Irak/Syrien: Immer noch 3.400 Jesidinnen in den Händen des IS
Noch immer sind rund 3.400 jesidische Frauen und Kinder verschwunden und vermutlich noch in der Gewalt des IS im irakisch-syrischen Grenzgebiet. Diese Zahl hat die jesidische Menschenrechtsaktivistin Lamya Aji Bashar bei der Jahrestagung der Initiative Christlicher Orient (ICO) genannt. Noch immer würden diese Frauen und Kinder vergewaltigt und misshandelt, doch die Welt kümmere sich nicht darum, so Bashar. Sie appellierte dringlich an die politisch Verantwortlichen, sich dieser Opfer der IS-Terroristen anzunehmen und entsprechend zu handeln. Gegen die letzten IS-Bastionen aber auch gegen die IS-Sympathisanten müsse konsequent und mit Härte vorgegangen werden.
Bashar hätte eigentlich am Montagabend den Hauptvortrag bei der ICO-Tagung im Salzburger Bildungszentrum St. Virgil halten sollen. Sie konnte aber aufgrund von bürokratischen Problemen mit ihrer Aufenthaltsberechtigung in Deutschland das Land nicht verlassen. So wandte sie sich in einer Videobotschaft an die Teilnehmer der Tagung. Noch immer würden Frauen im Irak ihre Rechte vorenthalten. Frauen aller Religionen und Ethnien müssten endlich gleichberechtigt mit Männern im Land leben können, forderte die Jesidin.
Lamya Aji Bashar war 16, als sie 2014 vom IS entführt wurde, nach acht Monaten gelang ihr die Flucht. Dabei wurde sie aber von einer Landmine im Gesicht schwer verwundet. 2016 wurde sie zusammen mit einer Leidensgenossin vom Europäischen Parlament mit dem Sacharow-Preis für geistige Freiheit ausgezeichnet. Sie engagiert sich international für die Rechte der jesidischen Minderheit.
"Noun - Christenverfolgung im Irak"
Die irakisch-schweizerische Filmemacherin Aida Schläpfer Al-Hassani zeigte bei der Tagung am Montagabend ihren Film "Noun - Christenverfolgung im Irak", mit dem sie international bekannt wurde. In dem Film dokumentierte sie das Schicksal der von IS-Terroristen verfolgten Christen in Flüchtlingslagern im Irak. "Noun" steht für "N" ("Nazrani" bzw. "Nazarener", wie die Christen im arabischen Raum genannt werden). Die Regisseurin drehte u.a. Szenen in Flüchtlingslagern in Erbil, sie zeigt Familien am Ende ihrer Kräfte; Menschen, die Kinder, Eltern, Angehörige oder Freunde verloren haben. Drei Mal war Al-Hassani zu Dreharbeiten im Irak - im Juni 2014, also kurz vor dem IS-Vormarsch gegen Mosul und die Ninive-Ebene, im September 2014 und zum Jahreswechsel 2014/15. Sie drehte in Erbil, Bagdad und Basra und ließ in ihrem Film u.a. Kinder zu Wort kommen, die traumatisiert sind durch erlittenen Verlust.
Al-Hassani hat den Kontakt zu vielen der von ihr interviewten Flüchtlinge weiter aufrecht erhalten. So hat sie beispielsweise vor Kurzem die der Stadt Karakosch besucht, wo vor der Besetzung durch den IS zwischen 40.000 und 50.000 Christen lebten. Höchstens die Hälfte sei bisher zurückgekehrt. Die Situation für die Christen vor Ort sei weiter sehr schwierig, berichtete die Regisseurin. Es mangle den Menschen nicht nur an materiellen Gütern sondern vor allem auch an Sicherheit. Die politische Lage sei schlicht instabil, berichtete Al-Hassani.
Aida Schläpfer Al-Hassani ist Schiitin und Tochter eines Irakers. Die Mutter ist Libanesin. Sie wuchs sieben Jahre in Bagdad auf, bevor die Familie vor dem Regime von Saddam Hussein in den Libanon flüchtete. Schließlich kam sie in die Schweiz, wo sie seit mehr als 20 Jahren lebt. Im Irak hatte sie eine katholische Schule besucht und mit Zustimmung der Eltern auch am katholischen Religionsunterricht teilgenommen. Sie konfrontierte auch ihre christlichen Interviewpartner vorab mit ihrer Religionszugehörigkeit. Für sie als Schiitin - Al-Hassani trägt kein Kopftuch - sei es anfangs schwierig gewesen, das Vertrauen der christlichen Flüchtlinge zu gewinnen, berichtete sie. Bald sei sie aber gut akzeptiert worden.
Zum Thema Frauenbilder im Islam meinte die schiitische Filmemacherin, dass im Koran durchaus Vieles zum Thema von Gleichberechtigung von Mann und Frau zu finden wäre. Viele Muslime würden aber ihre eigene Religion nicht wirklich kennen. Das Denken der Menschen sei von alten kulturellen Stammestraditionen bestimmt, die sie mit Religion verwechseln würden. So dürfe man sich etwa bei Ehrenmorden oder der Beschneidung von Frauen nicht auf den Islam berufen. Das sei freilich eine Frage der Bildung oder eben auch der nicht vorhandenen Bildung. Al-Hassani fügte hinzu, dass es auch im Christentum patriarchale Traditionen gebe.
Für den Orient zeigte sich die Filmemacherin zuversichtlich, dass sich die Frauen mittel- und langfristig mehr Rechte in der Gesellschaft erkämpfen würden. Dafür bräuchten sie freilich auch Unterstützung aus dem Westen. Die Tatsache, dass auch im Orient immer mehr Frauen im Arbeitsmarkt Fuß fassen, wertete sie als ein Indiz für den kommenden gesellschaftlichen Wandel. Muslimische Frauen würden sich ihrer Rechte immer mehr bewusst, bedingt auch durch die globale Vernetzung im Bereich der Information.
Lackner: Leid der Frauen im Blick
Eröffnet wurde die Abendsession der ICO-Tagung vom Salzburger Erzbischof Franz Lackner. Dieser erinnerte an die Bilder von toten Flüchtlingskindern an türkischen Stränden sowie an von Bombenangriffen traumatisierte Kinder in Syrien. Er rief zu mehr Mitgefühl für jene auf, die mit Krieg, Verfolgung und Folter leben müssten. Jede Instrumentalisierung dieses Leides lehnte der Erzbischof zugleich entschieden ab. "Wie mag es den Müttern dieser Kinder gehen, so sie noch leben, mit dieser schrecklichen Erfahrung?", so Lackner wörtlich. Diese Frauen hätten weitgehend immer noch keine Stimme in der Gesellschaft. Er wolle deshalb der ICO danken, dass sie sich dieser Frauen annehme. Die Tagung solle ein Weckruf sein, das Leid der Frauen wahrzunehmen und sie im Einsatz für ihre Rechte zu unterstützen.
Quelle: kathpress