Wiener Konferenz über Antisemitismus mit Papstwort gestartet
Mit eindringlichen Appellen zum Einsatz gegen Judenfeindlichkeit hat am Sonntagabend in Wien eine große internationale Konferenz zum Thema Antisemitismus begonnen. Zur Bekämpfung von Hass gegen Juden seien besonders Verantwortung, ein Erinnern an den Holocaust und gegenseitige Nähe nötig, hieß es in einer Botschaft von Papst Franziskus an die Konferenzteilnehmer, die im Wiener Rathaus vom Sekretär der Päpstliche Kommission für Beziehungen zum Judentum, Norbert J. Hofmann, verlesen wurde. "Gleichgültigkeit lähmt und hindert, das Richtige zu tun", so der Papst.
In seinem Grußwort prangerte Franziskus Gleichgültigkeit als "gefährlich ansteckenden Virus unserer Zeit" an - einer Zeit, so der Papst weiter, "in der wir immer mehr mit anderen verbunden sind, aber immer weniger auf andere achten". Franziskus verwies zudem auf die biblische Erzählung vom Brudermord des Kain an Abel. Dass jenem der Bruder egal sei bezeichnete er als "Wurzel des Todes, die Hoffnungslosigkeit und Stille schafft". Es gelte deshalb, eine "Kultur der Verantwortung, der Erinnerung, der Nähe" und eine Allianz gegen jedwede Form von Gleichgültigkeit zu schaffen.
Die Vertreibung und Ermordung der Juden während des Nationalsozialismus habe in der österreichischen Gesellschaft eine "riesige Leere" hinterlassen, erinnerte Bundespräsident Alexander Van der Bellen - die Rede musste wegen einer Grippeerkrankung des Staatsoberhaupts ebenfalls verlesen werden - in seiner Ansprache an den "Horror des industriellen Massenmordes" an Europas Juden im Holocaust. Antisemitismus sei aber auch heute Thema und die Feindseligkeit gegenüber Minderheiten "ein beängstigender Teil der Gegenwart".
Heute mache sich auch in Österreich ein neuer Antisemitismus breit, so Van der Bellen, dem man sich entgegenstellen müsse. "Es ist unsere gemeinsame Aufgabe wachsam zu bleiben", mahnte der Bundespräsident. Dabei gelte es, nicht nur Antisemitismus, sondern alle Formen von Rassismus und Feindseligkeit gegenüber Minderheiten zu bekämpfen. "Die Lehre aus dem Holocaust ist die bedingungslose Anerkennung von Menschenrechten und der Würde des Menschen", so Van der Bellen. Diese müssten das Fundament der Gesellschaft sein.
Der Präsident des Europäischen Jüdischen Kongresses (EJC), Moshe Kantor, prangerte die wachsende Zahl antisemitischer Übergriffe in Europa an. Der steigende Antisemitismus sei einer der zentralen Sicherheitsherausforderungen der heutigen Zeit. Judenhass dürfe keinen Platz im öffentlichen Raum haben, betonte Kantor, zumal die "Geißel des Antisemitismus" nicht nur Auswirkungen auf Juden habe, sondern auch die Grundfesten offener und demokratischer Gesellschaften zerstöre.
Es reiche daher heute nicht mehr aus, die stets verschiedenen Erscheinungsformen von Judenfeindlichkeit bloß akademisch zu analysieren, vielmehr müssten aus den Überlegungen konkrete Handlungsschritte entstehen. "Nur über den Antisemitismus zu sprechen reicht nicht aus. Wir brauchen Lösungen", forderte der EJC-Präsident. Er hoffe, dass die Konferenz die Samen dafür auslegen werde, damit Antisemitismus endet.
Philosoph: Antisemiten schwächen und marginalisieren
Die Eröffnungsrede zum Kongress hielt der Philosoph Bernard-Henri Levy. Antisemitismus habe sich zu von einem Phänomen des rechten Rands zu einer in Politik und öffentlicher Gesellschaft verbreiteten Gefahr entwickelt. Levy verwies dazu u.a. auf sein Heimatland Frankreich wo heute wieder Menschen ermordet würden, weil sie Juden sind.
