"Ökologisches Selbstmordprogramm": Klimaforscher fordert Umdenken
Zu einem fundamentalen Lebenswandel hat der deutsche Naturwissenschaftler und Co-Präsident des Club of Rome, Prof. Ernst Ulrich von Weizsäcker, aufgerufen, um die Welt nicht völlig zu zerstören. Es müsse dringend mehr Bewusstsein dafür geschaffen werden, "dass die heiliggesprochenen Trends der letzten 100 Jahre in die Zerstörung des gemeinsamen Hauses geführt haben", so Weizsäcker im Interview mit der Kärntner Kirchenzeitung "Sonntag". Höchstes Lob zollte Weizsäcker Papst Franziskus und seiner Enzyklika "Laudato Si": "Das ist eine großartige Enzyklika! Der Heilige Vater sagt deutlich: So darf es nicht weitergehen, das ist ein Selbstmordprogramm."
Er unterscheide zwischen der "leeren Welt" und der "vollen Welt", so Weizsäcker. Was in der leeren Welt vor 100 Jahren noch akzeptabel war, sei in der vollen Welt ein Teil des Selbstmordprogrammes. Weizsäcker:
Was willst du tun, wenn du mehr Fische haben willst? In der leeren Welt gilt: Hast du mehr Netze, Boote, Fischer, so hast du mehr Fische. In der vollen Welt sind das Allerwichtigste Fischfangverbotszonen, sonst werden die restlichen Fischbestände, die es noch gibt, vernichtet.
Die heutige Ökonomie, aber auch die Religionen, sämtliche Sprachen der Welt und auch sämtliche Instinkte des Menschen stammten aber noch aus der leeren Welt.
Und so benehmen wir uns. Wir haben nicht realisiert, dass mit der Zunahme der Zahl der Menschen und ihren Konsumbedürfnissen sich die Gesetzmäßigkeiten total verändert haben. Das müssen wir realisieren und entsprechend handeln.
Damit sei man auch sehr nahe bei Papst Franziskus, der sage, dass eine Zivilisation, die auf Geiz, Eigensucht oder Naturvergessenheit basiert, das gemeinsame Haus nicht aufrechterhalten kann.
Im neuen Buch des Club of Rome ("Wir sind dran"), an dem Weizsäcker federführend mitwirkte, wird eine "neuen Aufklärung" eingemahnt. Weizsäcker:
Die alte Aufklärung stammt ja aus der 'leeren Welt': Sie hat den Individualismus, den Egoismus, den Geschwindigkeitswahn usw. hervorgebracht. Das war für die damalige Welt eine Befreiung, aber für die 'volle Welt' ist sie nicht mehr tauglich.
Verbesserung der Ressourceneffizienz
Als realistische konkrete Maßnahme nannte Weizsäcker die dramatische Verbesserung der Ressourceneffizienz, "also der Menge Wohlstand, die man aus einem Liter Wasser, einer Kilowattstunde, einer Tonne Erz herausholt". Der Club of Rome habe aufgezeigt, dass wenigstens eine Verfünffachung möglich sei. Das würde bedeuten, dass man ohne Wohlstandsverzicht den Naturverbrauch etwa auf ein Fünftel reduzieren könnte. Gleichzeitig müsste man dafür sorgen, "dass das finanziell lukrativer wird als das bloße Konsumwachstum".
Der Faktor Ressourcenverbrauch müsse deshalb teurer gemacht werden, der Faktor menschliche Arbeit zugleich billiger. Weizsäcker: "In Deutschland hat man mit einer ökologischen Steuerreform Benzin, Strom, Erdgas jedes Jahr um ca. 5 Prozent teurer gemacht und das Geld in die Finanzierung der Sozialversicherung gesteckt. So hat man erreicht, dass die Mobilität weniger Natur verbraucht und gleichzeitig die Zahl der Arbeitsplätze zugenommen hat."
Zum Thema Freihandel sagte der Wissenschaftler, dass der Warenaustausch zwischen Ländern im Prinzip etwas Vernünftiges sei, "solange die Preise die ökologische Wahrheit sagen". Eine politisch einfache Maßnahme wäre in diesem Sinn die Aufkündigung des sogenannten "Abkommens von Chicago" von 1944, welches praktisch alle Staaten der Welt hindert, Flugbenzin zu besteuern. Dadurch könnten etwa Kiwis aus Neuseeland billiger sein als solche aus Italien. Weizsäcker:
Die heutige Ökonomie tut immer so, als floriere die Wirtschaft, wenn Transport nichts kostet - das ist nicht so.
Weiters sollte die neue Aufklärung sehr viel stärker von langfristiger Vernunft, vom Denken an künftige Generationen und die Natur gekennzeichnet sein.
Weizsäcker ist seit 1991 Mitglied des Club of Rome, einer Organisation von Vordenkern für eine nachhaltige Entwicklung der Menschheit. Seit 2012 fungiert er als Co-Präsident. Am Freitag, 3. August, ist Weizsäcker im Kärntner Bildungshaus Sodalitas/Tainach zu Gast (19 Uhr). Der Titel des Sommergesprächs lautet: "Was wir ändern müssen, damit alles so bleibt. Politik im Zeitalter des Klimawandels".
Quelle: kathpress