
OSZE: Gabriel betont Konfliktlösungspotenzial von Religionen
Für eine stärkere Beteiligung von Kirchen und Religionsgemeinschaften bei der Lösung internationaler Konflikte hat sich die Wiener Sozialethikerin Prof. Ingeborg Gabriel ausgesprochen. Gabriel war 2017 OSZE-Sonderbeauftragte im Kampf gegen Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und Diskriminierung, mit Fokus auf Christen und Angehörige anderer Religionen. Im Interview der Nachrichtenagentur "Kathpress" zog sie ein Resümee ihrer Mission. Religion aus dem öffentlichen Raum zu drängen ist für Gabriel der falsche Weg. Von der heimischen Bundesregierung wünscht sie sich mehr Engagement für Minderheiten und Frieden im Nahen Osten und auf dem Balkan.
Der OSZE mit Sitz in Wien gehören 57 Staaten an. Sie umfasst vor allem europäische Länder, aber auch die Staaten Zentralasiens, die USA und Kanada. Dazu kommen elf Partnerstaaten, die meisten in Nordafrika. Gegründet wurde die OSZE im Zuge des Ost-West-Konflikts durch die Helsinki-Verträge 1975, die wesentlichen Einfluss auf die weitere Entwicklung in Europa hatten.
Die Organisation hat drei Aufgabenbereiche, einen politisch-militärischen, mit Feldmissionen etwa in der Ukraine oder im Kosovo, eine Umwelt- und Wirtschafts-Dimension und die sogenannte menschliche Dimension, die sich mit Menschenrechtsfragen befasst. Ihr sind drei Sonderbeauftragte gegen Antisemitismus (derzeit der US-Rabbiner Andrew Baker), Antiislamismus (derzeit der türkische Historiker und Religionswissenschaftler Prof. Bülent Senay) und - als drittes Mandat - einer gegen Rassismus und Diskriminierung von Christen und Angehörigen anderer Religionen zugeordnet.
Als OSZE-Sonderbeauftragte für dieses dritte Mandat nahm Gabriel an einer Reihe von internationalen Menschenrechtskonferenzen - von Jerewan bis Athen - teil und verfasste u.a. zahlreiche Berichte. Sie arbeitete eng mit dem OSZE-Büro für demokratische Institutionen und Menschenrechte (ODIHR) zusammen, das seinen Sitz in Warschau hat, sowohl in Fragen der Religionsfreiheit, als auch für Maßnahmen gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit, z. B. auch im Bereich der Diskriminierung von Roma. Die Herausforderungen in allen diesen Bereichen - so Gabriel - nehmen ganz offensichtlich in der gesamten Region zu. Vor allem die Bekämpfung gegen Hass im Internet sei wichtig, ein Problem, dem sich auch die OSZE verstärkt widmet. Letzterem könnte man wohl am besten entgegenwirken, indem man die Anonymität im Netz einschränkt, so die Ethikerin.
Da in Zukunft die Pluralität in den europäischen Gesellschaften noch zunehmen wird, komme dem Thema Religionsfreiheit bzw. dem Zusammenspiel und Zusammenleben verschiedener Religionen künftig noch mehr Aufmerksamkeit zu. Für Gabriel wäre es kontraproduktiv, wenn der neue religiöse Pluralismus zur Verdrängung der Religionen aus dem öffentlichen Raum führen würde. Diese sollten vielmehr in die gesellschaftlichen Debatten einbezogen werden, bzw. sich aktiv einbringen. Ein solches kooperatives Zusammenspiel von Staat und Religion sei besser geeignet, die Herausforderung durch Pluralität zu bewältigen, als ein Trennungssystem in laizistischer Tradition, zeigte sich Gabriel überzeugt.
Sie erinnerte in diesem Zusammenhang an ein Urteil des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) vom vergangenen Frühjahr, das es Betrieben erlaubt, religiöse Symbole bei ihren Mitarbeitern zu verbieten. Eine derartige "Verdrängung von religiösen Symbolen aus der Öffentlichkeit" kann kein Ziel sein, war Gabriel gemeinsam mit Rabbi Baker und Professor Senay schon damals einer Meinung.
Auch eine fundierte Debatte über die mögliche Rolle religiöser Organisationen bzw. Gemeinschaften innerhalb internationaler Organisationen sei wichtig, so die Theologin. Religiöse Gemeinschaften seien in vielen Ländern die zahlenmäßig größten und oft auch wichtigsten Akteure der Zivilgesellschaft und hätten damit großen Einfluss auf Frieden und Wohlfahrt. Es sei daher wichtig, Vertreter von Religionen auch auf internationaler Ebene, wie der OSZE, einzubinden, wie dies durch die drei Sonderbeauftragten geschieht, so Gabriel:
Religionen können Konflikte verschärfen, aber sie haben auch ein beachtliches Potenzial, zu Friedensprozessen beizutragen.
Schließlich seien sie mit großen Teilen der Bevölkerung in direktem Kontakt. Dies sollte genutzt werden.
