Johannes der Täufer und Franz von Assisi
zwei adventliche Gestalten
In der christlichen Ikonographie finden wir mehrere Bildwerke bedeutender Künstler, welche die biblische Gestalt Johannes des Täufers und jene des hochmittelalterlichen Franz von Assisi anachronistisch gemeinsam in Szene setzen. Gerade das in seiner Reduktion auf das Wesentliche und durch die ungewöhnliche Farbkomposition so ausdrucksstarke Kunstwerk des El Greco (1541-1614) vermag den Betrachter zu fesseln und in eine ungeahnte Bedeutungstiefe zu führen.
Johannes der Täufer |
Franz von Assisi |
Johannes der Täufer
In der Liturgie des Advents spielt der Täufer Johannes eine bedeutende Rolle. Die Evangelien des zweiten und vierten Adventsonntags erzählen – je nach liturgischem Lesejahr – von der Berufung des Johannes in der Wüste, von dessen Auftreten als Vorläufer Christi im Sinne der Umkehrpredigt, sowie von seinem deutlichen Hinweis auf den kommenden Messias. Aus dem Berufenen wird der kraftvolle Rufer in der Wüste, der sich selbst ganz zurücknimmt, um dem Raum zu geben, dem alle Größe gebührt und das Gericht, Jesus Christus.
Büßer in der Wüste
El Greco zeichnet ein treffliches Bild von Johannes. Ein ausgemergelter Asket, von dem sozusagen nichts bleibt als eine zerzauste Gestalt, die sich zurücknehmend zum Hinweisschild wird für die leicht übersehbare Mitte, nämlich das geduckte Lamm. Dessen Bestimmung wird die Schlachtbank jenes Kreuzes sein, das der Büßer bereits zart angedeutet in der Linken hält. Mit dem überlangen knöchrigen Zeigefinger der Rechten deutet er hin auf das Lamm. Es ist jenes Zeigefingermotiv, welches bereits Matthias Grünewald am berühmten Isenheimer Altar zu Colmar vorgezeichnet hatte. Die Wolkenkomposition erinnert in ihrer Dramatik bereits an das Himmelsschauspiel über Golgota beim Sterben des Lammes ohne Makel am Holz des Kreuzes.
An der Schwelle zu Neuem
Johannes der Täufer gilt theologisch als Brückenkopf vom Alten zum Neuen Bund, gleichsam als der letzte der alttestamentlichen Propheten, dem es gegönnt war, den erwarteten Messias selbst zu erleben. Beim Besuch Mariens bei der Base Elisabet war es nicht nur die freudige Begegnung zweier beschenkter Frauen, sondern auch das Zusammentreffen zweier besonderer ungeborener Kinder mit Erkennungsmoment. In der Form eines Lobgesangs (Canticums) lässt das Lukasevangelium Zacharias, den Vater des Johannes, die Bestimmung seines neugeborenen Sohnes im sogenannten Benedictus hymnisch erklingen […] Und du, Kind, wirst Prophet des Höchsten heißen; denn du wirst dem Herrn vorangehen und ihm den Weg bereiten. Du wirst sein Volk mit der Erfahrung des Heils beschenken in der Vergebung der Sünden (Lk 1,76-77).
Christuserkenntnis als Weg
Im Advent gehen wir der Ankunft des erwarteten Messias entgegen, hoffend, fragend und vielleicht auch zweifelnd. Selbst Johannes musste diesen Weg auf sich nehmen. Das Auftreten Jesu scheint ihn trotz allem etwas verunsichert zu haben. Die Beziehung der beiden im Erwachsenenalter wirkt nun formeller. Gerade bei Johannes ist auch ein Moment der Unsicherheit und Zurückhaltung zu spüren. Sein hoffnungsvolles persönliches Erwarten ist eingespannt zwischen der übersandten Frage an Jesus: Bist du der, der kommen soll, oder sollen wir auf einen anderen warten? (Mt 11,3) und dem klaren Bekenntnis: Seht, das Lamm Gottes, das die Sünde der Welt hinwegnimmt (Joh 1,29).
Vom Vorläufer zum Blutzeugen
Genau genommen sind nicht die Unschuldigen Kinder die ersten Blutzeugen Christi. Man kann guten Gewissens schon Johannes den Täufer zu diesen zählen. Letztlich hat seine konsequente Umkehrpredigt auch gegenüber Mächtigen ihm den Kopf gekostet. König Herodes war einerseits beeindruckt vom ganzen Auftreten des Täufers und er hörte ihm, wie es heißt, sogar gerne zu. Andererseits blieb er ein Gefangener seiner eigenen Lebensgeschichte. Die „Johannes Schüssel“ mit dem geköpften Haupt, vor allem im Mittelalter beliebtes Motiv in der Kunst, bleibt somit Mahnmal für jegliche Halsstarrigkeit gegen angebotene Veränderung, Umkehr und Neuausrichtung.
