Staat und Religion: Experte sieht "Spielraum der Annäherung"
"Ist Österreich ein christlicher Staat?": Ausgehend vom diesbezüglichen Disput in Arthur Schnitzlers berühmtem Werk "Professor Bernhardi" hat der Wiener Staatsrechtler Markus Vasek zum Abschluss der heurigen "Seggauer Gespräche zu Kirche und Staat" (5./6. April) das Modell der Trennung von Staat und Kirche in Österreich und die Autonomie der Religionsgesellschaften analysiert. Die weltanschauliche Neutralität des Staates sei im Letzten nicht zwingend, da sie in der Bundesverfassung nicht explizit vorkomme, sagte der an der Wiener Wirtschaftsuniversität tätige Vasek am Freitag. Wohl aber schützten die Grundrechte, und dabei besonderes jenes der Religionsfreiheit, bei einer grundsätzlichen Trennung von Staat und Religion Einzelpersonen und Religionsgemeinschaften.
Da die Verfassung zur weltanschaulichen Neutralität schweige, könnte eine demokratisch legitimierte Gesetzgebung, die sich im Verfassungsrahmen bewege, legitime Schwerpunkte setzen, so etwa das Anbringen von Kreuzen in Schulen, schilderte der Wiener Jurist. Eine enge Anwendung der weltanschaulichen Neutralität als philosophisches und übergeordnetes Prinzip verringere demgegenüber den Spielraum des Staates und bringe gleichzeitig keinen Freiheitsgewinn für die Bürger. "Österreich ist juristisch gesehen kein christlicher Staat, aber es gibt einen Spielraum der Annäherung", so das Fazit Vaseks.
Zuvor sprach der Freiburger Staatswissenschaftler Matthias Jestaedt über das Verhältnis von Staat und Religion in Deutschland. In seinem Referat bezog er sich besonders auf die Verfassung der Weimarer Republik und das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland. Die Weimarer Verfassung führte zu einer stärkeren Vereinheitlichung und Konstitutionalisierung des Religionsrechtes in Deutschland gegenüber dem seit der Reformation primär geltenden Territorialprinzip.
Das Grundgesetz und seine Auslegung durch das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe böten in der Fortführung der Weimarer Verfassung einen vitalen und stabilen Rahmen, der die Erfordernisse der Zeit in Hinblick auf das Verhältnis von Staat und Religion in einer Gesamtarchitektur angemessen und in einer offenen Haltung berücksichtigte, so Jestaedt.
Anlässlich des 100-Jahr-Republiksjubiläums standen die "Seggauer Gespräche" am 5./6. April heuer unter dem Motto "1918-2018: 100 Jahre Trennung von Staat und Kirche". Hauptreferenten neben Vasek und Jestaedt waren bereits am Donnerstag die Kirchenhistoriker Michaela Sohn-Kronthaler (Graz) und Markus Ries (Luzern).
Die alle zwei Jahre stattfindende Veranstaltung im südsteirischen bischöflichen Bildungszentrum Schloss Seggau, bei sich Kirchenvertreter und Experten jeweils mit unterschiedlichen Aspekten des Verhältnisses von Kirche und Staat beschäftigen, zog auch in diesem Jahr ein breites Publikum an. Unter den Teilnehmenden waren u.a. der Salzburger Erzbischof Franz Lackner, der Grazer Bischof Wilhelm Krautwaschl, der steirische evangelische Superintendent Hermann Miklas und auch der Leiter des Kultusamtes im Bundeskanzleramt, Oliver Henhapel.
Die "Seggauer Gespräche" wurden 2006 auf Initiative des mittlerweile emeritierten steirischen Diözesanbischofs und ehemaligen Europareferenten der Österreichischen Bischofskonferenz, Egon Kapellari, ins Leben gerufen. "Zukunft braucht Herkunft. Durch die lebhaften Diskussionen und das breite Panorama der Vorträge sind viele positive Impulse für die Zukunftsfragen in Staat und Religion entstanden", sagte der Grazer Theologe Peter Rosegger, der im Krankenhaus der Elisabethinen tätig ist.
Das Dialogforum ist eine Kooperationsveranstaltung der Diözese Graz-Seckau, der Erzdiözese Salzburg, der Evangelischen Diözese Steiermark, des Instituts für Philosophie an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Graz und des Instituts für Europarecht und Internationales Recht der Wirtschaftsuniversität Wien.
Quelle: kathpress