Vielzahl an Problemregionen
Die Situation innerhalb der einzelnen Länder der OSZE sei höchst unterschiedlich, resümierte Gabriel. Die Menschenrechtssituation sei in vielen zentralasiatischen Ländern, aber auch in der Türkei problematisch, der Konflikt in der Ukraine führe zu Spannungen zwischen den orthodoxen Kirchen. Initiativen hab es während ihrer Mandatszeit aber beispielsweise auch wegen der schlechten Situation der Zeugen Jehovas in Russland gegeben. Auch in Bosnien-Herzegowina, einem der Länder, in denen Gabriel für eine OSZE Mission mehrere Tage verbrachte, sei die Situation der religiös-ethnischen Minderheiten oft schwierig.
Mehr Sensibilität für Religionsfreiheit
Einer der dornigen Bereiche, mit dem sich die Wiener Ethikerin in ihrer Arbeit auseinandersetzen musste, sei die Anerkennung religiöser Verfolgung bei Asylwerbern, wie sie unterstrich. Gabriel erinnerte an den Fall einer Christin aus dem Iran, deren Asylantrag in Schweden abgelehnt wurde, obwohl ihr in ihrer Heimat aus religiösen Gründen Gefängnis wenn nicht Schlimmeres drohte. Ungarn habe der Frau schließlich medienwirksam Asyl angeboten. Migration bringe hier neue Herausforderungen mit sich, u. a. die Frage, wann und wie religiöse Verfolgung als Asylgrund anzuerkennen ist. Dazu brauche es auch in säkularen Staaten eine hohe Sensibilität für Fragen der Religion und der Religionsfreiheit, die manchmal nicht vorhanden sei, so Gabriel.
Der Nahe Osten und die lebensbedrohliche Lage christlicher Minderheiten in dieser Region sei zwar nur indirekt Teil ihres Mandats gewesen, sie sei jedoch in ihrer Funktion eingeladen worden, aktiv an mehreren Konferenzen teilzunehmen, berichtete Gabriel weiter. Leider sei der Einsatz der liberalen westeuropäischen Demokratien gegen Diskriminierung und Verfolgung von Christen im Nahen Osten zu gering, monierte die Ethikerin. Die Führungsrolle falle daher Ländern wie Ungarn und Russland zu.
Die ungarische Regierung fahre aber in Sachen Asyl und Umgang mit Flüchtlingen einen menschenrechtlich bedenklichen Kurs und profiliere sich zugleich als Verteidigerin der christlichen Minderheiten im Nahen Osten, die sie stark finanziell unterstützt. Letzteres sei an sich höchst willkommen, doch "die Menschenrechte sind unteilbar", so der kritische Befund Gabriels.
Wünsche an die Bundesregierung
Im Blick auf die neue österreichische Bundesregierung wünscht sich Gabriel, dass sie ihr Engagement für Minderheiten im Nahen Osten, aber auch für den Frieden am Balkan verstärkt. Österreich habe in beiden Regionen traditionell eine anerkannte Stellung und könnte entsprechend eine stärkere Vermittlerrolle in zahlreichen Konflikten wahrnehmen. Das Ziel sollte sein, positive Entwicklungen zu verstärken; etwa die Bewegung für gleiche Bürgerrechte für Angehörige aller Religionen ("equal citizenship").
Wesentlich sei auch angesichts wachsender Pluralität die Einbindung der Zivilgesellschaft einschließlich der Religionsgemeinschaften, um den interreligiösen und interkulturellen Dialog zwischen allen Moderaten - Gabriel sprach von "Menschen guten Willens" - zu fördern. Begegnungen zwischen Menschen führen meist zum Abbau von Vorurteilen.
Wir müssen in der gegenwärtigen Situation voneinander lernen und zugleich lernen, besser mit einander umzugehen.
OSZE wird unterschätzt
Zur Frage, wie sie die Effizienz der OSZE bewertet, meinte Gabriel, dass internationale Organisationen vielfach unterschätzt würden. Zwar gebe es bürokratische Zersplitterung, z. B. durch die Aufteilung in Vorsitz (wechselt jährlich), Sekretariat (in Wien) und Menschenrechtsabteilung (ODIHR in Warschau). Doch sei die OSZE ein wichtiges Forum für formelle und informelle Kontakte gerade auch angesichts politischer Spannungen, sie fördere zivilgesellschaftliches Engagement und beobachte Wahlen in der Region.
Die Arbeit der gegenwärtig 15 OSZE-Feldmissionen, etwa in der Ostukraine, im Kosovo oder in Moldawien, trage wesentlich zur Sicherung des Friedens bei. "Wenn es solche Missionen nicht gäbe, wäre die Lage vor Ort noch viel schlechter", so Gabriel. Das Monitoring von Konflikten und die damit erzeugte Öffentlichkeit hätten zwar ihre Grenzen, seien aber trotzdem wertvoll zur Konflikteindämmung. Oft gehe es einfach darum, dass einige Tausend Menschen in einer Krisenregion wieder mit Strom oder Wasser versorgt würden. Gabriel: "Das sind kleine diplomatische Siege, die jedoch für das Leben der Betroffenen wichtig und daher nicht zu unterschätzen sind."
Quelle: kathpress