Theologin: Romero symbolisiert Kirche, die Unrecht benennt
Der 1980 ermordete Erzbischof Oscar Romero, den Papst Franziskus am Sonntag in Rom heiligsprechen wird, steht "symbolhaft für eine Kirche, die systematisches Unrecht benennt und sich nicht nur auf Wohltätigkeit beschränkt": Das hat die Theologin und El-Salvador-Expertin Julia Stabentheiner am Donnerstag im Interview mit "Kathpress" dargelegt. Der Märtyrer aus dem mittelamerikanischen Land rege zum Blick auf problematische Strukturen an - konkret etwa, "dass wir in Hungersnöten nicht nur Lebensmittel verteilen, sondern auch nachfragen, was unsere Landwirtschaftspolitik mit der Mangelernährung anderswo zu tun hat", veranschaulichte die Leiterin des Welthauses der Diözese Innsbruck.
Erzbischof Romero sei zeitlebens "kirchentreu und evangeliumstreu" gewesen, gemäß seinem Bischofs-Wahlspruch "Mit der Kirche fühlen", erklärte die Theologin, die sich seit Studien- und Forschungsaufenthalten in San Salvador intensiv mit dem neuen Heiligen befasst. Aus dieser Grundhaltung heraus habe Romero, geprägt vom Zweiten Vatikanischen Konzil und dem Lateinamerikanischen Bischofsrat in Medellin 1968, seine sozialpolitische Aktivität entwickelt. "Sein Verständnis war, dass die Nachfolge Jesu in dieser Welt konkret werden muss in der Parteinahme für die Armen und Unterdrückten", so Stabentheiner.
Opfer beim Namen nennen
Als zentral für Romeros Wirken bezeichnete die Theologin seine im Radio übertragenen Sonntagspredigten.
Der Erzbischof hat darin neben dem Evangeliumskommentar stets auch die Geschehnisse der Woche davor erzählt und die Namen aller Verschwundenen und Ermordeten vorgelesen - als einziger Ort, wo sie offiziell benannt wurden.
Der Militärdiktatur war Romero deshalb ein Dorn im Auge. Als er schließlich am 23. März 1980 beim Gottesdienst die Gewalt des Militärs gegen die Zivilbevölkerung - wörtlich sagte er: "Ihr tötet eure eigenen Geschwister!" - anprangerte und die Soldaten zum Ungehorsam aufrief - mit der Mahnung, niemand sei zum Handeln gegen Gottes Gesetz verpflichtet - sei dies für das Regime der "Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte," gewesen. Tags darauf wurde er ermordet.
Romero sei sich im Klaren gewesen über das große Risiko seines Einsatzes, betonte Stabentheiner:
Er gab ein Beispiel darin, nicht an den Verlust der eigenen Privilegien zu denken und wusste, dass man ihn für seinen Einsatz umbringen wird. Was ihm so außergewöhnlichen Mut gab, war die Überzeugung, dass er das Richtige tat und in seinem Handeln Christus und dessen großen Liebe zu den Armen nachfolgte.
Schon Monate vor der Ermordung habe der Erzbischof Todesdrohungen gegen ihn publik gemacht und sei seither immer ohne Fahrer alleine im Auto unterwegs gewesen, um keine anderen Personen zu gefährden. Berichtet wird auch, dass Romero einmal eine Nacht lang nicht schlief, da er über seinem Zimmer ein Klopfgeräusch hörte - das sich am nächsten Tag nicht als die vermutete Bombe herausstellte, sondern als eine auf das Dach gefallene Mango.
Weltweite Signalwirkung
Dass Romero nach dem Tod trotz seiner Allgegenwart in El Salvador einen langen Weg zur "Ehre der Altäre" gehabt habe, sieht die Innsbrucker Theologin im Richtungsstreit in der Kirche Lateinamerikas begründet. "Die seit der Kolonialismus-Zeit bestehende Zweiteilung in die Kirche der Armen und der Reichen gab es in unterschiedlicher Ausprägung weiterhin, und so gab es viele Gegner der Heiligsprechung." Entscheidend sei die Causa durch den jetzigen Papst und dessen Eintreten für eine "arme Kirche für die Armen" vorangetrieben worden.
Franziskus sagte früh, dass der Mord an Romero aus Glaubenshass geschah, was innerkirchlich lange strittig war.
Die nun erfolgende Heiligsprechung habe sowohl in Romeros Heimat als auch auf Weltebene große Signalwirkung, so die Überzeugung Stabentheiners. "Auch wenn nicht jeder Romero befürwortet, muss man sich nun mit ihm auseinandersetzen." Wohl hegten manche die Befürchtung, mit der Kanonisation werde eine "Weichzeichnung" des Erzbischofs vorgenommen und seine Person als mystifizierte Gestalt entrückt. Viele Menschen im "winzigen" El Salvador nähmen jedoch auch erstaunt bis stolz die weltweite Popularität ihres früheren Oberhirten zur Kenntnis - der etwa auch in manchen afrikanischen Konfliktherden als beispielgebend gelte und zum Namensgeber in einem Bildungshaus von Burkina Faso oder eines Menschenrechtspreises in Österreich - jener der Katholischen Männerbewegung - wurde. Als bedeutend wertete die Theologin auch, dass die bisher überschaubare Schar der Heiligen aus Lateinamerika nun vergrößert werde.
Bleibendes Übel Straflosigkeit
Weiterhin ausständig bleibt freilich auch nach der Heiligsprechung die gerichtliche Aufarbeitung des Falles Romero, dessen Mörder nie vor Gericht kamen - ähnlich wie bei so gut wie allen 75.000 Opfern des von 1980 bis 1992 andauernden Bürgerkriegs in El Salvador. Urteile dazu wären für die bis heute von hoher Gewalttätigkeit geprägten Länder Mittelamerikas wichtig, unterstrich Stabentheiner:
Es gibt viele Menschen, die durch Massaker ihre ganze Familie verloren haben. Für sie wäre nicht die Bestrafung der Täter wichtig, sondern die Botschaft, dass Gewaltverbrechen benannt werden und man für sie zur Rechenschaft gezogen wird. Weiterhin leidet die Gesellschaft in El Salvador, Guatemala und Honduras am Übel der Straflosigkeit, wodurch die enorme Brutalität weitergeht.
Quelle: kathpress