Schauspielhaus Graz: "Mitten drin" im Alten Testament
"Altes Testament - Aus dem Tagebuch der Menschheit": Mit diesem Titel seiner jüngsten Theaterinszenierung macht Regisseur Volker Hesse den Stellenwert des dabei aufgegriffenen Stoffes klar: Nichts Geringeres als ein Monument der Kultur- und Menschheitsgeschichte soll mit Hilfe von zwölf Schauspielern und fünf Musikern auf die Bühne gebracht werden. Die dreieinhalbstündige Aufführung mit den bekanntesten Erzählungen der hebräischen Bibel rund um Noah, Abraham, David, Hiob u.a. hatte am Samstagabend im Schauspielhaus Graz Premiere und brachte dem Publikum dieses kulturelle Erbe in einer innovativen Inszenierung buchstäblich nahe: "Mitten drin" in der Bibel sei man als Zuseher, lobte der Grazer Bischof Wilhelm Krautwaschl als einer der Premierengäste.
Schauplatz der Premiere und der weiteren 15 Aufführungen im Mai und Juni ist das Haus eins des Grazer Haupttheaters: Bühne und Publikumsraum verschmelzen zu einem einzigen Raum, der von weißen Stoffbahnen umrahmt wird. Darauf werden Live-Videos der Schaupieler ebenso projiziert wie Aufnahmen von Flüchtlingen, Kriegsszenerien und Erdölpumpen. Die Regie unterstreicht auf diese Art, dass das Gezeigte nicht nur Teil einer fernen Vergangenheit, sondern durch Themen wie Flucht und Migration, Ausgrenzung, (Gruppen-)Egoismen, aber auch Erlösungshoffnung auch höchst relevant für das Zeitgeschehen ist. Das Publikum bleibt dem Geschehen nicht wie sonst beim "Guckkastentheater" fern, sondern wird in vielen Szenen zu unmittelbaren Akteuren.
Bereits der siebentägige Schöpfungsakt zu Beginn wird von Theaterbesuchern wechselweise mit den Schauspielern verlesen. Später baut das Publikum mit Kartonquadern am Turm von Babel mit, wird beim Auszug aus Ägypten zur jubelnden Masse, Besucherinnen werden zu Bathseba und anderen von König David begehrten Geliebten, auch Männer zuletzt von den zwölf Miminnen und Mimen als Protagonisten des Hoheliedes Salomos angeschmachtet.
Viele inszenatorische Einfälle
Die Schauspieler sprechen den Text der Lutherbibel - laut Dramaturgin Karla Mäder ausgewählt wegen seiner literarischen Qualität - nicht nur in ihren jeweiligen Rollen, sondern auch Worte Gottes oder jene des biblischen Erzählers. Textlastigkeit wird durch inszenatorische Einfälle wie einen "Luftkampf" zwischen Kain und Abel, die an Seilen herabhängend den ersten gewaltsamen Konflikt austragen, hintangestellt. Die babylonische Sprachverwirrung als vielstimmige Kakophonie, die brüderliche Gewalt an Josef durch eine Art "Waterboarding" in einem gefüllten Schaff oder die vollen Kornkammern Ägyptens als effektvoll rieselnder Getreidesack: all das macht den oft sperrigen, heute oft kulturfernen Bibeltext anschaulich.
Und dass Prophetenwarnungen höchst aktuell sein können, bewies ein auf das Publikum herabfallendes Flugblatt mit Texten aus dem Jesaja- und Jeremia-Buch: "Siehe, Damaskus wird keine Stadt mehr sein, sondern ein zerfallender Steinhaufen", heißt es dort bezugnehmend auf den Syrienkrieg.
Der Gott der Bibel bleibt dem Publikum wohl fremd - seine Verbote, Bevorzugungen, Versuchungen, Strafen werden höchstens als allzu menschliche Mittel zum Zweck nachvollziehbar. Nicht um "religiöse Offenbarung" sei es ihr und Regisseur Hesse gegangen, erklärte Dramaturgin Mäder zur Aufführung, sondern um einen Blick auf Anthropologie, auf Verhaltensmuster, die sich durch die Menschheitsgeschichte ziehen. Wohl aber hätten sich die Theatermacher um wissenschaftliche Fundierung bemüht: Mäder berichtete von der miteinbezogenen Grazer Bibelwissenschaftlerin Irmtraud Fischer, deren Expertise etwa bei der Ausgestaltung der im Alten Testament durchaus vorkommenden "starken Frauen" eine Rolle gespielt habe. Deren Hinweis, nicht die Bibel sei patriarchal, wohl aber deren Interpretation, habe überzeugt.
Krautwaschl: "Großartiger Theaterabend"
Bischof Krautwaschl, wie der Grazer Bürgermeister Siegfried Nagl und einige Landes- und Stadträte Gast der Premiere, berichtete danach von seinem während der Vorstellung mehrmals aufgekommenen Gedanken, "dass dies auch meine Geschichte ist, mein Sehnen, meine Fragen usw.", die in diese urtypischen Erzählungen der über Jahrhunderte gewachsenen Bibeltexte einflossen. Beeindruckt habe ihn die aktive Einbeziehung der "üblicherweise 'Zuschauer' genannten Teile einer Theateraufführung" und die Unmittelbarkeit der Kommunikation zwischen Schauspielern und Publikum. Für ihn sei es ein "großartiger Theaterabend" gewesen, so Krautwaschl. Er dankte Intendantin Iris Laufenberg, dass sich das Schauspielhaus an Stoffe wie diesen heranwagte: "Einfach toll, dass so etwas in Graz möglich ist." Und in einem Facebook-Eintrag vergab der Grazer Bischof der Aufführung das Prädikat "äußerst sehenswert".
Auch Johannes Rauchenberger, als Leiter des Kulturzentrums bei den Minoriten ("Kultum") einer "der" Kulturfachleute der steirischen Kirche, zeigte sich nach der Premiere begeistert. "Phantastisch" nannte er die subtile Umsetzung alttestamentlicher Gottesbilder, die teilweise von Frauen veranschaulicht werden, oder die Verkörperung des stotternden, vermeintlich überforderten Befreiers Mose durch Schauspielerin Julia Gräfner. Rauchenberger lobte die Auswahl der Episoden aus einer schier überwältigenden Stofffülle und wie deren Relevanz für die Gegenwart nahegebracht wird. Als einzige Länge habe der "Kultum"-Chef - wie er sagte - die vielstimmig rezitierte Liebeslyrik des Hoheliedes Salomos empfunden.
Regisseur Hesse setzte mit den darin vorkommenden wechselnden Huldigungen eines Mannes an seine Geliebte und umgekehrt einen Kontrapunkt zur davor tragisch endenden Hiob-Erzählung - und zugleich den Schlusspunkt eines spannenden, vielbeklatschten Theaterabends. (Info: www.schauspielhaus-graz.com)
Quelle: kathpress