Scheuer: Entschiedener Einsatz gegen Antisemitismus
80 Jahre nach der Pogromnacht bzw. nach der Shoah stehen wir hier in großer Betroffenheit und fragen uns, was war in der Geschichte unseres Landes, in den Köpfen und Herzen der Menschen unseres Landes, dass solche Ausgeburten des Bösen geschehen konnten.
Mit diesen Worten hat der Linzer Bischof Manfred Scheuer am Mittwochabend seine Betroffenheit beim Gedenken an die Zerstörung der Synagoge in Linz vor 80 Jahren zum Ausdruck gebracht.
An der Gedenkveranstaltung zum Novemberpogrom in der Linzer Bethlehemstraße nahmen Vertreter der Kirchen, der Politik und des Judentums teil. Bischof Scheuer rief auf zur Wachsamkeit "gegenüber jeglicher Form von Politik, die auf Abwertung und Ausgrenzung von Minderheiten setzt". Insbesondere gelte es hellhörig zu sein "im Hinblick auf jede Form des Antisemitismus". Nachsatz: "Wir werden entschieden entgegen treten."
In den Morgenstunden des 10. November 1938 hatten Angehörige der SA und SS bei der Synagoge Feuer gelegt. Die Polizei hatte alles penibel dokumentiert, aber nicht eingegriffen. Das 60 Jahre zuvor errichtete Gebetshaus brannte bis auf die Grundmauern nieder. Mit der Synagoge wurde auch die jüdische Gemeinde völlig vernichtet. Linz war das Zentrum jüdischen Lebens in Oberösterreich. Bei der Volkszählung 1934 hatten sich 966 Personen zum jüdischen Glauben bekannt. Der Großteil von ihnen wohnt in Linz, wo es neben der Synagoge, eine "Jüdische Bildungsstelle" und jüdische Sport- und Jugendvereine gab. Seit dem "Anschluss" Österreichs an das Deutsche Reich im März 1938 verging aber keine Woche, in der nicht Wohnungen und Geschäfte jüdischer Familien "arisiert" - also enteignet oder zwangsweise verkauft - wurden und immer neue Schikanen das Leben der Gemeinde einschnürten, bis es im November 1938 völlig zum Erliegen kam.
In der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 sei das Angesicht Österreichs und auch der Stadt Linz grundlegend verändert worden, so Bischof Scheuer weiter:
War die jüdische Gemeinde davor ein Teil der österreichischen Gesellschaft und Kulturlandschaft gewesen, so hat mit dieser Nacht die Wandlung hin zu einem weitgehend synagogen- und judenleeren Staat begonnen.
Die Shoah habe tiefe Risse hinterlassen, so der Bischof, der auch auf eine gemeinsame Erklärung von Kultusgemeinde und dem Ökumenischen Rat der Kirchen in Österreich verwies:
Die christlichen Kirchen in Österreich trauern mit den jüdischen Gemeinden aus Anlass des 80. Jahrestages der November-Pogrome.
Christen und Juden würden sich heute dazu bekennen, "gemeinsam im Gespräch zu bleiben und sich für Frieden und gegen jegliche Gewalt und Ausgrenzung einzusetzen", sagte der Bischof unter Verweis auf die gemeinsame Erklärung. Antisemitismus, Rassismus und Diskriminierung stellten einen Rückschritt in der Geschichte dar und müssten alle mit Sorge erfüllen. Es sei wichtig, die Sprache bzw. die "hasserfüllten Worte" nicht zu unterschätzen, die in unseren Gesellschaften verbreitet werden. Durch eine Kultur der Begegnung, der Kenntnis der Gegenwart und der Erinnerung an die Vergangenheit müsse der Einsatz verstärkt werden, um allem Rassismus und Antisemitismus entgegenzutreten.
