Kirche und Migration: Zulehner empfiehlt Blick auf Evangelium
Für Vertreter der katholischen Kirche in Ost- und Westeuropa soll beim Flüchtlingsthema nicht die Rücksichtnahme auf die je eigene Regierung sondern eine "Politik aus der Kraft des Evangeliums" das Ziel sein. Das hat der Wiener Theologe Paul Zulehner in einem Interview für die deutschen Katholische Nachrichten-Agentur KNA am Mittwoch gefordert: "Man hat dem Bischof bei der Weihe das Evangelium aufs Haupt gelegt und nicht eine Regierungserklärung", sagte Zulehner. Papst Franziskus dränge die europäischen Bischöfe, in der Flüchtlingsfrage mit einheitlicherer Stimme zu sprechen.
Die Kirchen in Europa hätten es aufgrund der unterschiedlichen Politik ihrer Regierungen bei diesem Thema nicht leicht, zu einer gemeinsamen politischen Position zu kommen, verwies Zulehner etwa auf den "Widerstand der Visegrad-Länder". Insgesamt sind die Kirchen in Europa aus Sicht des Pastoraltheologen, zu dessen Forschungschwerpunkten auch die Lage der Kirche in Ostmittel- und Osteuropa zählt, aber auf keinem schlechten Weg: "Ich denke, dass es in dieser Frage ein innerkirchliches Ringen gibt. Und dieses Ringen ist für Europa gesellschaftspolitisch sehr wertvoll; dabei kann die Kirche zeigen, dass sie in der Form von Kompromissen Fortschritte zugunsten der betroffenen Menschen erringen kann."
Zulehner äußerte sich auf KNA-Anfrage zum Auftakt der Frühjahrsvollversammlung (7. bis 9. März) der katholischen EU-Bischofskommission ComECE (Commissio Episcopatuum Communitatis Europaeae) in Brüssel. Die Vertreter der Bischofskonferenzen aus dem Gebiet der EU-Mitgliedsstaaten wählen bei ihren Beratungen auch einen Nachfolger für den bisherigen ComECE-Präsidenten Kardinal Reinhard Marx. Der Münchner Erzbischof und Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz kann nach zwei Amtszeiten nicht wiedergewählt werden. Kennzeichnend für die vergangenen sechs Jahre von Marx' ComECE-Präsidentschaft war auch die Spaltung der Kirchen Mittelost- und Westeuropas beim Thema Migration.
Neben der ComECE in Brüssel gibt es auf europakirchlicher Ebene auch den Rat der Europäischen Bischofskonferenzen (CCEE) mit Sitz in St. Gallen, in dem die Vorsitzenden aller Bischofskonferenzen auf dem europäischen Kontinent vertreten sind. Aus Sicht von Paul Zulehner ist dies eine Doppelgleisigkeit, die den gegenwärtigen Herausforderungen nicht mehr gerecht wird und die Kirchen in Europa schwächt, wie der Theologe im Gespräch mit der KNA betonte:
Es ist höchste Zeit, dass die ComECE als politischer Arm der europäischen Kirche und die CCEE als pastoraler Bereich zusammengefügt werden, weil es sonst zu einer nicht mehr akzeptablen Trennung von Pastoral und Politik kommt.
In der EU leben rund 270 Millionen Katholiken. Das entspricht einem Anteil von 54 Prozent der Bevölkerung. Polen ist zahlenmäßig das katholischste Land der EU; dort gehören etwa 96 Prozent der Bevölkerung der katholischen Kirche an. Es folgen Italien (95 Prozent), Spanien, Malta (je 92 Prozent) und Kroatien (89 Prozent). In Österreich gehören knapp 60 Prozent der Bevölkerung zur katholischen Kirche. Den geringsten Anteil an der Bevölkerung machen die Katholiken in Finnland aus (0,2 Prozent). In Estland (0,4 Prozent), Dänemark (0,7 Prozent), Bulgarien (1,0 Prozent), Griechenland (1,2 Prozent) und Schweden (1,6 Prozent) befinden sich die Katholiken ebenfalls in einer starken Minderheitssituation.
Quelle: kathpress