Sr. Godelive und "die Wahrheit über Burundi"
Ein Schwerpunktland der diesjährigen Hungerhilfe-Kampagne der Caritas, die den ganzen Sommer über läuft, ist das kleine ostafrikanische Land Burundi. Es zählt zu den fünf ärmsten Ländern der Welt. Ein Viertel der Menschen hat nicht genug zu essen, jedes zweite Kind ist unterernährt. Die Armut ist eine Folge des jahrzehntelangen Bürgerkrieges, der über 400.000 Menschen zu Flüchtlingen und 200.000 zu Binnenvertriebenen machte. Die Caritas Österreich unterstützt u.a. das Ernährungszentrum von Sr. Godelive Miburo. In einem Hintergrundgespräch vor Ort macht die Ordensfrau gegenüber österreichischen Journalisten auf den Ernst der Lage aufmerksam.
"Ich möchte, dass Sie die Wahrheit über Burundi erfahren", sagt Sr. Godelive. Sie ist die Leiterin der Gemeinschaft "Neues Leben für die Versöhnung", die 1999 durch den Erzbischof der Diözese Gitega, Simon Ntamwana, gegründet wurde. Zwei Tage lang hat sie den österreichischen Journalisten ihre Projekte gezeigt, darunter drei Waisenhäuser mit Kindergarten und Schulen. Höhepunkt war ein Treffen mit etwa 100 Frauen, die mit ihren zum Teil stark unterernährten Kindern das Ernährungszentrum aufsuchten.
Die Lage in Burundi sei sehr kritisch:
Besonders traurig ist, dass heuer bereits im Juni, am Beginn der Erntezeit, ein Ausmaß an Hunger und Armut herrschte, das normalerweise erst im Oktober oder November zu finden sei.
Dies rklärte Sr. Godelive zu Beginn des Gespräches. Es gibt keine Arbeit, junge Menschen versuchten immer wieder durch Prostitution zu Geld zu kommen, die Folge seien frühe Schwangerschaften und Aids. Schlimm sei auch, dass die arme Bevölkerung - die die Mehrheit ausmache - von den Steuern nichts zurückerhalte. "Reiche werden reicher, Arme ärmer, das ist das Traurigste!" Das Land scheine "zur Armut verdammt".
Der große Einsatz auf Kirchenseite sei nicht ausreichend, solange derselbe nicht auch von Regierungsseite komme, kritisiert Sr. Godelive. Sie hat gute Kontakte in hohe politische Kreise. Doch finanzielle Hilfe erhalte sie keine, betont sie. "Ich bekomme nichts, gar nichts!" Wenn ein Kind aufgefunden wird, dann werde es von Behörden in ihrem Zentrum abgeben. Geld bekomme sie für die Pflege jedoch nicht.
Einmal haben sie Zwillinge gefunden und zu mir gebracht. Ich habe gefragt, ob man nicht zumindest Milch spenden könnte. Daraufhin haben sie mir eine einzige Dose Milch gebracht, nicht mehr!
"Was die Behörden sagen, stimmt nicht"
Dann erzählt sie, dass der Präsident einer Kommune in Gitega einmal Weihnachten bei den Kindern im Zentrum feiern wollte. Als Geschenk brachte er 200 Kilogramm Bohnen und Reis mit.
Ich habe 100 Kinder zu ernähren, das reicht vielleicht für ein Monat, aber ich kann den Kindern nicht nur Reis und Bohnen geben.
Das Problem bei unterernährten Kindern sei ja gerade, dass sie kaum Eiweißstoffe, Vitamine und Spurenelemente bekommen. Die Behörden meinen, das Zentrum bekomme ohnehin Geld vom Ausland. Doch das Geld aus dem Ausland werde weniger, weil die EU und internationale Hilfsorganisation ihre Mittel für Burundi kürzen.