Politische Naivität, Angst, eine fehlgeleitete Theologie, die über Jahrhunderte hinweg die Verachtung des jüdischen Volkes gelehrt hatte, und mangelnde Liebe hätten viele Christen damals veranlasst, "gegenüber dem Unrecht und der Gewalt zu schweigen, die jüdischen Menschen in unserem Land angetan wurden", so Bischof Scheuer in seiner Gedenkrede am Mittwochabend: "Insgesamt müssen wir 80 Jahre nach den schrecklichen Ereignissen von 1938 einbekennen, dass es in unserem Land damals 'zu wenig Gerechte' gegeben hat. Die katholische Kirche in Oberösterreich stellte keine Ausnahme im Kontext dieser schmerzhaften Verstrickung dar."
Das Gedenken an das Pogrom vor 80 Jahren sei Anlass, heute deutlich zu machen:
Die Kirchen sind dankbar für das Gotteslob des jüdischen Volkes. Dieses Gotteslob führt uns zur Quelle unseres eigenen Glaubens. Die Kirchen sind dankbar für die vielfältigen Formen jüdischen Lebens in unserem Land. Die Kirchen verstehen und lehren ihren Glauben so, dass dies nicht in Abwertung der jüdischen Religion geschieht, sondern in stetiger Erinnerung an Gottes Treue zu seinem erwählten Volk.
Die vor 50 Jahren neu errichtete Synagoge in Linz sei ein Ort des Gedenkens an die Shoah. Sie sei aber aber auch ein "Ort der Auferstehung der jüdischen Gemeinde und der Hoffnung".
Neue Gedenktafel
Bei der Synagoge wurde am Mittwoch eine neue Gedenktafel mit Namen von NS-Opfern angebracht. Dabei wurden 40 neue Namen aus Linz zu der bereits langen Liste an jüdischen NS-Opfern auf der neuen Gedenktafel hinzugefügt. Landeshauptmann Thomas Stelzer sagte bei der Gedenkfeier:
Es schmerzt natürlich, all dies vor Augen gehalten zu bekommen. Es fordert einen aber auch die Frage ab: Wo wäre ich gewesen, und wie hätte ich mich verhalten? Genau das ist auch der Antrieb, aus dem wir die Verantwortung ziehen müssen, so etwas nie mehr möglich werden zu lassen.
Charlotte Herman, Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde Linz, sagte:
Es gibt kaum noch Zeitzeugen, und es wird immer schwieriger, den Leuten die Geschichte näher zu bringen. Viele sind schon von dem ewigen Gerede über den Holocaust genervt. Die heutige Generation hat ja mit den Verbrechen nichts zu tun, die hat sie nicht gemacht. Die Frage ist: Hat sie es noch nicht gemacht?
Tendenzen zu vermehrter Ausgrenzung und Antisemitismus seien spürbar, so Herman. Sie appellierte an alle, "nicht einfach wegzuschauen".
Vertreibung der Juden in Oberösterreich
In Oberösterreich ging in der Nacht von 9. auf 10. November 1938 "nur" die Synagoge in der Bethlehemstraße in Flammen auf. Sonst blieb es im Land relativ ruhig. Der erschreckende Grund dafür: In Oberösterreich hatten die Nationalsozialisten schon davor gewütet und bereits das Ziel der Vertreibung der Juden erreicht, wie die Kirchenzeitung der Diözese Linz in ihrer aktuellen Ausgabe berichtet.
Neben Linz bestand auch in Steyr eine eigenständige jüdische Kultusgemeinde. Von ursprünglich 200 Mitgliedern, den Geschäftsinhabern, Rechtsanwälten, Ärzten, Handwerkern und Arbeitern und ihren Familien waren im Jahr 1938 nur noch 62 zurückgeblieben. Viele Menschen, vor allem junge, waren nach Wien gezogen oder ausgewandert. Die Arbeitslosigkeit war in den 1930er-Jahren besonders in Steyr sehr hoch und der seit Langem schwelende Antisemitismus hatte massiv zugenommen. Bereits im Juli 1938 wurden neun Juden von der Gestapo verhaftet, darunter Steyrs letzter Rabbiner Chaim Nürnberger. Im November entgingen die Synagoge in der Bahnhofstraße, Geschäfte und Häuser nur deshalb der Zerstörungswut der Nationalsozialisten, weil sie kurz zuvor "arisiert" worden waren. Am 8. und am 10. November wurden aber weitere jüdische Bürger verhaftet.
