Vor 80 Jahren: "Theologiepolitische Selbstkorrektur" Kardinal Innitzers
Nach - letztlich zwecklosen - Versuchen, sich im Frühjahr 1938 mit den neuen nationalsozialistischen Machthabern zu arrangieren, setzte der damalige Wiener Erzbischof Kardinal Theodor Innitzer bei der Rosenkranzfeier des 7. Oktober 1938 eine "theologiepolitische Selbstkorrektur". Als solche deutet der Wiener Dogmatiker Jan-Heiner Tück den in der Predigt vor rund 7.000 begeisterten jungen Katholiken geäußerten Satz "Einer ist euer Führer; euer Führer ist Christus". Tags darauf folgte der zerstörerische Sturm der Hitlerjugend auf das Erzbischöfliche Palais, der ein bis heute unrestauriertes Gemälde des Gekreuzigten als bleibendes Mahnmal hinterließ.
"Die Spuren der Gewalt machen das spätklassizistische Bild ... zu einem aufrüttelnden Dokument der Erinnerung an das Leiden Christi", schrieb Tück in der Freitagausgabe der "Neuen Zürcher Zeitung" (NZZ). Die Spuren der Gewalt machen das spätklassizistische Bild, das den Ausdruck des Leidens eher zurücknimmt, zu einem aufrüttelnden Dokument der Erinnerung an das Leiden Christi. Sie mahnen zugleich auch, politisch wachsam zu sein, so der Theologe: "Das Hakenkreuz ist und bleibt eine Perversion des christlichen Kreuzes. Daran sollte man sich gerade heute wieder erinnern, da der Antisemitismus wieder spürbarer wird."
An die dramatische Eskalation des Gegensatzes zwischen christlichem Glauben und NS-Ideologie vor 80 Jahren erinnerte auch Kardinal Christoph Schönborn in seiner Freitags-Kolumne in der Gratiszeitung "Heute". Schönborn über jenen "denkwürdigen Abend im Dom" am 7. Oktober 1938, an dem sein Vorgänger Innitzer die jungen Gläubigen ermutigt hatte, standhaft im Glauben zu bleiben: "Den Glaubensmut der jungen Leute damals im Dom können wir uns heute als Vorbild nehmen."
Tücks NZZ-Artikel schildert auch die wenig rühmliche Vorgeschichte von Innitzers deutlich erkennbarer Kritik am Führer-Kult der NSDAP, mit der "der Anspruch des totalitären Regimes in die Schranken gewiesen" worden sei. Zunächst habe sich der Wiener Erzbischof "intensiv um ein Arrangement mit dem Regime bemüht", ließ bei Hitlers triumphalem Einzug in Wien die Kirchenglocken läuten, stattete dem "von Gott gesandten Führer" im Hotel Imperial einen offiziellen Besuch ab und unterzeichnete drei Tage später zusammen mit den übrigen Bischöfen Österreichs eine "Feierliche Erklärung" zugunsten des "Anschlusses" Österreichs an das "Dritte Reich", versehen mit der Formel "Heil Hitler".
"Bestellte Racheengel" wüteten im Palais
Der darauf folgende "scharfe Gegenwind" aus dem Vatikan, aber auch die repressive Kirchenpolitik der neuen Machthaber haben den Kardinal - so der Theologe - "zur kritischen Selbstrevision veranlasst". Sein christologischer Einspruch gegen den Führerkult motivierte katholische Jugendliche zu einer Spontankundgebung auf dem Stephansplatz und zur ebenfalls gegen den NS-Kult gerichtete Parole: "Wir wollen unsern Bischof sehen." Auf diese "in den Augen der Nazis dreiste Provokation" folgte entfesselte Gewalt junger Hitler-Anhänger, die Tück wie folgt schilderte: "Mit Eisenstangen brach eine Truppe der Hitler-Jugend in aufgeheizter Stimmung das schwere Tor des Palais auf. Dann stürmten vierzig bis fünfzig junge Männer das Treppenhaus, rissen Teppichstangen heraus und zertrümmerten Möbel und Einrichtungsgegenstände. Gerade noch rechtzeitig konnten zwei Priester den Kardinal durch eine Geheimtür ins Freie lotsen." Als endlich die Polizei kam, um die Randalierer zur Raison zu bringen, sei es zu spät gewesen. "Die bestellten Racheengel hatten den Ort der Verwüstung bereits verlassen, ohne dass auch nur einer von ihnen verhaftet worden wäre."
Zurück bleib das bis heute im Erzbischöflichen Palais hängende Ölgemälde mit Christus am Kreuz (derzeit in einer Ausstellung des Wiener Dommuseums "Zeig mir deine Wunde" zu sehen). Dieser "einzige Führer" war als Sohn des jüdischen Volkes beschnitten und hatte mit den Psalmen Davids beten gelernt, wies der Wiener Theologe auf einen von "Christen allzu lange verdrängten" Umstand hin. Sein Kreuz hätte durch das neuheidnische des Hakenkreuzes ersetzt werden sollen, schrieb Tück. "Die katholische Kirche hat sich - von Einzelnen abgesehen - zu spät und zu wenig entschieden gegen diese 'neue Mission' gestellt."
Quelle: Kathpress