Hoffnungszeichen oder Horrorverein? Mission auf dem Prüfstand
"Mission first" - nicht nur in der Erzdiözese Wien, auch in anderen Diözesen, die sich aktuell in Reformprozessen befinden, wird darauf Wert gelegt, dass Strukturreform nicht Abbruch und Regression bedeutet, sondern Aufbruch zu Neuem und Sendung hinaus in die Welt, also Mission. Ob dieses Projekt gelingt und dem hehren Anspruch, der im schillernden Wort von der Mission mitschwingt, gerecht wird, mag dahingestellt sein. Tatsächlich aber erlebt der Begriff der Mission in diesen Tagen eine kleine Renaissance: Denn befeuert mit dem Spirit des charismatischen Jugendflügels ist ein "Manifest" entstanden und wohlorchestriert auf dem Buch- und Medienmarkt platziert worden, das sich nichts weniger auf die Fahnen geschrieben hat als die Rettung des Christentums. Mit Mission.
Kraftvoll verteidigt werden die Thesen von P. Karl Wallner - "missio"-Nationaldirektor und Mitinitiator des "Mission Manifest". Revolutionär und praktisch zugleich seien die Thesen - und von höchster Relevanz, sei doch eine missionarische Grundhaltung "in der Genetik der europäischen Kirche fast ausgelöscht" und eine "kulturgenetische Weitergabe des Glaubens" nicht mehr selbstverständlich. Kurz: Es liegt jetzt an jedem einzelnen, aktiv zu werden, so P. Wallner in einer "missio"-Pressemitteilung. Die Pfarren müssten zu "missionarischen Zentren" werden, die möglichst viele Menschen zu einer persönlichen Christus-Beziehung führen. Mit all dem sieht sich P. Wallner außerdem ganz auf der Linie von Papst Franziskus, der mit seinem Apostolischen Schreiben "Evangelii Gaudium" dem Misisonsbegriff wieder ein Heimatrecht in der Kirche gegeben habe.
Nicht nur Vollblutmissionare
Dass die Sache nicht ganz so einfach ist, wie die 10 Thesen suggerieren, räumt u.a. Michael Prüller, Pressesprecher der Erzdiözese Wien und immerhin Co-Autor des Buches ein. Die Thesen seien "nicht komplett" und manch eine Formulierung könne er so nicht unterschreiben. Ihn störe etwa der Untertitel, in dem "Thesen für das Comeback der Kirche" angekündigt werden - dabei sei doch "nicht die Mission für die Kirche (oder ihr Comeback) da", sondern umgekehrt, räumte Prüller in seiner Kolumne in der aktuellen Wiener Kirchenzeitung "Der Sonntag" (28. Jänner) ein. Auch werde zu wenig beachtet, dass die Kirche nicht nur von "Vollblutmissionaren" lebe, sondern auch von den vielen "stillen Helfern" - wie etwa Eltern, die Verantwortung übernehmen.
Darüber könne er aber insofern hinwegsehen, als die Thesen ihre eigentliche Intention klar machen: Es geht nicht darum, zu fordern, zu reklamieren, zu kritisieren - vielmehr würden die Thesen "dort ansetzen, wo jedes Comeback der Kirche beginnen muss: bei dir und bei mir". Sitzen bleiben und diskutieren - oder aufstehen und was tun: so lautet am Ende die Wahl, die jeder, der sich mit den Thesen beschäftigt, treffen müsse.
Differenziert, jedoch mit deutlich liberaler Handschrift und offensiver Formulierkunst hat der deutsche Medienberater und Autor des 2016 erschienenen Bestsellers "Der Jargon der Betroffenheit: wie die Kirche an ihrer Sprache verreckt", Eric Flügge, die Thesen kommentiert bzw. in den Gesamtkontext einer um ihre eigene Identität ringende Kirche gestellt. Wenn Kirchen geschlossen, Pfarren aufgelöst werden, so erfülle ihn das nicht etwa mit Traurigkeit oder Angst - nein, er begrüße dies sogar, schreibt Flügge in einem Blogeintrag auf http://erikfluegge.de. Denn würde kirchliches Leben noch florieren, so gäbe es schließlich keinen Grund für Schließungen - Wo indes Gemeinden sterben, da würden diese zu "Giftmüllkippen eines lebendigen Christentums" werden - und man tue gut daran, sie zu schließen.
Raus aus dem Depressions-Speak
Es sei an der Zeit, sich des "fortwährenden Niedergangsdiskurses" zu entledigen, der die deutsche Kirche seit Jahrzehnten befallen habe. Schließlich bestehe eigentlich kein Grund zum Jammern, denn anders als noch unmittelbar nach dem Krieg, wo - einer weit verbreiteten Mär zufolge - die Kirchen voll waren, lebe man heut ein einem "Normalzustand", der "mehr" kenne "als nur die Kirche". Anders gesagt: "Es gibt zu viele Gemeinden, in denen die Normalisierung zum Drama erklärt wird". Die Folge sei ein Gefühl kollektiver christlicher Depression: "Von dieser Depression ist ein Christentum übrig, das keine Zukunft hat aber noch zu viele Kirchengebäude. Reißt sie ab, ist besser so", so die provokante These Flügges.
In diese christliche Großwetterlage würden nun die 10 These des "Mission Manifest" wie ein Donnerschlag hineinschallen - und diese Thesen "haben es in sich", räumt Flügge ein, schließlich wollen sie nichts anderes als eine missionarische Kehrtwende einleiten. Es ist die Mischung aus konservativen evangelikalen Kreisen und im kollektiven christlichen Rausch jubelnden Jugendmassen bei der "Mehr"-Konferenz Anfang Jänner in Augsburg, die Flügge skeptisch werden lässt: "Menschen, die ernsthaft glauben, man könne mit dem Youcat in der Hand die Jugend bekehren. Aua, das tut so weh. Christen, die glauben, dass ausschließlich zentrale Anbetungsevents der Nukleus eines neuen Katholizismus sein können."
