Berufsbild Diakon: Hinter Gittern
Franz Xaver Muhr ist Mitte Fünfzig, Bauleiter und seit 40 Jahren bei einem Energieversorgungsunternehmen tätig. Ehefrau Inge ist über 30 Jahre an seiner Seite. Die beiden Töchter gründeten bereits eigene Familien, die Enkelkinder halten die Großeltern auf Trab. Ein erfülltes Leben. Unerwartet bricht nach Jahrzehnten kirchlicher Mitarbeit in Ohlsdorf, Gmunden, Orth und der Kapuzinerkirche Neues auf: Ein emeritierter Priester spricht Muhr direkt auf den Diakonat an: „Du hast das Zeug und die Begeisterung dafür.“ Unterstützt von seiner Frau und seiner Familie wagt Muhr das Abenteuer: Er beginnt die Ausbildung zum Ständigen Diakon.
Üblicherweise muss zumindest ein Großteil der theologischen Ausbildung abgeschlossen sein, bevor man mit dem Diakonatskreis beginnt. Muhr kann beides parallel absolvieren: „Eine anstrengende Zeit, weil ich beruflich voll aktiv war.“ Im Zuge eines Stellenabbauplans seines Dienstgebers erhält er mit 57 Jahren das Angebot, in ein Stufenpensionsmodell einzutreten. Muhr zögert nicht, kann er doch nun sehr vertiefend seine Diakonatsausbildung 2016 abschließen. Seine Frau nimmt an fast allen Ausbildungseinheiten teil, das Ehepaar erlebt sich als Team.
Folgenschwere Begegnung
„Herr, was willst du, dass ich tue?“ Gegen Ausbildungsende stellt Muhr sich ganz konkret diese Frage. Ohne Antwort im Gepäck fährt er zu den Weiheexerzitien nach Assisi. Beim Frühstück mit dem ehemaligen Referenten der Diakone und langjährigen Welser Gefängnisseelsorger, Franz Schrittwieser, erkundigt sich dieser nach einer ehemals inhaftierten Frau, deren Familie das Ehepaar Muhr betreut hat. Franz Muhr berichtet von der Normalisierung der Situation. Kurzes Schweigen – und ein spontanes „Glaubst du, kann ich das?“ aus seinem Mund. Ein „Augen-Blick“ Zutrauen und die Antwort steht fest: sein Dienst für Gefangene.
Ab August 2016 fährt Muhr wöchentlich nach Wels, um die Justizanstalt, die Gesprächsführung mit den Strafgefangenen, den Kontaktaufbau zur Justizwache etc. kennenzulernen. Schrittwieser schult ihn sechs Monate lang ein. Dann bittet er Bischof Scheuer, ihn zum Diakon für die kategoriale Seelsorge zu weihen. Am 25. März 2017 empfängt er in der Kapelle des Bildungshauses Schloss Puchberg die Weihe, unter den Mitfeiernden auch das Führungsteam der Justizanstalt Wels.
Auf Augenhöhe
Einen Tag pro Woche ist Muhr als ehrenamtlicher Gefängnisseelsorger im Dienst, wobei er auch im Dekanat Gmunden mitarbeitet. Im Gefängnis feiert er 14-tägig Wortgottesdienste, steht für seelsorgliche Einzelgespräche zur Verfügung. Mittlerweile hat er auch die Anerkennung durch die Justizanstalt schriftlich: Mit eigenem Schlüssel darf er zu den Gefangenen in die Zellen gehen – ein besonderer Vertrauensbeweis.
Seine Lebenserfahrung familiärer wie beruflicher Art hilft ihm bei seinem Dienst. Mit den Strafgefangenen in Kontakt zu kommen, fällt ihm leicht. Sie brauchen jemanden, der sie ernst nimmt, nicht lange nachfragt. Er lenke das Gespräch auf die seelsorgliche Ebene. Wertschätzende Begegnungen, Achtung und der Kontakt auf Augenhöhe sind ihm wichtig. Er trifft auf „so viele verwundete Herzen“ und er versucht durch seinen Dienst, „Begegnung zu ermöglichen, wo Herzen einander berühren“.
Während der 35-minütigen Autofahrt nach Wels betet er für die Gefangenen. Das öffne ihn für das, was ihn erwarte, so Muhr. Und es gibt ihm Kraft, immer wieder neu den vielen Schicksalen besonders jugendlicher Straftäter und Suchtkranker entgegenzutreten und ihnen Mut zuzusprechen. Mut und Kraft braucht gewiss auch er – beides erfährt er im Gottesdienst, im Zuspruch Gottes, aber zu einem ganz großen Teil auch daheim im Zuspruch seiner Frau.
erschienen in der
Zeitschrift „miteinander“ des Canisiuswerkes