"Es gibt nur eine Traurigkeit im Leben: kein Heiliger zu sein"
Aus dem von Papst Franziskus am Montag veröffentlichten Apostolischen Schreiben "Gaudete et exsultate" dokumentiert Kathpress im Folgenden wichtige Passagen und einprägsame Zitate:
Der Herr fordert alles; was er dafür anbietet, ist wahres Leben, das Glück, für das wir geschaffen wurden. Er will, dass wir heilig sind, und erwartet mehr von uns, als dass wir uns mit einer mittelmäßigen, verwässerten, flüchtigen Existenz zufriedengeben. (Nr. 1)
Mein bescheidenes Ziel ist es, den Ruf zur Heiligkeit einmal mehr zum Klingen zu bringen und zu versuchen, ihn im gegenwärtigen Kontext mit seinen Risiken, Herausforderungen und Chancen Gestalt annehmen zu lassen. (Nr. 2)
Die Heiligkeit ist das schönste Gesicht der Kirche. (Nr. 9)
Wir sind alle berufen, heilig zu sein, indem wir in der Liebe leben und im täglichen Tun unser persönliches Zeugnis ablegen, jeder an dem Platz, an dem er sich befindet. (Nr. 14)
Im Tiefsten bedeutet Heiligkeit, in Einheit mit ihm die Geheimnisse seines Lebens zu leben. Sie besteht darin, sich auf einzigartige und persönliche Weise mit dem Tod und der Auferstehung des Herrn zu verbinden, ständig mit ihm zu sterben und mit ihm aufzuerstehen. (Nr. 20)
Deine Identifikation mit Christus und seinen Wünschen impliziert das Bemühen, mit ihm das Reich der Liebe, der Gerechtigkeit und des Friedens für alle zu errichten. (Nr. 25)
Es ist nicht gesund, die Stille zu lieben und die Begegnung mit anderen zu meiden, Ruhe zu wünschen und Aktivität abzulehnen, das Gebet zu suchen und den Dienst zu verachten. [...] Wir sind aufgerufen, die Kontemplation auch inmitten des Handelns zu leben, und wir heiligen uns in der verantwortlichen und großherzigen Ausübung der eigenen Sendung. (Nr. 26)
Ein Einsatz, der von der Angst, vom Stolz oder vom Bedürfnis, gut dazustehen und zu herrschen, motiviert ist, wird sicherlich nicht heiligend sein. Die Herausforderung besteht darin, die eigene Selbsthingabe so zu leben, dass die Bemühungen einen dem Evangelium entsprechenden Sinn haben und uns immer mehr Jesus Christus angleichen. (Nr. 28)
Wir brauchen einen Geist der Heiligkeit, der sowohl die Einsamkeit als auch den Dienst, die Innerlichkeit wie auch den Einsatz für die Verkündigung durchdringt, damit jeder Moment ein Ausdruck hingebungsvoller Liebe unter den Augen Gottes ist. So werden all diese Momente zu Stufen auf unserem Weg der Heiligung. (Nr. 31)
Im Grunde genommen gibt es, wie Leon Bloy sagte, "nur eine Traurigkeit im Leben: kein Heiliger zu sein". (Nr. 34)
Sie (die Gnostiker, Anm.) verabsolutieren ihre eigenen Theorien und verpflichten die anderen, sich den von ihnen genutzten Argumentationen zu unterwerfen. Eine Sache ist der gesunde und demütige Gebrauch der Vernunft, um über die theologische und moralische Lehre des Evangeliums nachzudenken; etwas anderes ist es, danach zu streben, die Lehre Jesu auf eine kalte und harte Logik zu reduzieren, die alles zu beherrschen sucht. (Nr. 39)
Der Gnostizismus ist eine der schlimmsten Ideologien. Er überbetont nämlich die Erkenntnis oder eine bestimmte Erfahrung und hält gleichzeitig seine eigene Sicht der Wirklichkeit für vollkommen. Auf diese Weise nährt sich diese Ideologie, vielleicht ohne es zu merken, von sich selbst und wird noch verblendeter. Zuweilen wird sie besonders trügerisch, wenn sie sich als entleiblichte Spiritualität tarnt. Denn der Gnostizismus will "von Natur aus dem Geheimnis die Flügel stutzen", dem Geheimnis Gottes und seiner Gnade genauso wie dem Geheimnis des Lebens der anderen. (Nr. 40)
Es gelingt uns kaum, die Wahrheit, die wir vom Herrn empfangen haben, zu verstehen. Unter größten Schwierigkeiten gelingt es uns, sie auszudrücken. Deshalb können wir nicht beanspruchen, dass unsere Art, die Wahrheit zu verstehen, uns ermächtigt, eine strenge Überwachung des Lebens der anderen vorzunehmen. Ich möchte daran erinnern, dass in der Kirche unterschiedliche Arten und Weisen der Interpretation vieler Aspekte der Lehre und des christlichen Lebens berechtigterweise koexistieren, die in ihrer Vielfalt "helfen, den äußerst reichen Schatz des Wortes besser deutlich zu machen". (Nr. 43)
