Theologin Bechmann: "Fasten weist über eigene Welt hinaus"
Das Phänomen des Fastens spielt in allen drei monotheistischen Weltreligionen eine gewisse Rolle. Trotz aller Unterschiede sieht die Grazer Religionswissenschaftlerin Ulrike Bechmann einen roten Faden, der sich durch Judentum, Christentum und Islam ziehe: "Wer durch Fasten bewusst den Alltag von Essen - Arbeit - Schlafen durchbricht, holt eine Dimension in das Alltagsleben, die über die eigene Welt und die eigenen Bedürfnisse hinausweist", erläuterte die Religionswissenschaftlerin in einem Gespräch mit "Kathpress".
Die Ursprünge des Fastens verortet Bechmann im Bemühen, auf Lebensumstände zu reagieren, die dem eigenen Einfluss entzogen sind. Wie und wozu gefastet wird, orientiere sich dabei an der jeweiligen Religion. Die Motive reichten von einer Vorbereitung auf oder die Erinnerung an ein bestimmtes Ereignis, der Ermöglichung von Askese, Ekstase und Buße bis hin zum Versuch der Überwindung von Leid.
Gemeinsam sei den verschiedenen Fasten-Formen eine gewisse Art des Verzichts als Mittel, um mit dem "ganz Anderen", über den Alltag Hinausweisenden in Kontakt zu kommen. Möglich mache das, frei, offen und leer werden auf das "Göttliche hin, das unverfügbar und nicht herstellbar ist, dem man sich vielmehr verdankt", die Unterbrechung normaler Bedürfnisse im Alltag. Eine wichtige Rolle spiele beim Fasten auch ein zwischenmenschlicher Aspekt, der die Armut anderer bewusst mache und zum Teilen aufrufe, erläuterte die Religionswissenschaftlerin.
Neu bedeutsam in Zeit des Überflusses
Relativ losgelöst vom religiösen Aspekt habe Fasten heute im westeuropäischen Kontext angesichts des Überflusses an neuer Bedeutung gewonnen. Der mit ihm verbundene spirituelle Besinnungs- und Verzichtsaspekt könne als Gegenentwurf zu einer Konsumorientierung und Leistungsgesellschaft verstanden werden, habe allerdings eine "entscheidenden Verschiebung" erfahren:
Früher fastete man auch in Zeiten, in denen eher wenig zur Verfügung stand, um Gottes willen. Heute erhofft man sich durch den Verzicht um des Menschen willen, zum Wesentlichen des Lebens zurückzufinden.
Dort, wo Fasten auch heute noch mit bestimmten Festen verbunden ist, diene es der Verdichtung der Zeit, einem bewussteren Erleben und hier durchaus auch einer spirituellen Vorbereitung, die durch den körperlichen Verzicht unterstützt werde. Die Formen des Verzichts hätten sich laut der Expertin allerdings vervielfältigt und religiös motiviertes Fasten sich in ganz verschiedene Formen und Bedürfnisse transformiert.
Für Christen ist vor allem die 40-tägige Zeit bis zur Karwoche von besonderer Bedeutung. Sie erinnert an die Tage, die Jesus in der Wüste verbracht und gefastet hat, und bereitet auf das Osterfest vor. Eine gewisse Bedeutung als Fasttag habe im christlichen Kontext auch weiterhin der Freitag, um den Tod Jesu ins leiblich verwurzelte Bewusstsein zu bringen. Fast völlig aus dem Blick geraten sei hingegen, so Bechmann, der Advent als Fastenzeit und Vorbereitung auf die Geburt Jesu.
Im Judentum gehen die Fastenzeiten auf die Bibel und die rabbinische Zeit zurück. Heute fasten Juden als Buße vor dem Versöhnungstag, dem Jom Kippur, am Tag vor Purim zum Gedenken an die Zerstörung des Tempels von Jerusalem und vor dem Pessachfest.
Für den Islam ist der Monat Ramadan zentral. Er "wandert rückwärts" durch das Jahr, da sich der islamische Kalender nach dem Mond und nicht nach der Sonne richtet. Der Fastenbrauch gehört zu den "fünf Säulen" des Islam, den notwendigen Pflichten der Gottesverehrung. Von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang ist es Muslimen verboten zu essen, zu trinken, zu rauchen oder Geschlechtsverkehr zu haben. Umso wichtiger ist das Gemeinschaftserleben des Fastenbrechens jeden Abend und am Ende des Ramadan.
Quelle: kathpress