IGGiÖ-Präsident Olgun will Kopftuch-Verbot anfechten
Die Islamische Glaubensgemeinschaft (IGGiÖ) würde gegen ein Kopftuchverbot in Volksschulen und Kindergärten klagen und alle rechtlichen Mittel bis zum Verfassungsgerichtshof notfalls ausschöpfen. Das hat IGGiÖ-Präsident Ibrahim Olgun im Interview mit der Tageszeitung "Die Presse" (Dienstag) angekündigt. Die Verfassungsrechtler Bernd-Christian Funk und Heinz Mayer haben unterdessen im "Standard" (Dienstag) schwere Bedenken gegen die Auffassung der Bundesregierung vorgebracht, dass das geplante Verbot verfassungskonform sei.
Wir sehen einen direkten Eingriff in innerislamische Angelegenheiten, die verfassungsrechtlich geschützt sind. Wir sehen uns in der Freiheit der Religionsausübung verletzt und würden alle rechtlichen Möglichkeiten ausschöpfen, um so ein Gesetz anzufechten.
So IGGiÖ-Präsident Olgun im "Presse"-Interview und weiter:
Der Islam wird von der Politik vermehrt als Feindbild verwendet. Früher gab es andere Feindbilder. Heute ist der Islam Feindbild für rechtspopulistische Politik.
Muslime in Österreich seien besorgt über das Ausüben ihrer Religionsfreiheit. Sie fragten: "Was möchte man uns noch verbieten? Ist man erst dann integriert, wenn man kein Muslim mehr ist?"
Jede Art von Kopftuchverbot sei kontraproduktiv "und gegen unsere Religion", kritisierte Olgun. Die Politik versuche damit, "die Wähler von den eigentlichen politischen Themen und Problemen abzulenken".
Der IGGiÖ-Präsident räumte ein, dass eine Verpflichtung zum Kopftuch bei Kindern theologisch keinen Sinn mache. Aber:
Für mich gibt es keinen Unterschied zwischen einem Vater, der seiner Tochter ein Kopftuch aufzwingt, und einer Regierung, die durch Verbote das Ablegen erzwingt.
Der Glaubensgemeinschaft seien nur wenige Fälle von Kindern bekannt, die ein Kopftuch tragen. Nachsatz: "Wir haben durch Aufklärungsarbeit da sehr viel gemacht.
Zur Frage, was bei der Integration von Muslimen schief läuft, meinte der IGGiÖ-Präsident: "Die Mehrheit der Muslime hat sich bereits integriert, und sie werden sich auch weiter integrieren." Die Integration habe auch ihre Grenzen.
Eine Glaubenspraxis kann man nicht integrieren, das wäre Assimilation. Die Muslime werden sich nicht assimilieren.
Unter Assimilation verstehe er, "dass Muslimen verboten wird, ihre Religion frei zu leben".
Nach Olguns Meinung gibt es keinen Widerspruch zwischen Islam und Menschenrechten oder der Gleichstellung von Mann und Frau. "Solche Probleme gibt es in der islamischen Religion nicht", so der IGGiÖ-Präsident wörtlich.
Angesprochen darauf, dass Männer sich auf den Islam berufen, wenn sie Frauen nicht die Hand geben wollen, meinte Olgun: "Wenn das [Handgeben, Anm.] in Österreich üblich ist, sollte man das als Mann auch tun. Wir sehen da kein Problem. Es gibt hierzu verschiedene islamische Rechtsmeinungen."
Und zum vermeintlichen Vorrang von göttlichem Recht vor staatlichem Recht sagte der IGGiÖ-Präsident:
Staatliches Recht hat immer Vorrang. Es steht auch im Koran, dass Muslime gegenüber den Herrschenden loyal sein müssen.
Von der Idee, Predigten in Moscheen verpflichtend auf Deutsch zu halten, hält Olgun nichts. "Damit erreicht man nichts. Es gibt Kirchen, deren Angehörige kroatisch, serbisch oder polnisch sind und Pfarrer nicht deutsch sprechen. Darüber wird nie diskutiert", so der IGGiÖ-Präsident.
Er begrüße grundsätzlich das Vorhaben der Regierung, Kinder vor Zwang zu schützen. Er wünsche sich aber auch, "dass die Regierung Kinder vor Diskriminierung schützt, die freiwillig das Kopftuch tragen". Der Glaubensgemeinschaft seien sehr viele Fälle bekannt, "in denen religionsmündigen Jugendlichen von Lehrern nahegelegt wird, das Kopftuch abzulegen".
Darauf angesprochen, dass es auch Fälle gibt, wo junge Muslime Mädchen zwingen, ein Kopftuch zu tragen, räumte Olgun ein, dass diese Einzelfälle genauso problematisch seien. Diese dürften aber nicht die verfassungsrechtlich geschützte Religionsfreiheit unterbinden. "Das zeigt doch, dass die Kopftuchdebatte eine Scheindebatte ist."