Diejenigen, die dieser pelagianischen oder semipelagianischen Mentalität entsprechen, verlassen sich, auch wenn sie mit süßlichen Reden von der Gnade Gottes sprechen, "letztlich einzig auf die eigenen Kräfte" und fühlen sich "den anderen überlegen [...], weil sie bestimmte Normen einhalten oder weil sie einem gewissen katholischen Stil der Vergangenheit unerschütterlich treu sind". Wenn einige von ihnen sich an die Schwachen wenden und ihnen sagen, dass man mit der Gnade Gottes alles kann, pflegen sie im Grunde die Idee zu vermitteln, dass man alles mit dem menschlichen Willen kann, als ob dieser etwas Reines, Vollkommenes, Allmächtiges wäre, zu dem die Gnade hinzukommt. (Nr. 49)
Wenn es keine aufrichtige, erlittene und durchbetete Anerkennung unserer Grenzen gibt, wird die Gnade im Grunde daran gehindert, wirksam in uns tätig zu sein. (Nr. 50)
Dennoch gibt es Christen, die einen anderen Weg gehen wollen: jenen der Rechtfertigung durch die eigenen Kräfte, jenen der Anbetung des menschlichen Willens und der eigenen Fähigkeit; das übersetzt sich in eine egozentrische und elitäre Selbstgefälligkeit, ohne wahre Liebe. Dies tritt in vielen scheinbar unterschiedlichen Haltungen zutage: dem Gesetzeswahn, der Faszination daran, gesellschaftliche und politische Errungenschaften vorweisen zu können, dem Zurschaustellen der Sorge für die Liturgie, die Lehre und das Ansehen der Kirche, der mit der Organisation praktischer Angelegenheiten verbundenen Prahlerei, oder der Neigung zu Dynamiken von Selbsthilfe und ichbezogener Selbstverwirklichung. Hierfür verschwenden einige Christen ihre Kräfte und ihre Zeit, anstatt sich vom Geist auf den Weg der Liebe führen zu lassen, sich für die Weitergabe der Schönheit und der Freude des Evangeliums zu begeistern und die Verlorengegangenen in diesen unermesslichen Massen, die nach Christus dürsten, zu suchen. (Nr. 57)
Oftmals verwandelt sich das Leben der Kirche, dem Antrieb des Heiligen Geistes entgegen, in ein Museumsstück oder in ein Eigentum einiger weniger. (Nr. 58)
Möge der Herr die Kirche von den neuen Formen des Gnostizismus und des Pelagianismus befreien, die sie auf ihrem Weg der Heiligkeit beschweren und aufhalten! (62)
Jesus erklärte mit aller Einfachheit, was es heißt, heilig zu sein, und er tat dies, als er uns die Seligpreisungen hinterließ (vgl. Mt 5,3-12; Lk 6,20-23). Sie sind gleichsam der Personalausweis des Christen. (Nr. 63)
Die Barmherzigkeit beinhaltet zwei Aspekte: den anderen geben, helfen, dienen und ebenso vergeben, verstehen. (Nr. 80)
Die Welt des Geredes, gemacht von Menschen, die gerne kritisieren und zerstören, baut den Frieden nicht auf. Diese Menschen sind vielmehr Feinde des Friedens und in keiner Weise selig. (Nr. 87)
Die Verfolgungen (von Christen, Anm.) sind keine Realität der Vergangenheit; auch heute erleiden wir sie, sei es auf blutige Weise, wie viele Märtyrer unserer Zeit, oder auf subtilere Weise durch Verleumdungen und Unwahrheiten. (Nr. 94)
Im Kapitel 25 des Matthäusevangeliums (Verse 31-46) verweilt Jesus erneut bei einer dieser Seligpreisungen, nämlich bei der, welche die Barmherzigen selig nennt. Wenn wir die Heiligkeit suchen, die in Gottes Augen gefällt, dann entdecken wir gerade in diesem Text einen Maßstab, nach dem wir geurteilt werden. (Nr. 95)
Heilig sein bedeutet daher nicht, in einer vermeintlichen Ekstase die Augen zu verdrehen. (Nr. 96)
Der Herr hat uns ganz deutlich gesagt, dass die Heiligkeit weder verstanden noch gelebt werden kann, wenn man von seinen Forderungen absieht, denn die Barmherzigkeit ist "das pulsierende Herz des Evangeliums" (Nr. 97).