Franziskus
Nicht ohne Grund gesellt der Maler El Greco den heiligen Franz von Assisi auf seinem Bild zu Johannes dem Täufer. Vielleicht hatte es der Auftraggeber so gewünscht oder bestellt, thematisch ergeben sich in jedem Fall vergleichbare Pendants. Auch Franziskus passt gut in den Advent in seinem Bemühen, in der verrohten und entheiligten Kirche seiner Zeit Christus, den Herrn, wieder ins Zentrum zu stellen und damit einen neuen Blick auf den Mitmenschen und die ganze Schöpfung zu gewinnen. Wie der Täufer Johannes wurde Franziskus zu einem ausdrucksstarken Zeichen, zu einem Wegweiser hin auf den zu jeder Zeit kommenden Christus.
Büßer von Assisi
Dies war der von Franziskus gewählte erste Name für seine Wandergemeinschaft. Aller Anfang jeder erhofften Veränderung im Großen ist die persönliche Umkehr und Bußfertigkeit. Auf El Grecos Bild erscheint Franziskus als nicht minder asketische Gestalt, angetan mit einem Habit aus grobem Stoff in Kreuzesform. Der Gesichtsausdruck und die Gestik der Hände zeigen die Betroffenheit eines Büßers, der als Nachgeborener die dreifache Tragik und Größe von Krippe, Kreuz und Altar bereits zusammenschaut. Sein Blick geht daher nicht dem Finger des Täufers folgend auf das Lamm, sondern bleibt ein verinnerlichter, nach außen abwesender. Nichtsdestotrotz wurde das Lamm Gottes neben Kreuz und Totenschädel ein häufiges Attribut des Heiligen, ein schönes Bindeglied zu Johannes dem Täufer.
Erneuerer der Kirche
Angesprochen vom Gekreuzigten in der Kirche von San Damiano: Geh, Franziskus, und bau meine Kirche wieder auf, fand der unscheinbare Büßer von Assisi seine eigentliche Berufung. Hatte er sich zunächst mit eigenen Händen um die zerfallene Kapelle gekümmert, vermochte er nach und nach mit brennendem Herzen dem vergessenen Gottessohn in den Herzen der Menschen eine neue Wohnung zu bereiten. Ein wahrhaft adventliches Bemühen. Von der Krippenfeier von Greccio wird berichtet, dass Franziskus mit all seiner Liebe und Einfalt den in den Herzen der Gläubigen erkalteten Christusknaben wieder ins Leben, in die Mitte brachte.
Sehnsucht nach Christus
Im Introitus (Eingangsgesang) der Marienmesse im Advent, landläufig Rorate genannt, drückt sich die flehentliche Erwartung nach dem Messias aus: Tauet ihr Himmel, den Gerechten, ihr Wolken regnet ihn herab! Franziskus trug eine leidenschaftliche Sehnsucht nach einer immer intensiveren Gemeinschaft mit dem Herrn in sich, die sich hin steigerte bis zu jener mystischen wie augenfälligen Vereinigung mit dem Gekreuzigten am Berg von La Verna im Jahr 1224, welche als Stigmatisation bezeichnet wird. Ähnlich wie bei Johannes ging diesem Erkennensprozess eine tiefe Verunsicherung voraus, ob es wohl der Herr sei, dem auch er die Menschen neu zuführen wollte. Diesen Weg des Franziskus drücken wohl die Worte des heiligen Paulus treffend aus: Christus will ich erkennen und die Macht seiner Auferstehung und die Gemeinschaft mit seinen Leiden (Phil 3,10).
Den Wesentlichen nicht übersehen
Johannes der Täufer und Franz von Assisi sind adventliche Hinweisschilder auf dem Weg ins Zentrum, hin zum erwarteten Messias, den Herrn Jesus Christus, der uns entgegenkommt als das Agnus Dei, das Lamm Gottes, das die Sünden der Welt hinwegnimmt. Die Zartheit und Sanftheit des Lammes ohne Fehl und Makel drückt viel aus vom Wesen Gottes. Am Bild des El Greco ist es der leicht übersehbare, unterdimensionierte Hauptdarsteller. Nur die zwei Büßenden, das heißt, wer sich selbst zurücknehmen kann, vermag dessen Gegenwart wahrzunehmen und auch andere zu ihm hinzuführen.
Bildtext: El Greco
P. Oliver Ruggenthaler OFM