"Mission heißt, näher bei den Menschen zu sein!"
Zehn Thesen, die der Kirche zu einem Comeback verhelfen wollen, sind seit Anfang Januar unter dem Titel "Mission Manifest" online. Die Aktion, bei der Österreichs missio-Nationaldirektor Pater Karl Wallner einer der sechs Initiatoren ist, wurde erstmals im Rahmen der Augsburger Christenkonferenz "Mehr" vorgestellt. Einer ihrer Erstunterzeichner in der Schweiz ist Urban Federer, der Abt des Klosters Einsiedeln. Im Interview mit der katholischen Schweizer Nachrichtenagentur kath.ch stellte sich der Ordensmann auch kritischen Journalistenfragen zu dem Projekt.
"Möchtest du, dass dein Land zu Jesus findet?" So lautet die Einstiegsfrage auf dem Flyer zum Manifest.
Federer: In meinem Leben spielt Jesus Christus eine zentrale Rolle. Es wäre eigenartig, wenn ich nicht hoffen würde, dass auch viele andere Menschen vom Glück der lebensbejahenden Botschaft Jesu erfahren. Als ich von dem Manifest hörte, dachte ich: Endlich geschieht etwas! Papst Franziskus schrieb schon 2013 in "Evangelii Gaudium" (EG, Die Freude des Evangeliums), dass wir als Kirche zu sehr mit uns selbst beschäftigt sind. Stattdessen sollten wir Christus mehr ins Zentrum stellen.
Was bedeutet, "zu Jesus finden" denn inhaltlich? Dazu finde ich nichts im Manifest.
Federer: Für mich geht es um die christliche Grundhaltung, für andere da zu sein, wie Christus auf andere zuzugehen und im anderen Christus zu erkennen. Papst Franziskus fordert zur christlichen Nächstenliebe auf. In EG zitiert er aus dem Schlussdokument von Aparecida 2007: "Das Leben wird reifer und reicher, je mehr man es hingibt, um anderen Leben zu geben. Darin besteht letztendlich die Mission."
Aber ein Satz wie: "Es gibt keinen Menschen, der Jesus nicht kennen lernen sollte" (These 4) klingt in meinen Ohren reichlich arrogant.
Federer: Ich sehe ihn im Gesamtkontext. Voraus geht der Satz: "Wir gehen auf Christen, Nichtchristen, Andersgläubige und Menschen, die nicht mehr glauben, zu." Wenn ich in jemandem Christus erkenne, gehe ich in aller Offenheit auf diesen Menschen zu. Es geht, wie gesagt, um meine eigene christliche Grundhaltung.
Dennoch lese ich im Manifest mehrfach den Begriff "bekehren". Das klingt für mich nach "umkehren" - da war jemand also auf dem Holzweg.
Federer: Umkehr ist eine christliche Grundbotschaft. Jesus tritt auf und sagt als Erstes: "Kehrt um!" Das bedeutet nicht, dass ich zum andern hingehe, das Taufwasser über ihn halte und sage: "Und jetzt bekehre dich, du wirst gleich getauft!" Missionarisches Jünger-Sein ist etwas, das zuerst bei mir beginnt. Wovon mein Herz voll ist, davon will ich weitergeben, aus Liebe, aus Hoffnung.
Hoffnung worauf?
Federer: Als Christ bin ich getrieben von der Hoffnung, dass es im Leben mehr gibt als das Scheitern. Der lebendige Gott nimmt dich auch an, wenn du gescheitert bist.
Viele Menschen denken bei "Mission" an Heiden-Bekehrung. Was verstehen Sie unter diesem Begriff?
Federer: Mission bedeutet wörtlich Sendung. "Ite missa est" hieß es am Ende der lateinischen Messe: "Geh, du bist gesandt." Du hast selber im Gottesdienst gelernt, was Christsein heißt. Setze es in deinem eigenen Leben um. Gib etwas von dieser Freude und Hoffnung weiter. Das bedeutet Mission für mich. Wir sollen uns nicht in einem innerkirchlichen Gefängnis einsperren, sondern an die Ränder der Welt gehen, wie Franziskus sagt. Mission heißt, näher bei den Menschen zu sein! Dem Papst ist eine verbeulte Kirche lieber als eine, die immer auf sich selber bedacht ist.
Wäre es nicht sinnvoller, einen anderen als den behafteten Begriff "Mission" zu verwenden?