Wenn ich einem Menschen begegne, der in einer kalten Nacht unter freiem Himmel schläft, kann ich fühlen, dass dieser arme Wicht etwas Unvorhergesehenes ist, das mir dazwischenkommt, ein Nichtsnutz und Gauner, ein Störenfried auf meinem Weg, ein lästiger Stachel für mein Gewissen, ein Problem, das die Politiker lösen müssen, und vielleicht sogar ein Abfall, der den öffentlichen Bereich verschmutzt. Oder ich kann aus dem Glauben und der Liebe heraus reagieren und in ihm ein menschliches Wesen erkennen, mit gleicher Würde wie ich, ein vom Vater unendlich geliebtes Geschöpf, ein Abbild Gottes, ein von Jesus Christus erlöster Bruder oder Schwester. Das heißt es, Christ zu sein! (Nr. 98)
Die Verteidigung des ungeborenen unschuldigen Lebens zum Beispiel muss klar, fest und leidenschaftlich sein, weil hier die Würde des menschlichen Lebens, das immer heilig ist, auf dem Spiel steht und es die Liebe zu jeder Person unabhängig von ihrer Entwicklungsstufe verlangt. Aber gleichermaßen heilig ist das Leben der Armen, die schon geboren sind und sich herumschlagen mit dem Elend, mit der Verlassenheit, der Ausgrenzung, dem Menschenhandel, mit der versteckten Euthanasie der Kranken und Alten, denen keine Aufmerksamkeit geschenkt wird, mit den neuen Formen von Sklaverei und jeder Form des Wegwerfens. Wir können kein Heiligkeitsideal in Erwägung ziehen, das die Ungerechtigkeit dieser Welt nicht sieht, wo einige feiern, fröhlich verbrauchen und ihr Leben auf die Neuheiten des Konsums reduzieren, während andere nur von außen zuschauen können und gleichzeitig ihr Leben weiter voran schreitet und armselig zu Ende geht. (Nr. 101)
Oft hört man, dass angesichts des Relativismus und der Grenzen der heutigen Welt beispielsweise die Lage der Migranten eine weniger wichtige Angelegenheit wäre. Manche Katholiken behaupten, es sei ein nebensächliches Thema gegenüber den "ernsthaften" Themen der Bioethik. Dass ein um seinen Erfolg besorgter Politiker so etwas sagt, kann man verstehen, aber nicht ein Christ, zu dem nur die Haltung passt, sich in die Lage des Bruders und der Schwester zu versetzen, die ihr Leben riskieren, um ihren Kindern eine Zukunft zu bieten. (...) Ähnliches legt das Alte Testament dar, wenn es sagt: "Einen Fremden sollst du nicht ausnützen oder ausbeuten, denn ihr selbst seid im Land Ägypten Fremde gewesen" (Ex 22,20). (...) Es handelt sich daher nicht um die Erfindung eines Papstes oder um eine momentane Begeisterung. (Nr. 102-103)
Das Gebet ist wertvoll, wenn es eine tägliche liebende Hingabe fördert. Unser Gottesdienst ist dem Herrn wohlgefällig, wenn wir dort unsere Vorsätze, großherzig zu leben, hineintragen und wenn wir zulassen, dass die Gabe Gottes, die wir im Gottesdienst empfangen haben, in der Hingabe an die Brüder und Schwestern sichtbar wird. (Nr. 104)
Wer in Wahrheit Gott mit seinem Leben ehren möchte, wer sich wirklich nach der Heiligung sehnt, damit sein Dasein Gott, den Heiligen, verherrlicht, der ist berufen, sich voll Leidenschaft zu verzehren und abzuplagen im Bemühen, die Werke der Barmherzigkeit zu leben. (Nr. 107)
Der hedonistische Konsumismus kann uns einen bösen Streich spielen, denn in der Vergnügungssucht sind wir schließlich allzu sehr konzentriert auf uns selbst, auf unsere Rechte und auf die verbissene Jagd auf freie Zeit, um das Leben zu genießen. (...) Auch der Konsum oberflächlicher Nachrichten und die Formen schneller virtueller Kommunikation können ein Faktor von Verblödung sein, der uns unsere ganze Zeit raubt und uns vom leidenden Fleisch der Brüder und Schwestern entfernt. Inmitten dieses aktuellen Trubels erschallt wieder das Evangelium, um uns ein anderes, gesünderes und glücklicheres Leben anzubieten. (Nr. 108)