Man könne den Antisemitismus nicht auslöschen, so der Philosoph mit Blick auf den Generaltitel der Konferenz "An End to Antisemitism!", Antisemiten in der Gesellschaft aber schwächen und marginalisieren.
Es ist mir egal, ob sie verschwinden, solange ihnen ein Platz in der Gesellschaft zugewiesen wird, an dem sie niemandem Leid zufügen können.
Kern des modernen Antisemitismus seien nicht mehr primär rassistischer oder christlich fundierter Judenhass, sondern Antizionismus, Holocaustverleugnung und ein "Wettbewerb der Opfer" - einer These, die den Juden vorwirft, durch ihre Erinnerungskultur die Leiden anderer Völker und Ethnien auszublenden. Es sei Aufgabe auch für die akademische Welt, so der Philosoph, diese Punkte klar zu benennen, sie mit Argumenten zu entkräften und zum Gegenangriff überzugehen, betonte Levy.
Maßnahmenkatalog gegen Judenfeindlichkeit
Die bis Donnerstag angesetzte Konferenz versteht sich laut Veranstaltern als "direkter Handlungsaufruf" angesichts eines "weltweit zunehmenden Antisemitismus seit der Shoah vor 70 Jahren" und will Antisemitismus nicht nur erforschen, "sondern der Judenfeindlichkeit in Gegenwart und Zukunft vorbeugen". Organisiert wird der Kongress von der Universität Wien in Kooperation mit der New York University, der Tel Aviv University und dem "European Jewish Congress".
An der Eröffnung im Rathaus nahmen neben den Oberrabbinern Paul Chaim Eisenberg und Arie Folger auch der Präsident der Israelitischen Kultusgemeinde, Oskar Deutsch, und Bischofskonferenz-Generalsekretär Peter Schipka teil. Von politischer Seite war u.a. Staatssekretärin Karoline Edtstadler (VP) anwesend.
Bei einem Podiumsgespräch unter dem Titel "Antisemitismus und die abrahamitischen Religionen" diskutieren am Montagabend der katholische Erzbischof und Administrator des Lateinischen Patriarchats von Jerusalem, Pierbattista Pizzaballa, der Präsident der französischen Imame-Konferenz Hassen Chalgoumi und der argentinische Rabbiner Abraham Skorka, ein Freund von Papst Franziskus aus Buenos Aires. Viertes Mitglied der Gesprächsrunde ist der Wiener lutherische Bischof und Generalsekretär der Gemeinschaft Evangelischer Kirchen in Europa (GEKE), Michael Bünker.
In mehreren Hörsälen auf dem Campus der Uni Wien stehen in den kommenden Tagen 16 thematische Blöcke auf dem Programm, die sich unter anderem der Untersuchung der Geschichte des Antisemitismus von der Antike bis zur Moderne, seiner Reflexion in Christentum und Islam sowie in seiner gesamten Bandbreite in Fächern wie Psychologie, Soziologie, Pädagogik und Medienwissenschaften widmen.
Die rund 150 Vortragenden kommen aus den USA, Kanada, Israel, Lateinamerika, Australien sowie aus verschiedenen europäischen Staaten. Im Rahmen mehrerer sogenannter "Leadership Talks" werden laut Programm auch Bundeskanzler Sebastian Kurz, SPÖ-Chef Christian Kern, die Antisemitismus-Beauftragte der EU, Katharina von Schnurbein und der Vorsitzende der Jewish Agency, Natan Sharansky, mit den Konferenzteilnehmern zusammentreffen.
Für das Ende der Konferenz ist die Zusammenstellung eines Katalogs auf Basis der Untersuchungsergebnisse geplant, der konkrete Maßnahmen zur Bekämpfung und Prävention von Antisemitismus weltweit enthalten soll. Adressiert werden soll der Katalog gleichermaßen an Politiker, religiöse Würdenträger und Zivilgesellschaft (Informationen: http://anendtoantisemitism.univie.ac.at)
Quelle: kathpress