NGOs: Jüngste Abschiebungen zeigen "Versagen des Asylsystems"
Scharfe Kritik an den jüngsten Abschiebungen gut integrierter Familien mit negativem Asylbescheid nach Russland haben Vertreter von Caritas und Diakonie geäußert. Das "tragische" Beispiel der nach Moskau ausgeflogenen tschetschenischen Familie Tikaev verdeutliche "das Versagen unseres aktuellen Asylsystems und die weitverbreitete fremdenfeindliche Stimmung im Land", erklärte Caritas-Wien-Generalsekretär Klaus Schwertner am Dienstag via Facebook. Einer "traumatisierten und bestens integrierten Familie mit kleinen Kindern" werde damit "der Boden unter den Füßen weggezogen".
Auch Christoph Riedl von der Diakonie Österreich äußerte in der ORF-"ZIB 20" am Dienstagabend grundsätzliche Kritik: Wenn Heimatvertriebene nach jahrelangem Aufenthalt in Österreich mit Kindern, die hier in die Schule gingen und "nichts anderes mehr sprechen als Deutsch" aus allem "herausgerissen" und in ein fremd gewordenes oder ganz unbekanntes Land abgeschoben werden, sei dies "unwürdig und auch menschenrechtlich äußerst bedenklich". Der Diakonie Flüchtlingsdienst sprach von einem "schwarzen Tag für Österreich":
Beliebt, engagiert und gut integriert - trotzdem werden Menschen in Österreich abgeschoben. Und das zwei Tage vor der Entscheidung über das Bleiberecht.
Am Dienstag hatte das Innenministerium vermeldet, dass Österreich mit Hilfe von Frontex (der Europäischen Agentur für die Grenz- und Küstenwache) eine Charterrückführung nach Russland organisiert habe, bei der insgesamt 35 Personen "an die Behörden in Moskau übergeben werden konnten". Darunter gut integrierte Familien und offenbar auch ein österreichischer Staatsmeister im Taekwondo, der gemeinsam mit dem Politologen Thomas Schmidinger jahrelang im Bereich der Deradikalisierung in tätig war, wie Schwertner hinwies.
Flüchtlingsfamilie war seit 2011 in Österreich
Der Wiener Caritas-Generalsekretär widmete der Familie Tikaev einen langen Facebook-Eintrag. Deren Antrag auf Asyl nach ihrer Ankunft in Österreich im Oktober 2011 wurde vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) in erster und vom Bundesverwaltungsgericht in zweiter Instanz abgelehnt. "Faktum ist, dass die Asylverfahren in Österreich noch immer viel zu lange dauern, auch wenn zuletzt vom BFA von einer durchschnittlichen Dauer von 6,6 Monaten in der ersten Instanz die Rede war", bemängelte Schwertner. Flüchtlinge müssten rasch wissen, ob sie hier bleiben dürfen oder nicht. In Österreich gebe es nach zahlreichen Novellen auch für Fachleute schwer zu interpretierende Asyl- und Fremdengesetze. "Das führt nicht gerade dazu, dass Asylverfahren rasch und qualitätsvoll bearbeitet werden können", so Schwertner. "Das führt vor allem aber auch zu regelmäßig zu menschlichen Dramen."
Unverständnis äußerte der Caritas-Vertreter auch am Umstand, dass ein Antrag auf humanitäres Bleiberecht keine aufschiebende Wirkung auf eine bevorstehende Abschiebung hat: "Das ist geltendes Recht oder Unrecht." Die Familie Tikaev habe einen Bleiberechtsantrag 2016 mit dem Hinweis auf gute Integration nach Paragraf 55 des Asylgesetzes eingebracht - zu einem Zeitpunkt, als für die Betroffenen Österreich nach fast fünf Jahren zur neuen Heimat geworden sei. "Eineinhalb Jahre wird der Akt liegengelassen", ärgerte sich Schwertner. Gerade die Kinder hätten zwar im Sinne der Integration tolle Leistungen gezeigt, aber diese in Zeiten erbracht, da es bereits eine Ausreiseverpflichtung gab und die Familie unrechtmäßig aufhältig war. Schwertner warf den zuständigen Behörden Säumigkeit vor:
Zuerst nichts zu tun und den Antrag nicht zu bearbeiten und zu prüfen und dann ohne Interview die Außerlandesbringung zu versuchen, ist auch äußerst fragwürdig.
Auch der Taekwondo-Staatsmeister sei zwei Tage vor der Bleiberechtsentscheidung abgeschoben, worden, wies Schwertner hin. "Es geht hier offenbar ausschließlich darum, Härte zu beweisen", verwies der Caritas-Generalsekretär auf populistische Politiker oder Stammtischexperten, die "geflüchtete Menschen unter einen Generalverdacht stellen". Aber, auch wenn nicht alle, die Asyl beantragen, dieses auch erhalten werden: "Asyl ist ein Menschenrecht und Flucht ist kein Verbrechen."
Keine "Gnadenakte", sondern Verhältnismäßigkeit
Gerade im Asylsystem nimmt nach den Worten Schwertners "die Beliebigkeit zu, und mehr Rechtsstaatlichkeit wäre dringend notwendig". Keine "Gnadenakte" seien wünschenswert, sondern Verhältnismäßigkeit. Diese sei durch die Abschiebungen am Dienstag "mit Füßen getreten" worden.
Schwertner ging auch auf die Kritik ein, die Caritas würde mit ihren Rechtsberatern entsprechende Verfahren in die Länge ziehen. Angesichts der Komplexität der Gesetze sei es wichtig, dass in einem Rechtsstaat auch bei Asylverfahren Einspruchsrechte gegen falsche Entscheidungen gewährleistet sein müssen. Ein Kritiker warf der Caritas auf Facebook vor, "Proponent der Asylindustrie" zu sein. Dazu Schwertner: Die Betreuung von Asylwerbern sei kein Geschäft im Sinne von: Die Caritas macht hier Gewinne. "Das ist schlicht falsch, wir benötigen gerade in diesem Bereich Spenden, weil die öffentlichen Finanzierungen wesentlich schlechter sind als in der Obdachlosenarbeit, in der Pflege oder in der Betreuung von Menschen mit Behinderung."
Quelle: kathpress