Orthodoxe Kirche in der Krise
Soll die orthodoxe Kirche in der Ukraine eigenständig (autokephal) werden oder weiterhin der russisch-orthodoxen Kirche des Moskauer Patriarchats angehören? Diese Frage hat zu einer tiefen Kluft zwischen den Patriarchaten von Moskau und Konstantinopel geführt und bedroht das weltweite orthodoxe Gefüge massiv. Der Konflikt hat auch Auswirkungen auf die Orthodoxe Kirche in Österreich.
Zwischen 250 und 300 Millionen Menschen gehören weltweit zur Orthodoxen Kirche, die sich in 14 eigenständige (autokephale) Patriarchate und Landeskirchen gliedert. Diese standen bisher alle in Glaubens- und Sakramentengemeinschaft, haben jedoch kein gemeinsames Oberhaupt. Unterschiede bestehen nur in den Kirchensprachen und liturgischen Sonderbräuchen. Der Ökumenische Patriarch von Konstantinopel, der seit 1991 amtierende Bartholomaios I., führt den Ehrenvorsitz über die ganze Kirchenfamilie.
Die 14 autokephalen orthodoxen Kirchen sind ihrer kirchlichen Rangordnung nach das Ökumenische Patriarchat (Patriarchat von Konstantinopel), das Patriarchat von Alexandrien, das Patriarchat von Antiochien, das Patriarchat von Jerusalem, das Patriarchat von Moskau (Russische Orthodoxe Kirche), das Patriarchat von Belgrad (Serbische Orthodoxe Kirche), das Patriarchat von Bukarest (Rumänische Orthodoxe Kirche), das Patriarchat von Sofia (Bulgarische Orthodoxe Kirche), das Patriarchat von Georgien (Georgische Orthodoxe Kirche), die Kirche von Zypern, die Kirche von Griechenland, die Kirche von Polen, die Kirche von Albanien und die Kirche von Tschechien und der Slowakei. Dazu kommt als von allen anerkannte autonome Kirche die Kirche von Finnland. Die größte orthodoxe Teilkirche ist mit Abstand das Patriarchat von Moskau mit geschätzten 120 bis 150 Millionen Mitgliedern.
Am Montag, 15. Oktober 2018, hat das Moskauer Patriarchat die Kontakte zum Ökumenischen Patriarchat von Konstantinopel vollständig abgebrochen. Der Grund: Konstantinopel hat einige entscheidende Schritte gesetzt, um die (gespaltene) orthodoxe Kirche in der Ukraine in die Autokephalie zu entlassen. Konstantinopel steht auf dem Standpunkt, dass es dazu die kirchenrechtlichen Befugnisse hat. Moskau, das die Ukraine als eigenes kirchliches Territorium beansprucht, bestreitet dies vehement und will die Eigenständigkeit der ukrainischen Kirche verhindern.
"Von nun an, bis das Patriarchat von Konstantinopel seine dem Kirchenrecht widersprechenden Entscheidungen aufgibt, ist es für alle Geistlichen der russisch-orthodoxen Kirche unmöglich, mit Klerikern der Kirche von Konstantinopel zu konzelebrieren, und für die Laien unmöglich, die von dieser Kirche gespendeten Sakramente zu empfangen", hieß es in einer Erklärung des Leitungsgremiums der Kirche. Das betrifft auch russisch-orthodoxe Geistliche und Gläubige in Österreich.
Orthodoxe Kirche in Österreich
In Österreich leben zwischen 400.000 und 450.000 orthodoxe Christen. Sieben orthodoxe Kirchen haben hier kirchliche Strukturen und sind in der Orthodoxen Bischofskonferenz vertreten: Das Patriarchat von Konstantinopel, das Patriarchat von Antiochien, die Russisch-orthodoxe Kirche, die Serbisch-orthodoxe Kirche, die Rumänisch-orthodoxe Kirche, die Bulgarisch-orthodoxe Kirche und die Georgisch-orthodoxe Kirche. Manche Kirchen sind mit zahlreichen Gläubigen in ganz Österreich präsent und beheimatet, andere bestehen nur aus einer kleinen Zahl von Gläubigen mit nur wenigen bis einer Kirchengemeinde. Alle gehören sie aber zur einen Orthodoxen Kirche. Zumindest galt das bis zum 15. Oktober.
Abgespaltene orthodoxe Kirchen
Alle autokephalen und autonomen Kirchen haben ihren traditionellen und historisch bedingten "kanonischen Bereich", in dem sie wirken. Die Einmischung in das kanonische Gebiet einer anderen autokephalen Kirche ist nicht gestattet und darüber wird streng gewacht. Doch mit diesen Grundsätzen kann schon längst keine weltweite Kirchenstruktur mehr legitimiert und strukturiert werden.
Mit der Entstehung neuer Staaten (auf den Territorien der früheren Sowjetunion bzw. Jugoslawiens) spalteten sich orthodoxe Teilkirchen ab, die von den anderen aber nicht oder nur teilweise anerkannt wurden. So gibt es neben den 14 autokephalen Kirchen noch zahlreiche weitere orthodoxe Kirchen, die aber in der Regel nicht oder nur von einem Teil der anderen Kirchen anerkannt sind.
Orthodoxe Kirchen im Westen
Viele Orthodoxe haben zudem ihre Ursprungsländer verlassen. Der Weggang aus dem ursprünglichen kanonischen Gebiet und die Ansiedlung in Gebieten, in denen kein kanonisches Gebiet irgendeiner orthodoxen Kirche besteht, wird als Diaspora bezeichnet. So haben fast alle orthodoxen Nationalkirchen auf den Territorien von Nord- und Südamerika, Australien und Westeuropa kirchliche Gemeinden und sogar richtige Diözesen organisiert, deren Gebiete sich räumlich überschneiden, was laut orthodoxem Kirchenrecht eigentlich nicht zulässig ist, denn in jedem Territorium sollte es nur einen für alle orthodoxen Christen zuständigen Bischof geben.
Um diesem Problem zu begegnen, wurden in den vergangenen Jahren in vielen Ländern der Diaspora Orthodoxe Bischofskonferenzen eingerichtet, in denen alle vor Ort vertretenen orthodoxen Kirchen präsent sind. Diese Bischofskonferenzen sollen die Einheit und Zusammenarbeit unter den Orthodoxen stärken. Den Vorsitz hat jeweils der örtliche Vertreter des Ökumenischen Patriarchats inne; in Österreich also Metropolit Arsenios (Kardamakis).
Das Moskauer Patriarchat hat vor Kurzem aber auch seine Teilnahme in allen orthodoxen bzw. ökumenischen Gremien beendet, in denen Vertreter der Patriarchats von Konstantinopel den Vorsitz oder Ko-Vorsitz führen. Auch das hat Auswirkungen auf Österreich, wo bei der jüngsten Herbstvollversammlung der orthodoxen Bischofskonferenz Anfang Oktober in Wien der Vertreter der russisch-orthodoxen Kirche fehlte.
von Georg Pulling (kathpress-Redakteur)