Sozialabbau durch Regierung oder "richtige Antworten"?
Sorgt die neue Bundesregierung für "schmerzhafte Einschnitte im Sozialsystem" oder gibt sie vielmehr "richtige Antworten" auf gegenwärtige Herausforderungen? Zu einem durchaus unterschiedlichen Urteil kamen dazu zwei Wirtschaftsfachleute bei einer Diskussion, zu der das "Forum Zeit und Glaube" der Katholischen Aktion (vormals Katholischer Akademikerverband) am Donnerstagabend ins Wiener Otto-Mauer-Zentrum lud. Während der Wirtschaftsforscher und Mitbegründer der Initiative "Christlich geht anders", Stephan Schulmeister, in der Regierungspolitik gar einen "Durchbruch" bei der Schwächung des Sozialstaats beklagte, sah Rolf Gleißner von der Wirtschaftskammer (WKO) hier im internationalen Vergleich durchaus Pluspunkte für Österreich.
Moderiert wurde die Diskussion von Magdalena Holztrattner, der Direktorin der Katholischen Sozialakademie Österreichs (ksoe), die eingangs bedauerte, dass der ehemalige Caritas-Präsident Franz Küberl wie auch Kanzleramtsminister Gernot Blümel kurzfristig abgesagt hatten. Holztrattner erwies sich selbst als Regierungskritikerin, als sie "menschenunwürdige" Einschnitte im sozialen Netz feststellte, die gerade vorbereitet würden oder sogar schon beschlossen seien. Sie wies darauf hin, dass die letzten einhundert Jahre eine "unglaubliche Erfolgsgeschichte unseres Sozialsystems" gewesen seien und betonte:
Ein funktionierendes Sozialsystem ist Grundpfeiler einer funktionierenden Wirtschaft.
Dieser Grundpfeiler gerate durch einen "entsolidarisierenden Zug" in der Gesellschaft gerade ins Wanken, warnte Wirtschaftsforscher Schulmeister. Der ehemalige Mitarbeiter des "Österreichischen Instituts für Wirtschaftsforschung" (WIFO) sah die Ursache dafür vor allem im Erstarken der "Ideologie des Neoliberalismus"; er erinnerte an den österreichischen Ökonomen Friedrich August von Hayek, den "großen Theoretiker des Neoliberalismus", der in der Solidarität einen "Rückfall der Menschen in die Hordenzeit" sah.
Dass die gegenwärtige Schwächung des Sozialstaats von einer Partei "federführend ausgeführt" werde, "die als Wurzel die christliche Soziallehre hat", befremde ihn, so Schulmeister: Er kritisierte hier einen "Widerspruch zwischen Verpackung und Inhalt". Dass sich die Regierungsmitglieder der ÖVP zugleich "als wohltätige Menschen darstellen", übertreffe sogar die spaltende Politik eines Donald Trump. Die Katholische Soziallehre ist laut Schulmeister in der Praxis also "tot".
"Erst etwas erwirtschaften, dann verteilen"
Rolf Gleißner, stellvertretender Abteilungsleiter der WKO-Abteilung für Sozialpolitik und Gesundheit, wies demgegenüber auf "unterschiedliche Wahrnehmungen" hin:
Oft wird Wirtschaft und Soziales als Gegensatz gesehen.... aber die Voraussetzung, dass ich etwas verteilen kann, ist, dass ich vorher etwas erwirtschafte.
Gleißner sieht im Regierungsprogramm bis auf einzelne Punkte "durchaus die richtigen Antworten auf aktuelle Fragen".
"Worunter die Unternehmer stark leiden, ist die extrem hohe Regulierungsdichte", führte der studierte Jurist und Politikwissenschaftler aus. So sei das österreichische Arbeitszeitgesetz viermal so lang wie das deutsche. Auch in Ländern, "mit denen wir uns gerne vergleichen", wie die skandinavischen Länder, sei mehr Flexibilisierung in der Arbeitszeit möglich. Die Position der WKO fasste Gleißner so zusammen: "Wir wollen keinesfalls den Sozialstaat infrage stellen, aber man darf nicht jedes einzelne Detail für sakrosankt erklären."
Quelle: kathpress