Expertin: Dialog mit Jugend notwendiges Lernfeld der Kirche
Der Dialog mit der jungen Generation ist als Lernfeld für Kirche und Gesellschaft unerlässlich. Das war der Tenor einer Pressekonferenz am Freitag in Linz, bei der die Jugendforscherin Beate Großegger und die Theologiestudentin Eva Wimmer im Vorfeld der vatikanischen Jugendsynode einige Themenfelder absteckten. Die Bischofssynode in Rom von 3. bis 28. Oktober 2018 steht unter dem Generalthema "Die Jugendlichen, der Glaube und die Berufungsentscheidung". Das Arbeitsdokument dieser Versammlung von über 400 Bischöfen und Expertinnen und Experten aus aller Welt kündigt an, dass die Kirche die Lebensrealität der Jugend umfassend in den Blick nehmen will.
Großegger, wissenschaftliche Leiterin und stellvertretende Vorsitzende des Instituts für Jugendkulturforschung in Wien, benannte einige ihrer Forschungsergebnisse. Wichtig sei Jugendlichen in erster Linie "Harmonie in ihren kleinen sozialen Welten: in der Familie, im Freundeskreis, in der Paarbeziehung". Ebenso von Bedeutung seien Selbstverwirklichung, Spaß und Lebensgenuss, Werte und Orientierung. "Jugendliche sagen von sich: 'Wir sind eine schwer verunsicherte Generation.' Das hören wir nicht so gerne, weil wir uns Hoffnungsträger wünschen, die unsere Probleme lösen", sagte Großegger.
Die Verunsicherung der Jugendlichen hat aus Sicht der Jugendforscherin drei Gründe: Erstens die ständig wachsenden Anforderungen in Ausbildung und Beruf, die Jugendliche unter Druck setzten; zweitens seien Jugendliche von heute Bestandteil der digitalen Gesellschaft und damit "always on", was digitalen Stress bedeutet; drittens hätten Jugendliche zunehmend weniger fixe Orientierungspunkte, um ihre Lebensplanung in die Hand zu nehmen - "nach dem Motto: Die einzige Konstante ist: Alles verändert sich."
Die Expertin bescheinigt Jugendlichen beim "Komplexitätsmanagement" mehr Kompetenz und Souveränität als den Erwachsenen:
In ihrer Welt kann vieles nebeneinanderstehen. Sie können besser damit umgehen als wir, dass unterschiedliche Lebensentwürfe, Kulturen, Weltanschauungen und Glaubenssysteme nebeneinander existieren. Und sie tolerieren dieses Nebeneinander, solange sie persönlich davon nicht negativ beeinflusst sind.
Als Beispiel nannte Großegger das Thema Familie:
Familie ist Jugendlichen sehr wichtig - aber sie verstehen etwas anderes darunter als ältere Generationen. Ob Alleinerziehende, Patchwork-, Migrations- oder Regenbogenfamilien: Mit dieser neuen Formenvielfalt gehen Jugendliche selbstverständlicher um als die meisten Erwachsenen - und um vieles selbstverständlicher als die Würdenträger der katholischen Kirche.
Diese unterschiedliche Deutung von Begriffen stelle eine Kommunikationsbarriere zwischen den Generationen dar, obwohl das Thema Familie allen wichtig sei, unterstrich Großegger.
Ein zweites Beispiel: Der Begriff "sozial" werde von Jugendliche heute anders verstanden als von der Generation davor. Großegger: "Jugendliche von heute sind nicht asozial, aber nicht so altruistisch, wie wir uns das wünschen würden." Die gegenwärtigen Jugendlichen seien in einer Wettbewerbsgesellschaft sozialisiert. Dementsprechend sei "sozial" für sie jemand, "der Eigenverantwortung für sein Leben übernimmt, sich dem Wettbewerb stellt und nicht der Solidargemeinschaft auf der Tasche liegt". Diese neue Deutung von Jugendlichen, die Teil einer "wettbewerbsorientierten Hochgeschwindigkeitsgesellschaft" seien, lade nicht zu einem Blick über den eigenen Tellerrand ein, mache aber Druck auf die Jugendlichen selbst, so Großegger.
Keine weltanschaulichen Debatten
Der Jugendforscherin zufolge haben Jugendliche auch ein "unverbindlicheres Verhältnis zu Werten". Werte müssten sich für sie im Alltag bewähren. "Das sehe ich als große Herausforderung der katholischen Kirche: dass sie die Anschlussfähigkeit an junge Lebenswelten garantiert", betonte die Jugendforscherin.
