Scheuer: Märtyrer 1938-45 erinnern an Frage Gottes an Adam
Der Linzer Bischof Manfred Scheuer hat bei einer Messe der Österreichischen Bischofskonferenz, der Arbeitsgemeinschaft Katholischer Verbände (AKV) und der Katholischen Aktion Österreich (KAÖ) am Freitagabend in der Wiener Dominikanerkirche der Ereignisse des Jahres 1938 und der Rolle der Katholiken in der NS-Zeit - ob als Mitläufer, Opfer oder Täter - gedacht. Er erinnerte auch an die Shoah und das Gebet von Papst Franziskus in Yad Vashem. Beten an einem solchen Ort heiße das "Hören der ersten Frage Gottes an den Menschen: 'Adam wo bist du?'", so der Bischof: "Beten realisiert sich als Stehen vor dem Angesicht Gottes, wo man sich mit offenen Augen der katastrophischen Dimension des Lebens und der Geschichte stellt."
Selige und Heilige in der Zeit des Nationalsozialismus wie Franz Jägerstätter seien "vor dieser Frage Gottes: Wo bist du?, nicht davon gelaufen und haben sich nicht versteckt". Sie seien Zeugen des Gewissens und hätten damit "einem heimlichen Unschuldswahn widerstanden, der sich in unserer Gesellschaft ausbreitet und mit dem wir Schuld und Versagen, wenn überhaupt, immer nur bei 'den anderen' suchen, bei den Feinden und Gegnern, bei der Vergangenheit, bei der Natur, bei Veranlagung und Milieu". In Jägerstätter, Schwester Restituta Kafka, Provikar Carl Lampert oder Pfarrer Otto Neururer strahle die Würde des Gewissens auf - "einzigartig, größer als der ganze Machtapparat, klarer als die Unrechtseinrichtungen". Das Gedenken an sie sei "ein Unternehmen unterscheidender Spurenlese, des Ausschau-Haltens nach dem ausgesetzten Menschen, nach dem leidenden Gott".
Scheuer erinnerte, dass Franziskus in Yad Vashem auch die zweite Frage Gottes an einen Menschen in der Bibel aufgegriffen habe, nämlich "Kain, wo ist dein Bruder Abel?" Gott frage die Menschen, jeden von ihnen, "Wo ist dein Bruder, dessen Blut zu mir schreit?" Die Wohlstandskultur mache unempfindlich gegen die Schreie der anderen, "in dieser Welt der Globalisierung sind wir in die Globalisierung der Gleichgültigkeit geraten", betonte der Bischof: "Wir haben uns an das Leiden des anderen gewöhnt, es betrifft uns nicht, es interessiert uns nicht, es geht uns nichts an. Die Globalisierung der Gleichgültigkeit macht uns alle zu 'Ungenannten', zu Verantwortlichen ohne Namen und ohne Gesicht."
Die Botschaft der Heiligen Schrift mute jedoch zu, einander Hüter und Hirten zu sein. "Das Evangelium traut uns zu, dass wir Freunde und Anwälte des Lebens sind, dass wir Lebensräume schaffen, in denen in die Enge getriebene Menschen Ja zum Leben sagen können. Die Botschaft der jüdischen und der christlichen Bibel mutet uns zu, dass wir einander aufgetragen sind, einander Patron sind, füreinander sorgen, Verantwortung tragen", so Scheuer.
Er nahm auch zur Frage nach einer möglichen Versöhnung zwischen Tätern und Opfern Stellung. An den Opfern vorbei und hinter deren Rücken könne es keine Versöhnung geben, hob er hervor. Denn "keine Versöhnung ohne Gerechtigkeit, keine Gerechtigkeit ohne Gericht, kein Gericht ohne den Schmerz der einholenden Wahrheit. Die Gesichter und Namen der Opfer mit ihren Tränen und mit ihrem Klagen sollen den Tätern nicht erspart werden".
Eine Versöhnung und Hoffnung ohne Gerechtigkeit für die Opfer sei inhuman, argumentierte der Bischof, der Postulator im Seligsprechungsverfahren für Jägerstätter war: "Versöhnung lässt sich auch nicht erpressen. Wir können als Nachkommen der Täter und Opfer diesen die Versöhnung nicht diktieren. Wir hoffen auf Gott, der durch die Macht der Auferweckung vergangenes, abgeschlossenes Leid nach vorne auf Zukunft hin aufbricht."
Christen erinnerten sich der Toten, "nicht damit sie leben, sondern weil sie leben". Erinnerung an die Opfer lasse sich nur in der Hoffnung auf Gott durchhalten, der mit den Opfern "etwas anfangen kann". Die Ratlosigkeit über das Leid, vor der der Gläubige stehe, sei nicht mit Resignation oder mit der "Vergleichgültigung und Verharmlosung" aller Bosheiten in der Geschichte zu verwechseln, so Scheuer. Fatal wäre es nämlich, wenn im Schweigen und in der Ratlosigkeit die Sieger von gestern heute noch einmal triumphieren würden, "die Opfer für immer besiegt, die Toten für immer tot blieben".
Statio vor Gedenktafel
Die Messe bildete den Abschluss des Symposiums "Katholische Kirche zwischen 1918 und 1938 - 'Christus ist euer Führer'" im Wiener Erzbischöflichen Palais. Im Blick auf den 80. Jahrestag der kirchlichen Widerstandsfeier von 7. Oktober 1938 hob AKV-Präsident Helmut Kukacka den Lernprozess der Kirche und der katholischen Vereine durch die tragischen Ereignisse von 1933/34 und 1938 hervor. "Wir lehnen aufgrund dieser Erfahrungen jede antidemokratische Einstellung und antidemokratische Staatsform ab", betonte er.
Die Ansprache fand im Rahmen einer Gebets-Statio vor der Gedenktafel zum NS-Sturm auf das Erzbischöfliche Palais 1938 statt. Dabei wurde der Domherr Johann Krawarik gewaltsam aus dem Fenster gestürzt; er kam schwer verletzt mit dem Leben davon.
Quelle: kathpress