Auch in Gmunden gab es ein reges religiöses und gesellschaftliches jüdisches Leben. Mitte der 1930er-Jahre lebten 100 Juden in Gmunden, sie konnten einen Friedhof mit Aufbahrungshalle errichten und den Speiseraum der Villa Adler zu einem Betraum umgestalten. Bereits am Sonntag, dem 13. März 1938, wurde mit den jüdischen Bürgern Gmundens ein widerliches Schauspiel veranstaltet. In einer Prozession trieb man sie durch die Straßen, am Stadtplatz mussten sie auf vorbereiten Sesseln Platz nehmen. Dort wurden sie stundenlang verhöhnt und beschimpft. Wer künftig in jüdischen Geschäften einkaufte, fand sich am "Judenpranger" wieder. Dies war eine Spalte im "Salzkammergut Beobachter", in der die Namen jener veröffentlicht wurden, die trotz Verbots in jüdische Geschäfte gingen.
Auch der jüdische Friedhof wurde geschändet. Man ließ Schweine auf dem Areal weiden. Zwar gab es Zeichen der Solidarität mit den jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürgern, dies konnte aber nichts an der Vernichtung von deren wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Existenz ändern. Im Sommer 1938 verließ ein Großteil der jüdischen Familien Gmunden. Wie in der ganzen "Ostmark" waren auch für die Gmunder Juden die Monate nach dem Anschluss eine einzige "Reichskristallnacht", sodass für die Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 in Gmunden keine Aktionen mehr bekannt sind.
Im benachbarten Bad Ischl war es ähnlich. Zwar gab es dort eine Reihe jüdischer Familien und man hatte auch einen Betsaal eingerichtet, aber für die "November-Pogromnacht" sind keine Ausschreitungen bekannt. Der Grund dürfte in der nur mehr geringen Zahl der jüdischen Einwohnerinnen und Einwohner liegen, die zu jener Zeit noch im Salzkammergut lebten. Die Bezirkshauptmannschaft Gmunden hatte am 8. November den Gendarmerieposten Bad Ischl beauftragt, alle männlichen Juden festzunehmen. Der Posten meldete, dass am 10. November sechs Männer verhaftet wurden, wobei allerdings nicht mehr feststellbar ist, ob es sich dabei um Juden handelt und auch nicht, was weiter mit ihnen passierte.
Rosenberg und Krumau
Zwei weitere Zentren des Judentums waren Rosenberg und Krumau - im heutigen Tschechien. Seit das Sudetenland Anfang Oktober 1938 vom Deutschen Reich annektiert worden war, standen die an Oberösterreich angrenzenden Gebiete in enger Verbindung zum "Gau Oberdonau", bis sie diesem schließlich 1939 auch rechtlich zugeschlagen wurden. In Rosenberg an der Moldau befanden sich eine Synagoge und zwei jüdische Friedhöfe. Die Informationen über Vorkommnisse sind spärlich. Laut Kirchenzeitung gibt es aber die Erzählung, dass bereits im September 1938 SS-Einheiten aus Linz die Synagoge in Rosenberg in Brand gesteckt hätten. Von Krumau, dessen renovierte Synagoge heute zu den Sehenswürdigkeiten der Stadt gehört, ist nur bekannt, dass die Synagoge verwüstet wurde. Vom Schicksal der mehr als einhundert jüdischen Bewohnerinnen und Bewohner Krumaus ist wenig bekannt.
Quelle: kathpress