Theologe: Franziskus wurde "vom Reaktionär zum Revolutionär"
Papst Franziskus hat einen Weg "vom Reaktionär zum Revolutionär" hinter sich. Als einschneidendes "Damaskus-Erlebnis" des davor "autoritären" Jesuiten-Provinzials und dann von seinem Orden in die Provinz "abgeschobenen" Jorge Mario Bergoglio bewertet der ebenfalls aus Argentinien stammende Grazer Ökumene-Professor Pablo Argarate, dessen fast zweijährige Zeit in Abgeschiedenheit in Cordoba (Argentinien): "Hier vollzog sich schließlich seine Transformation" - ein "Sünder", der Barmherzigkeit erfahren habe und diese deshalb wie die Option für die Armen und Ausgestoßenen ins Zentrum seines Pontifikats stelle.
Franziskus wiederhole stets, dass er ein Sünder sei, "und in dieser Aussage steckt keine Übertreibung", befindet der just in Cordoba geborene Argarate, der vor seiner Tätigkeit in Graz in Deutschland und Kanada lehrte, in seinem Beitrag für die theologische Feuilleton-Website www.feinschwarz.net. "Bergoglio lernte durch seine eigenen Fehler, was Barmherzigkeit bedeutet", heißt es im Rückblick auf die argentinische Zeit des Papstes. "Diese Revolution des Franziskus ist vor allem eine Revolution, die zuerst im Leben Bergoglios selbst stattfand."
Details dieser verblüffenden Wandlung schildert der Grazer Professor für Ökumenische Theologie, Ostkirchliche Orthodoxie und Patrologie in seinem "feinschwarz"-Artikel: Das davor unbeschriebene Blatt Bergoglio sei 1973 vom Vatikan zum Nachfolger des als Befreiungstheologe angeschwärzten Jesuitenprovinzials Ricardo O'Farrell bestimmt worden. Die Jahre bis 1976, in denen er die Jesuiten in Argentinien leitete, gelten laut Argarate durch die brutale Militärherrschaft als "die schwierigsten Jahre in der Geschichte des Landes überhaupt". Als Provinzial habe Bergoglio die Jesuiten "de facto entzweit", nach seiner Amtsperiode sei deshalb ein Nachfolger aus dem Ausland geholt worden. Bergoglio selbst habe später eingestanden, "dass er viele Fehler gemacht habe, vor allem durch sein unerfahrenes autoritäres Auftreten, Nicht-Zuhören und viele falsche Entscheidungen", schrieb Argarate.
Das Verhältnis Bergoglios zu seinen Ordensbrüdern in Argentinien sei in der Folge getrübt gewesen: Er wurde zunächst Rektor der Jesuitischen Theologischen Fakultät, dann für ein Doktorat nach Deutschland entsandt, das er jedoch nicht beendete. Zurück in Argentinien, wurde Bergoglio 1990 nach Cordoba entsandt, "wo ihm jeder Kontakt zu den anderen Jesuiten untersagt wurde und seine einzige Aufgabe im Hören der Beichte bestehen würde". Argarates ernüchternde Einschätzung: "In gewisser Hinsicht hatten sich die Jesuiten seiner entledigt und Bergoglio war in seiner sheol (Totenreich/Hölle, Anm.) angekommen."
"Er lernte zuzuhören"
Über Bergoglios fast zweijährige Zeit in Cordoba meint Argarate: "Er lernte zuzuhören." Als er 1992 überraschend zum Weihbischof von Buenos Aires bestellt wurde, "zeigte sich plötzlich ein völlig veränderter Bergoglio", den seine Mitbrüder kaum wiedererkannt hätten. "Der früher so konservative Mann widmete sich nun den Armen und ihren Problemen." Er besuchte Slums und kümmerte sich um Randgruppen, begann die Armen - wie der Grazer Theologe es nannte - "als locus theologicus zu begreifen, als Subjekt statt als Objekt".
Die meisten Einwohner der Slums lebten in "ungeordneten Verhältnissen", alle gingen dennoch zur Kommunion. "Bergoglios Priorität wurde es, die Probleme zu verstehen, mit denen die Armen konfrontiert sind, statt einer Fokussierung auf Gehorsam auf unflexible Regeln", schrieb Argarate. Und Bergoglio führte selbst ein sehr bescheidenes Leben - auch nach 1998 als Erzbischof, abseits von Bischofspalast und Dienst-Limousine. "Im März 2013 kaufte er ein Economy-Ticket, nicht die vom Vatikan üblicherweise bezahlte Erste Klasse, um in Rom dem Konklave beizuwohnen", berichtete Argarate weiter: "Sein Rückflug sollte verfallen."
Das Pontifikat von Franziskus sei dominiert vom Verständnis, "dass die Kirche keine Zollstation, sondern das Vaterhaus, ein Feldlazarett oder eine Oase der Barmherzigkeit ist". Argarate: "Die Revolution des Franziskus scheint die Kirche wieder zurückzuführen auf die zentrale Botschaft Jesu, die Botschaft der Barmherzigkeit." (Link: www.feinschwarz.net)