Ostkirchenexperte: Orthodoxe Kirchenspaltung ist "Katastrophe"
Als "Katastrophe" für die gesamte orthodoxe Kirche hat der Wiener Ostkirchenexperte Prof. Rudolf Prokschi den aktuellen Bruch zwischen dem Moskauer Patriarchat und dem Patriarchat von Konstantinopel bezeichnet. Prokschi äußerte sich am Dienstagabend in der ORF-Hörfunksendung "Religion aktuell". Um die Dimension des Konflikts in der Ukraine zu verstehen, müsse man etwa auch bedenken, dass das Moskauer Patriarchat mit der Eigenständigkeit der Kirche in der Ukraine ein Drittel seiner Gläubigen bzw. der kirchlichen Hierarchie verlieren würde - ein "riesiger Aderlass", so der Ostkirchenexperte.
Für die Russisch-orthodoxe Kirche, und da geht sie konform mit der russischen Politik, gehören Russland, Weißrussland und die Ukraine traditionell als Einheit zusammen. Dass die Ukraine daraus ausbrechen könnte ist schlichtweg unverständlich.
Zur Frage, ob der Bruch zwischen Moskau und Konstantinopel noch rückgängig gemacht werden kann, meinte Prokschi, dass dies wohl sehr vom diplomatischen Geschick der Patriarchen der anderen orthodoxen Kirchen abhängen werde.
Schon am vergangenen Freitag sprach der orthodoxe Theologe Prof. Athanasios Vletsis bei einer internationalen Tagung in Wien von der großen Gefahr des Auseinanderbrechens der orthodoxen Kirchengemeinschaft. Auf auf die orthodox-katholische Ökumene werde es negative Auswirkungen geben, prophezeite Vletsis. Er hat den Lehrstuhl für Systematische Theologie am Institut für Orthodoxe Theologie der Ludwig-Maximilian-Universität München inne. Scharf ging der Professor für orthodoxe Theologie hinsichtlich des kirchlichen Ukraine-Konflikts mit Machtansprüchen von welcher Seite auch immer ins Gericht. Diese hätten in der Kirche nichts zu suchen.
Ein orthodoxes Grundproblem laut Vletsis: Man würde zwar stets davon sprechen, dass die Synodalität ein Wesensmerkmal der Orthodoxie sei, aber es gebe keine entsprechenden kirchenrechtlichen Regelungen, wie dies in der Praxis auszuführen sei. Gerade in dieser Frage sei man in den letzten Jahren, etwa rund um das panorthodoxe Konzil 2016 auf Kreta, keinen Schritt vorangekommen.
Der Vortrag des Münchner Theologen stand unter dem Motto "Achillesferse oder Allheilmittel? Die Synodalität (in) der Orthodoxie und ihre ökumenischen Implikationen" und war schon lange vor den akuten Spannungen zwischen Moskau und Konstantinopel festgelegt worden. Auch daran wird deutlich, dass das Problem in der Orthodoxie schon lange virulent ist. Vletsis bekannte aufrichtig, dass er angesichts der aktuellen Situation relativ ratlos sei. Vielleicht könnte Papst Franziskus seine Dienste als Vermittler zwischen Moskau und Konstantinopel anbieten, so ein Wunsch des orthodoxen Theologen.
Die Tagung am 12. Oktober an der Universität Wien fand anlässlich der Pensionierung von Prof. Prokschi statt. Das Generalthema lautete "Mit zwei Lungenflügeln atmen. Wechselseitige Inspiration östlicher und westlicher Tradition." Neben Prokschi und Vletsis kamen u.a. der Wiener orthodoxe Theologe Ioan Moga und der Grazer Liturgiewissenschaftler Prof. Basilius Groen zu Wort.
Prokschi lehrte seit 2004 an der Wiener Katholisch-Theologischen Fakultät Patrologie und Ostkirchenkunde und war Vorstand des Instituts für Theologie und Geschichte des christlichen Ostens (und einige Zeit auch Vizedekan der Fakultät). Mit 30. September ging er in Pension.
Prof. Hans-Jürgen Feulner, Vorstand des Insituts für Historische Theologie, würdigte in seiner Ansprache die vielfältigen Verdienste Prokschis sowohl im Bereich der universitären Lehre und Forschung als auch im Bereich der Ökumene. Durch seine vielen ostkirchlichen Kontakte und seine Initiativen als Vizepräsident der Stiftung Pro Oriente, als Mitglied des Internationalen Orthodox-Katholischen Arbeitskreises St. Irenäus, als Rektor des Thomas-Kollegs oder als Vorstandsmitglied des Ökumenischen Rates der Kirchen in Österreich habe er einen großen Beitrag für den Dialog zwischen Ost und West geleistet, so Feulner. Nicht zuletzt sei Prokschi maßgeblich daran beteiligt gewesen, dass es nun an der Universität Wien den Masterlehrgang für orthodoxe Religionspädagogik gibt.
Die Aufgaben in einigen ökumenischen Gremien wird Prokschi auch künftig beibehalten, zusätzlich wurde er zum Subregens des Wiener Priesterseminars und zum Polizeiseelsorger in Niederösterreich bestellt.
Quelle: kathpress