Auch Christen können über das Internet und die verschiedenen Foren und Räume des digitalen Austausches Teil von Netzwerken verbaler Gewalt werden. Sogar in katholischen Medien können die Grenzen überschritten werden; oft bürgern sich Verleumdung und üble Nachrede ein, und jegliche Ethik und jeglicher Respekt vor dem Ansehen anderer scheinen außen vor zu bleiben. (Nr. 115)
Der Heilige verschwendet seine Energien nicht damit, über fremde Fehler zu klagen. (Nr. 116)
Es tut uns nicht gut, von oben herabzuschauen, die Rolle gnadenloser Richter einzunehmen, die anderen für unwürdig zu halten und ständig Belehrungen geben zu wollen. Dies ist eine subtile Form der Gewalt. (Nr. 117)
Der Heilige ist fähig, mit Freude und Sinn für Humor zu leben. (Nr. 122)
Missmut ist kein Zeichen von Heiligkeit. (Nr. 126)
Zugleich bedeutet Heiligkeit auch parrhesía: sie ist Wagemut, ist Antrieb zur Evangelisierung, die eine Spur in dieser Welt hinterlässt. (Nr. 129)
Die Heiligung ist ein gemeinschaftlicher Weg, immer zu zweit. (Nr. 141)
Die Gemeinschaft, die die kleinen Details der Liebe bewahrt, wo die Mitglieder sich umeinander kümmern und einen offenen und evangelisierenden Raum bilden, ist Ort der Gegenwart des Auferstandenen, der sie entsprechend dem Heilsplan des Vaters heiligt. (Nr. 145)
Das vertrauensvolle Gebet ist eine Reaktion des Herzens, das sich Gott von Angesicht zu Angesicht öffnet, wo alles Gerede zum Verstummen kommt, um auf die sanfte Stimme des Herrn zu horchen, die im Schweigen widerhallt. (Nr. 149)
Die Fürbitte hat einen besonderen Wert, weil sie ein Akt des Gottvertrauens und zugleich ein Ausdruck der Nächstenliebe ist. (Nr. 154)
Das Leben des Christen ist ein ständiger Kampf. Es bedarf Kraft und Mut, um den Versuchungen des Teufels zu widerstehen und das Evangelium zu verkünden. Dieses Ringen ist schön, weil es uns jedes Mal feiern lässt, dass der Herr in unserem Leben siegt. (Nr. 158)
Der Teufel ist auf den ersten Seiten der Bibel gegenwärtig, an deren Ende aber steht der Sieg Gottes über den Satan. Als Jesus uns das Vaterunser lehrte, wollte er tatsächlich, dass wir am Ende den Vater bitten, er möge uns von dem Bösen erlösen. Der dort benutzte Ausdruck bezieht sich nicht auf etwas Böses im abstrakten Sinn, sondern lässt sich genauer mit "der Böse" übersetzen. Er weist auf ein personales Wesen hin, das uns bedrängt. Jesus lehrte uns, täglich um diese Befreiung zu bitten, damit die Macht Satans uns nicht beherrsche. (Nr. 160)
Heutzutage ist die Haltung der Unterscheidung besonders notwendig. Das gegenwärtige Leben bietet enorme Möglichkeiten der Betätigung und der Ablenkung. Die Welt präsentiert sie, als wären sie alle wertvoll und gut. Alle, besonders die jungen Menschen, sind einem ständigen Zapping ausgesetzt. Man kann auf zwei oder drei Bildschirmen gleichzeitig navigieren und zugleich auf verschiedenen virtuellen Ebenen interagieren. Ohne die Weisheit der Unterscheidung können wir leicht zu Marionetten werden, die den augenblicklichen Trends ausgeliefert sind. (Nr. 167)
In allen Bereichen unserer Existenz können wir weiter wachsen und sie etwas mehr Gott übergeben, auch dort, wo wir die größten Schwierigkeiten erfahren. Doch müssen wir den Heiligen Geist darum bitten, dass er uns befreie und jene Angst vertreibe, die uns dazu bringt zu verhindern, dass er in einige Bereiche unseres Lebens eintritt. Wer alles von ihm erbittet, dem gibt er auch alles. (Nr. 175)
Quelle: kathpress