Verwirrende Rechtsdebatte
Zur Frage, ob das Kopftuchverbot in Kindergärten und Volksschulen muslimische Mädchen diskriminieren würde, wenn jüdische Buben weiterhin ihr Gebetskäppchen (Kippa) tragen dürfen, gibt es unterschiedliche Rechts-Meinungen. Für den Verfassungsrechtler Bernd-Christian Funk komme man in der Diskussion nicht um die Frage herum, ob man eine Religion strenger behandeln darf als die andere. Die Argumentation der Bundesregierung: Da es im Islam kein Gebot gibt, kleine Mädchen zu verschleiern, könne das Kopftuch auch kein religiöses Symbol sein. Verboten werden soll demnach kein religiöses Kleidungsstück, sondern schlicht und einfach ein Stück Stoff, das Mädchen unterdrückt. Mit Religion habe das alles gar nichts zu tun.
Die türkis-blaue Koalition sieht sich in dieser Auffassung durch ein Gutachten des Verfassungsdienstes der Republik bestärkt, der wörtlich festhält, es sei "davon auszugehen, dass ein Verbot religiöser Kopfbedeckungen für Kinder in Kindergärten und Volksschulen, das unabhängig von der religiösen Überzeugung gilt, dem Grunde nach zulässig ist".
"Unabhängig von der religiösen Überzeugung" - diese Formulierung ist missverständlich. Sie kann bedeuten, dass man nicht eine Glaubensgemeinschaft herauspicken darf. Sie kann aber auch, und so liest es die Koalition, aussagen, dass man Kleidungen dann verbieten darf, wenn sie nicht religiös motiviert sind. Der Verfassungsjurist Heinz Mayer versteht die Einschätzung des Verfassungsdienstes anders, wie er im "Standard" erläuterte:
Entweder das Kopftuch ist ein religiöses Symbol - dann kann ich es verbieten, wenn ich alle religiösen Symbole aus Kindergärten und Schulen verbanne.
Wenn man das Kopftuch aber als kulturelles Symbol versteht, dürfe man es nur in bestimmten Fällen verbieten. Etwa dann, wenn dadurch die öffentliche Ruhe und Sicherheit gestört werden, "was durch Volksschülerinnen wohl nicht der Fall ist", so die Einschätzung Mayers: "Ansonsten könnte man als Nächstes auch Tracht verbieten oder so etwas."
"Billiges Ablenkungsmanöver"
Heftige Kritik am Regierungsvorhaben hat am Dienstag auch die Frauenbeauftragte der Islamischen Glaubensgemeinschaft, Carla Amina Baghajati, in einem "Standard"-Gastkommentar (Dienstag) geübt. Sie sprach beim geplanten Kopftuchverbot von einem "billigen Ablenkungsmanöver" der Regierung. Alle seien sich ja einig darin, dass Mädchen nicht von klein auf zum permanenten Kopftuchtragen genötigt werden sollen. Die Zahl betroffener Mädchen an Kindergärten geht aber laut Baghajati gegen null. An Volksschulen handle es sich um Einzelfälle, die vor allem im Ballungsraum Wien vorkommen. Inzwischen eingeholte Erfahrungswerte aus Schuldirektionen bestätigten dies.
An der muslimischen Basis habe sich "keine einzige Stimme bemerkbar gemacht, die das verfrühte Kopftuchtragen religiös verteidigt oder gar Eltern darin unterstützen möchte, den Mädchen, kaum dass sie sprechen können, ein Kopftuch umzubinden". Hier habe der innermuslimische Diskurs pädagogisches Fingerspitzengefühl gefördert. Baghajati:
Anstatt darauf zu setzen, dass diese muslimischen Stimmen wichtige Multiplikatoren im Sinne der Interessen der Mädchen und damit eigentlich Partner sind, übersieht man deren Leistung meist geflissentlich. So herrscht unter Muslimen verbreitet Verbitterung und Sorge: 'Wo soll das alles noch enden? Was kommt als Nächstes?'
Die jetzige Unterstellung, Muslime müssten in Fragen der Kindererziehung gesetzlich beschränkt werden, um deren Kinder vor den eigenen Eltern zu "schützen", stoße vor allem jene moderate muslimische Mehrheit vor den Kopf, "die längst in der Mitte der Gesellschaft angekommen ist", kritisierte Baghajati: "Diesen Muslimen schlägt eine Welle prinzipiellen Misstrauens entgegen mit fatalen Auswirkungen auf das gesellschaftliche Klima. So gesehen fördert der Herr Bundeskanzler genau jene gesellschaftliche Segregation, die er zu bekämpfen vorgibt."
Quelle: kathpress