Schließlich erzählt die Ordensfrau von Ernährungsmitteln, die sie regelmäßig aus der Schweiz erhalten hatte. Jetzt bekomme sich nichts mehr. Die Regierung hätte erklärt, dass die Unterstützung nicht benötigt werde, da sich der Staat um die Kinder kümmere. "Was die Behörden sagen, stimmt nicht", sagt Sr. Godelive mit Nachdruck.
Kinder bedeuten Reichtum und Armut
Durchschnittlich sechs Kinder bekommt eine Frau in Burundi. "Wir versuchen den Frauen zu vermitteln, dass Kinder ein Reichtum sind, aber nur so viele Kinder, wie man auch erhalten kann." Ansonsten seien die Kinder der Grund der Armut. Frauen, mit denen sie schon länger zusammenarbeite, hätten das auch schon verstanden.
In der katholischen Kirche sehe sie - und das begrüßt sie ausdrücklich - eine Entwicklung in diesem Zusammenhang. Heute scheue sich die Kirche nicht mehr, von der Möglichkeit, weniger Kinder zu haben, zu sprechen. In der Erzdiözese sei eine eigene Abteilung eingerichtet worden, deren Mitarbeiter die Familien besuchen, sie begleiten und beraten. Dabei werde über natürliche Methoden gesprochen, und dass es für eine Familienplanung nicht unbedingt Medikamente brauche. Wichtig sei immer, dass die Entscheidung von Frau und Mann gemeinsam getroffen werde.
Zuwachs im Orden
Sr. Godelive freut sich über viele junge Frauen, die in ihren Orden eintreten wollen. Sie sei nicht überrascht davon. Sie selbst sei wegen Erzbischof Simon Ntamwana eingetreten, an dessen Seite sie jahrelang gearbeitet hatte. Sie habe seinen Einsatz für Versöhnung und seine Arbeit für die Kinder, die ohne Mitteln und ohne Eltern sind, beobachtet. Der Kampf gegen die Armut sei nicht zu Ende, "ich kann ihn nicht alleine kämpfen, ich brauche diese jungen Leute!"
Versöhnung von Hutu und Tutsi
Seit der Unabhängigkeit Burundis 1962 ist das Land nicht zur Ruhe gekommen. Es gab mehrere Hunderttausend Tote sowohl auf der Seite der Hutu als auch der Tutsi, den beiden maßgeblichen Ethnien im Land. Bei der Gründung des Waisenhauses 1999 gab es viele Kinder, die keine Eltern mehr hatten, oder deren Eltern wegen der Unruhen ins Ausland geflüchtet sind.
Das Besondere, das Erzbischof Simon gemacht hat, war, die Waisen ungeachtet ihrer ethnischen Zugehörigkeit zusammen zu bringen.
Wir betrachten jedes Kind als Mensch. Und heute spielt das Thema überhaupt keine Rolle mehr. Die meisten Kinder wissen selbst nicht, ob sie Hutu oder Tutsi sind.
Viele Kinder, die sie betreut, hätten eigene Eltern. Die Armut sei so groß, dass aufgrund mangelhafter Ernährung viele Kinder krank werden. Sie werden für eine Zeit im Zentrum aufgenommen. Nach Möglichkeit kehren sie, wenn sie gesund sind, in die Familie zurück. Eine andere Möglichkeit sind Pflegefamilien, die dann vom Zentrum eine Unterstützung erhalten. Die Mitarbeiter des Zentrums kontrollieren regelmäßig, ob es den Kinder in der Pflegefamilie gut geht.
Die Wahrheit über Burundi
Gefragt, ob die Veröffentlichung ihre klaren Worte über die Behörden ihres Landes für sie Schaden oder Gefahr bringen könnten, sagt Sr. Godelive: "Die Wahrheit hat einen hohen Preis. Irgendjemand muss ihn bezahlen." Doch habe sie keine falschen Informationen verbreitet, keine Behörden beschimpft und nur die Lage und die Problem ihres Zentrums geschildert. "Es muss irgendwann die Wahrheit über Burundi gesagt werden", so Sr. Godelive.
Quelle: kathpress