Das Verständnis von Glaube sei zudem bei jungen Menschen ein anderes. Glaube werde privatisiert und funktionalisiert. Großegger: "Es herrscht ein ausgeprägtes Nutzendenken vor: Was habe ich davon, was bringt es mir?" Eindeutig sei auch, dass Jugendliche mit der traditionellen Volksfrömmigkeit und theologischen Zugängen wie "Glaubenszweifel haben ihre Berechtigung" nichts anfangen könnten: "Sie suchen nach Fixpunkten und Orientierung, Zweifel helfen ihnen da nicht weiter", so die Jugendforscherin.
Die Expertin ortete jedoch ein Bedürfnis nach Spiritualität, besonders bei Mädchen und jungen Frauen. Man solle aber nicht unbedingt versuchen, über Sinnfragen ins Gespräch zu kommen, denn:
Es gibt eine gewisse existentielle Indifferenz. Existentiell Indifferente sagen: 'Mein Leben hat keinen bestimmten Sinn, aber deswegen bin ich noch lange nicht in einer Sinnkrise.' Das stellt natürlich eine Herausforderung für die katholische Kirche dar - auf der Dialogebene, aber auch auf der Mitmachebene.
Jugendliche würden sich nicht engagieren, um Sinn im Leben zu finden, sondern um praktisch etwas zu bewegen. Großegger: "Jugendliche von heute sind outputorientiert, sie haben kein Interesse an einer weltanschaulichen Debatte." Deshalb funktionierten auch Sozialprojekte wie "72 Stunden ohne Kompromiss" so gut. "Es geht ums Tun und Machen im Rahmen einer offenen Organisationsform." Es gelte deshalb in der Kirche, möglichst viel von diesen offenen Organisationsformen zu finden, zeigte sich die Jugendexpertin überzeugt. Wenn etwas Erlebniswert hat und die richtige Darstellungsform ("Eventisierung") gefunden wird, dann komme es bei Jugendlichen an. Als Beispiel nannte Großegger die Weltjugendtreffen.
Erfahrungen ohne Leistungsdruck
Eva Wimmer ergänzte dazu, dass es in der katholischen Kirche mehr als nur Events brauche. "Ich erlebe selbst, dass Jugendliche das Bedürfnis danach haben, auch intensive Diskussionen zu führen", so Wimmer wörtlich. Wichtig seien Formate wie Sommerwochen, "wo Jugendliche einfach einmal sein dürfen, ganz ohne Leistungsdruck. Dort erfahren sie: Ich habe mit Kirche sonst nicht mehr viel am Hut, aber diese Woche ist auch Kirche, und das gefällt mir".
Wimmer war von 2015 bis 2017 ehrenamtliche Vorsitzende der Katholischen Jugend Oberösterreich und die einzige österreichische Delegierte bei der "Vorsynode", die im März 2018 in Rom stattfand. Von 19. bis 25. März 2018 erarbeiteten 300 Jugendliche und junge Erwachsene aus fünf Kontinenten ein Diskussionsdokument für die Bischöfe.
Wimmer wird gemeinsam mit Matthias Zauner von der Katholischen Jugend Österreich den ganzen Oktober lang in Rom sein und dort den Österreich-Delegierten Jugendbischof Stephan Turnovszky unterstützen. Außerdem ist es Eva Wimmer ein Anliegen, "dass es besonders für junge Menschen in Österreich viele Infos direkt von uns gibt, damit man auch in Österreich mitbekommt, dass die Synode stattfindet und was gerade passiert". So wird es unter dem Titel "Eva und ..." Videos mit Jugendbischof Stephan Turnovszky und Thomas Andonie geben. Andonie ist der Vorsitzende des Bundes der Deutschen Katholischen Jugend und der einzige der 50 vom Papst ernannten "Auditoren", der aus dem deutschsprachigen Raum kommt. Die Auditoren haben das Recht, bei der Synode zu sprechen, nehmen aber ohne Stimmrecht teil.
"Ich erwarte mir, dass die Bischöfe in der Synode einen offenen Umgang pflegen und alle Themen ansprechen. In der Vorsynode hat dies gut funktioniert, da sich alle gegenseitig wertgeschätzt und wahrgenommen haben", so Wimmer. Außerdem wünsche sie sich, "dass es noch mehr Möglichkeiten für jene jungen Menschen gibt, die nicht als Auditoren in der Synode sitzen, besser gehört und ernst genommen zu werden".
Den Bischöfen bei der Synode wünschte die junge Oberösterreicherin, "dass sie genügend freie Zeiten haben, in denen sie mit jungen Menschen direkt in Kontakt treten können". Papst Franziskus habe sie bei der Vorsynode so erlebt, "dass er es ernst damit meint, Jugendliche einzubinden und in Dialog mit ihnen zu kommen". Sie hoffe nun, so Wimmer, dass diese Haltung des ehrlichen Zuhörens auch bei der Bischofssynode im Oktober spürbar wird.
Quelle: kathpress