Schönborn: Überzeugung der gleichen Würde aller ist unaufgebbar
Die christliche Überzeugung, dass alle Menschen als Gottes Geschöpfe mit derselben Würde ausgestattet sind, ist "unaufgebbar". Und sie ist nach Ansicht von Kardinal Christoph Schönborn auch eine überzeugende Antwort auf die Frage, ob das Christentum noch als geistiges Fundament Europas taugt. Wiener Erzbischof tauschte sich am Donnerstagabend im Wiener Kardinal-König-Haus mit dem Philosophieprofessor Konrad-Paul Liessmann und dem Theologen und Psychoanalytiker Manfred Lütz über die Relevanz des Christentums als geistige Säule Europas aus.
"Die erste und entscheidende Botschaft des Christentums ist, dass die Menschheit eine Familie ist", erklärte Schönborn. Er erinnerte an den deutschen Sozialphilosophen Max Horkheimer, der dies als die "umstürzendste Botschaft der jüdisch-christlichen Tradition" bezeichnet hatte. Die Überzeugung des frühen Christentums, dass Griechen und Barbaren gleicher Würde seien, habe schon in der Antike als die "Sprache des Aufstands" gegolten. Auch Papst Pius XII. habe - so erinnerte der Kardinal - zu Beginn des Zweiten Weltkriegs exakt diesen Punkt als das entscheidende Argument gegen den Nationalsozialismus ins Treffen geführt. Kardinal Schönborn dazu:
Er hat den Nationalsozialismus nicht beim Namen genannt, aber hat klar gesagt: Die Menschheit ist eine, von ihrem Ursprung her, von ihrer Würde her, von ihrem Ziel her und von ihrem Habitat her. Diese Überzeugung ist unaufgebbar.
Warnend fügte der Kardinal hinzu: "Wenn das nicht mehr das Fundament Europas ist, dann machen wir eine Festung Europa. Dann machen wir die Grenzen dicht." Seinem Eindruck nach breite sich derzeit eine Mentalität aus, die zwischen einem mit Vorrechten auszustattenden "Wir" und dem "Anderen", dem immer mehr Rechte angesprochen werden, unterscheide. Dass jeder Mensch nach Gottes Ebenbild geschaffen sei und eine unveräußerliche Würde habe, "sind die Haltungen, die das Christentum in die Welt gebracht hat", stellte Schönborn fest. "Wenn das nicht mehr Fundament unserer Gesellschaft ist, ist das nicht mehr mein Europa."
"Christen schämen sich für eigene Geschichte"
Manfred Lütz, Autor des jüngst erschienenen Buches "Der Skandal der Skandale - Die geheime Geschichte des Christentums", erinnerte an eine Aussage des deutschen Politikers Gregor Gysi, wonach die Linke in Bezug auf Werte wohl noch Jahrzehnte lang diskreditiert sei; einzig die christlichen Kirchen seien hier als Institution noch relevant. Als ein Problem erachtet es Lütz, dass sich Christen oft "sicherheitshalber für die eigene Geschichte schämen, ohne sie eigentlich zu kennen". Man schätze Papst Franziskus und Mutter Theresa nicht weil, sondern obwohl sie Christen sind: "Man nimmt es ihnen sozusagen nicht übel."
An dieser Sichtweise seien die Christen mitschuld, befand der deutsche Autor. Als 2007 das Buch "Toleranz und Gewalt. Das Christentum zwischen Bibel und Schwert" des Kirchenhistorikers Arnold Angenendt erschien, habe er - Lütz - beim Herder-Verlag eine Kurzfassung davon urgiert. Die Antwort "Warum machen Sie das nicht?" habe er nun umgesetzt, indem er das Fachbuch Satz für Satz auseinandergenommen und in eine für eine breitere Öffentlichkeit lesbare Form gebracht habe. Als Nagelprobe habe er das Buch dann sowohl von führenden Historikern als auch von seinem Friseur lesen lassen.
Er finde es problematisch, dass die Menschen heute wieder fast vorchristliche Haltungen einnähmen, so der Psychoanalytiker: "Wichtig im Leben ist Geld, Erfolg und der Größte zu sein." Donald Trump zum Beispiel sei kein Narzisst, er hat keine Probleme mit sozialen Kontakten, so die Ferndiagnose Lütz'. Der US-Präsident sei vielmehr zutiefst unmoralisch. "Das ist viel gefährlicher. Einen Narzissten kann man behandeln."
Konrad Paul Liessmann hinterfragte die Sinnhaftigkeit, von christlichen "Werten" zu sprechen. Ginge es um solche, "dann würde Gott seine Werte alle zehn Jahre ändern - und das glaube nicht einmal ich als Atheist. Dann wäre er so wankelmütig und unbeständig wie unsere Wertediskurse, weil wir ständig Abwertungen und Aufwertungen vornehmen", so der Essayist. Das Fundament des Glaubens sei der Bezug zur Transzendenz, Religionen kennzeichneten Gebote, die dann für Gläubige nicht beliebig disponible Werte darstellten, sondern Verbindlichkeiten, die "ihren letzten Grund nicht in dieser Welt" hätten.
Quelle: kathpress