nicht internationale Organisationen, sondern vielmehr Politiker auf nationaler und lokaler Ebene hoch im Kurs. "Manche Dinge wie die Regelung des Alltags, der Wirtschaft, der Kultur etc. kann nicht global verordnet werden."
Der Bischof konstatierte einen "Lernprozess, die unterschiedlichen Formen von Nähe und Distanz, die unterschiedlichen Ebenen des Zusammenlebens und die verschiedenen Verantwortungsebenen wieder etwas besser in den Blick zu nehmen. Auch dass wir zusammenarbeiten müssen." Die internationale Vernetzung habe manche Vorteile, "aber es werden in solchen Zeiten, wo man sich abgrenzen muss, auch die Nachteile bewusst".
Quelle: kathpress