Flügges Schlussfolgerung: "Eine Kirche, die diese zehn Thesen befolgen würde, wäre in meinen Augen ein Horrorverein" - auch wenn in den Thesen tatsächlich ein Potenzial stecke - nämlich jenes, schonungslos den eigenen Zustand offen zu legen. Ein "Ja" sagt Flügge daher auch zu der Erkenntnis, Kirche müsse "nach außen gehen", sie dürfe keine Ressourcen verschleudern und sich auf einen "Verwaltungskatholizismus" zurückziehen.
Fünf Gegenthesen
Und so hebt Flügge schließlich nicht zu einem Rundumschlag aus, sondern formuliert "5 neue Thesen" für ein "echtes Comeback der Kirche" - denn wenn man schon Thesen formulieren möchte, so doch bitteschön "inklusive statt exkludierende": In der Tat sei es zwar schön, wenn 11.000 Jugendliche bei der "Mehr"-Konferenz den Glauben feierten - was aber ist mit jenen 100.000 sozial engagierten Jugendlichen bei den 72-Stunden-ohne-Kompromiss-Aktionen? Kirche lebe in Gebetsgemeinschaften - aber eben auch in liberalen Gemeinden, die eine "soziale Kaffeerösterei" gründen...
So brauche es eine Stärkung "aller Kräfte" in der Kirche - sei es in der Bildungsarbeit, der Evangelisierung oder der Caritas, so Flügges erste These. Allerdings nicht nach dem Gießkannenprinzip, sondern streng gemessen an transparenten Erfolgskriterien. Was bringt was? Was sollte man besser bleiben lassen, da es nur Ressourcen verbraucht? "Wir wollen mehr von dem, was funktioniert und weniger von dem, was man verzweifelt versucht am Leben zu erhalten." Es brauche weiters einen Abschied von der territorialen, sprich: diözesanen Logik bei der Mittelvergabe und eine gezieltere Förderung einer "Gründerkultur innerhalb der Kirche". Und schließlich - auch da erweist sich Flügge als durchaus anstößiger Liberaler - müsse man den Mut aufbringen, sich von Mitarbeitern zu trennen, "die die Hoffnung auf eine Zukunft des Katholizismus aufgegeben haben".
Mit feinerer theologischer Klinge hat indes die Theologin Ursula Nothelle-Wildfeuer auf die teils grob gebürsteten Thesen reagiert: Tatsächlich seien zentrale Stichworte des Manifests wie "ungewöhnliche Lösungen", "Zugehen auf Nichtchristen", "Neuorientierung" und ähnliches wichtig - aber eben nicht neu. Sie fänden sich eh schon lange in Pastoralkonzepten und Leitbildern. Auch empfinde sie Befremden angesichts der dramatischen Zuspitzung, dass - wie es in dem Manifest heißt - "nach menschlichem Ermessen" die Kirche in Deutschland, Österreich und der Schweiz "in wenigen Jahren kaum mehr eine gesellschaftlich wahrnehmbare Rolle spielen" werde.
Fragwürdiges Weltverständnis
Die eigentliche theologische Kritik der an der Universität Freiburg lehrenden Professorin für Christliche Gesellschaftslehre zielt indes auf etwas anderes ab, nämlich auf einen eindimensionalen, weil rein personalen Begriff von Mission und ein durchscheinendes problematisches und nicht durch das Konzil gedecktes Weltverständnis. Spätestens seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil (1962-65) habe Mission eine wichtige Aufwertung erfahren - eine Aufwertung indes, die im unmittelbaren Gleichklang mit der Liturgie und der Diakonia/Caritas stehe. "Wo aber ist die Dimension der Diakonia im Mission Manifest?", fragt die Theologin. Glaube werde dort gerade nicht etwa mit gelebter Willkommenskultur, mit Familien- und Berufsalltag in Zusammenhang gebracht, sondern mit individuellem Zeugnis-Geben und einer intensiven Gebetspraxis.
Daraus spreche entsprechend auch eine "problematische Hierarchisierung" bzw. ein problematisches und nicht durch das Konzil gedecktes Weltverständnis: Die Welt erscheint im Manifest nämlich als Gegenüber, mehr noch, als "Feind, als Gegenmacht für den Christen". Die Rede von den "Zeichen der Zeit" passe da nicht ins Bild, ebenso wenig komme der Wert der Freiheit in den Blick, der durch die Säkularisierung gewonnen wurde: "Bedenken die Verfasser hinreichend, welcher Zugewinn an Freiheit in der Säkularisierung steckt - für die Kirche als Freiheit von politischer Macht, für die Theologie als Freiheit zur weitreichenden vernunftgemäßen Debatte, für die Weltgesellschaft als Formulierung von universal gültigen Menschenrechten, für die Menschen die Freiheit von ungerechtfertigten Übergriffen der Kirche?"
Last but not least die Sache mit dem Beten. Gewiss sei es löblich, wenn viel gebetet werde. Aber wenn es heißt, Gott werde "den Menschen über den Weg laufen" und es würden Wunder geschehen, so zeuge das doch von einem arg verkürzten Verständnis des Gebets: "Wer genug betet, genug fastet, der wird schon sein Wunder erleben."
Quelle: kathpress-Infodienst