St. Pölten: Kritik am "Sozialkonzern" Caritas "kränkt viele"
Ist die Caritas ein "Sozialkonzern" geworden, dem ein "Gesundschrumpfen auf die wesentlichen Aufgaben" nahegelegt werden müsste? Um die Ausrichtung der katholischen Hilfsorganisation ist es jetzt in der Diözese St. Pölten zu einem öffentlich ausgetragenen Konflikt gekommen: Caritasdirektor Hannes Ziselsberger replizierte am Mittwoch auf vermeintliche Fehlentwicklungen, die Gudula Walterskirchen, Herausgeberin der - im Mitbesitz der Diözese St. Pölten befindlichen - "Niederösterreichischen Nachrichten" (NÖN) in der Tageszeitung "Die Presse" beklagt hatte. Deren Aussagen hätten ihn als Caritasdirektor, der tagtäglich gemeinsam mit mehr als 2.000 Mitarbeitern "Nächstenliebe und Caritas lebt, sehr betroffen und sprachlos gemacht", erklärte Ziselsberger dazu.
Er wisse aus zahlreichen Rückmeldungen, dass es viele Mitarbeiter, aber auch zahlreiche Spender "verstört und kränkt, wenn die Caritas mit solcher Kritik konfrontiert ist", so Ziselsberger in seiner auf www.caritas-stpoelten.at und auf Facebook verbreiteten Stellungnahme.
Schon allein der Zeitpunkt der Kritik von Walterskirchen sei für ihn unverständlich. Sie war am Montag Thema eines Gastkommentar unter dem Titel "Die Caritas ist Opfer ihres eigenen Erfolgs und braucht eine Reform" - einen Tag, nachdem Kardinal Christoph Schönborn in der ORF-"Pressestunde" von einem "Grundvertrauen" zwischen den Bischöfen und der Caritas gesprochen hatte. Der Wiener Erzbischof hatte es als Aufgabe der Caritas beschrieben, "auf Armut hinzuweisen, auch wenn das nicht immer angenehm sei", erinnerte Ziselsberger. "Umso überraschter war ich", als Gudula Walterskirchen in ihrem Kommentar die Bischöfe aufforderte, "tiefgreifende Reformen in der Caritas vorzunehmen, um ideellen Schaden für die Kirche abzuwenden".
Die NÖN-Herausgeberin plädierte für ein "Gesundschrumpfen auf die wesentlichen Aufgaben der Caritas". Dazu der St. Pöltner Caritasdirektor:
Um jemandem ein 'Gesundschrumpfen' empfehlen zu können, muss zunächst eine 'Erkrankung' diagnostiziert werden. Ich kann eine solche in der Caritas nicht erkennen.
Ziselsberger verwies "ganz im Gegenteil" auf zahlreiche Projekte, in denen engagierte haupt- und ehrenamtliche Caritas-Mitarbeiter Menschen in Not ganz konkret helfen - in Sozial- und Familienberatungsstellen, Lerncafes oder mittels der Pfarrcaritas.
"Wichtiger Dienst der Nächstenliebe"
Die Caritas sei enorm gewachsen sei und verfüge als "Sozialkonzern" über tausende Angestellte und hunderte Einrichtungen, hatte Walterskirchen ihr Unbehagen deponiert.
Die NÖN-Herausgeberin lasse dabei - so Ziselsberger - außer Acht, "dass die Angestellten einen wichtigen Dienst der Nächstenliebe an den Menschen in diesem Land leisten: im Rahmen der Pflegedienste, in Wohnhäusern und Werkstätten für Menschen mit Behinderung oder in den Angeboten für Menschen mit psychischen Erkrankungen". Diese Aufgaben seien von der Caritas zum Teil ins Leben gerufen und aufgebaut worden.
Die Haltung von Walterskirchen, dass diese Aufgaben "genauso gut Mitbewerber erledigen können", teile er nicht, teilte Ziselsberger mit. Seine kritische Rückfrage:
Darf Kirche nicht mehr helfen, weil auch andere helfen? Ist es falsch, wenn sichtbar bleibt, dass Glaube und Engagement für andere und Nächstenliebe auch durch die Kirche gezeigt und gelebt wird?
Der Weg der Caritas sei nicht der einzige mögliche, aber er sei "ein sehr bewährter und erprobter Weg", basierend auf Jahrzehnten an Erfahrung. "Die Unterstellung einer unchristlichen Haltung" schmerze ihn und entbehre jeder Grundlage, fügte Ziselsberger hinzu.
Gespräch mit Kritikerin gesucht
Auf seinem Facebook-Account informierte er über ein persönliches Gespräch, das er am Dienstag als Reaktion auf ihren Gastkommentar mit Walterskirchen geführt habe. Er freue sich, dass seine Kritikerin die Einladung angenommen habe, im April einen Tag lang Einrichtungen und Projekte der Caritas in Niederösterreich zu besuchen, "um sich so ein realistisches Bild unserer Arbeit zu machen".
Als Caritasdirektor wolle er "sehr genau zwischen sachlich begründeter Kritik und Vorurteilen unterscheiden", versicherte Ziselsberger. "Denn natürlich machen auch wir Fehler." Seine Aufgabe und die seines Teams sei es, aus diesen Fehlern zu lernen und sie in Zukunft zu vermeiden.
Quelle: kathpress