Federer: Franziskus spricht nicht von Missionarinnen und Missionaren, sondern von missionarischen Jüngerinnen und Jüngern. Das gibt dem Begriff, der bei uns tatsächlich oft missbraucht wurde, eine Dynamik und macht ihn weniger statisch. Spannend finde ich, dass er als Lateinamerikaner einen Begriff verwendet, den wir Europäer in seine Heimat gebracht haben. Dennoch hat für ihn Mission nichts damit zu tun, dass die eine Kultur besser ist als die andere. Vielmehr hält er den westlichen Ländern den Spiegel hin und sagt: "Ihr seid eingeschlafen. Habt mehr missionarischen Eifer! Nehmt Eure Verantwortung wahr, dass Eure Gesellschaft mehr von den Werten des Evangeliums geprägt wird!" Er hat keine Angst, diesen Begriff zu verwenden.
Trotzdem wirkt das Manifest auf mich dualistisch. Es teilt die Welt ein in jene, die zu Jesus gefunden haben, und jene, die ihn noch nicht gefunden haben. Das wirkt, als wäre Jesus alleinseligmachend.
Federer: Ich spreche nicht von alleinseligmachend. Aber mich macht Jesus selig und deshalb bin ich davon überzeugt, dass seine Botschaft auch für andere Menschen von Bedeutung sein kann. Darin höre ich keinen Dualismus, sondern den Aufbruch. Natürlich besteht die Gefahr, dabei etwas falsch zu machen. Wer liebt, wird aber immer die Freiheit der anderen respektieren wollen.
Im Titel heißt es: "Manifest für das Comeback der Kirche". Ist es die Aufgabe von Christen, für das Überleben der Kirche zu sorgen?
Federer: Nein. Für mich ist der zweite Satz der Präambel wichtiger. Die abnehmende Bedeutung der Kirche sei "weniger schade um die Kirche als schlimm für die Menschen, die Gott verlieren". Das Anliegen des Manifests ist für mich nicht, dass die Kirche zurück an die Macht kommt. Vielmehr hat die Kirche eine Botschaft, und mit dieser soll sie zurück zu den Menschen gehen.
"Christen sind tolerant gegenüber Andersdenkenden. (...) Wir können unmöglich schweigen von der Hoffnung, die uns erfüllt", heißt es in These 8. Was, wenn mein Gegenüber genauso von seiner Hoffnung erfüllt ist, dass er die meinige nicht braucht?
Federer: Dann gibt es vielleicht einen fruchtbaren Dialog. Ich komme mit vielen Menschen zusammen, auch aus anderen Religionen, die ebenfalls eine Hoffnung haben. Mich interessiert sehr, was für eine Hoffnung sie trägt. Vielleicht kann ich etwas von ihnen lernen. Oder wir fragen uns: Wie können wir unsere Hoffnungen vereinen, damit mehr Frieden in die Welt kommt?
In derselben These heißt es, wir sollen den Menschen die Füße waschen und nicht den Kopf. Das ist ein schönes Bild des Dienens und für mich der Kern des Christentums. Das ist für mich in erster Linie christlich. Es geht nicht darum, möglichst viel von Christus zu sprechen, sondern wie er zu dienen.
Was bedeutet die Unterzeichnung des Manifests für Ihren Alltag? Wie zeigt sich das?
Federer: Hätte ich nicht unterschrieben, könnte ich mich noch lange fragen, warum die Worte von Papst Franziskus nicht besser aufgenommen werden. Einige fragen sich besorgt, warum ich das bloß unterschrieben habe, andere hingegen finden das toll. Generell sprechen mich nun Menschen schneller auf meine Hoffnung an.
Meiner Meinung nach verharren wir in der Kirche zu sehr in den Kategorien "konservativ" und "progressiv". Die einen versuchen zu retten, was sie verloren sehen, die anderen fragen sich, warum der Papst nicht mehr ändert. Franziskus würde wohl entgegnen: "Warum ich? Geht selber hin und bringt euch ein!" Ich habe unterschrieben, um zu sagen: "Kommt, jetzt machen wir mal etwas!"
Und was machen Sie ganz konkret?
Federer: Ich gebe Ihnen dieses Interview. Dabei hoffe ich, auch andere Menschen anzuregen, über den Grund ihrer Hoffnung nachzudenken und dann auch etwas Konkretes zu tun.
Quelle: kathpress-Infodienst