Jäggle: Verstärkte christlich-jüdische Zusammenarbeit nötig
Anlässlich des Gedenkjahres 2018 hat der Präsident des Koordinierungsausschusses für christlich-jüdische Zusammenarbeit, Prof. Martin Jäggle, zur vertieften Auseinandersetzung mit der christlichen Antisemitismus-Schuldgeschichte aufgerufen. Zugleich plädierte er für eine verstärkte christlich-jüdische gesellschaftspolitische Kooperation. Jäggle äußerte sich in einem Beitrag in der Wochenzeitung "Die Furche" im Vorfeld des "Tages der Judentums" (17. Jänner).
Im so vielschichtigen Gedenkjahr 2018 sei es hilfreich, am Beginn des Jahres mit dem "Tag des Judentums" einen Tag des Gedenkens zu haben, der die Vorgeschichte so mancher Ereignisse des Jahres 1938 zum Thema macht. Die traditionelle "Lehre der Verachtung" gegenüber dem jüdischen Volk und die damit legitimierte gesellschaftliche Abwertung von Juden sei ein "furchtbar fruchtbarer Boden für Antisemitismus und Judenfeindschaft mit dem Tiefpunkt der Schoa" gewesen, so der Präsident des Koordinierungsausschusses. Sein Vorschlag: In Gemeinden, die keine jüdischen Bürger und Bürgerinnen mehr haben oder in deren Umgebung sich ein jüdischer Friedhof befindet, wäre es naheliegend, die Hintergründe für deren "Verschwinden" zu thematisieren.
Jäggle verwies in diesem Zusammenhang auch auf die Initiative "Vernetzte Ökumene Wien West", die einen Leitfaden für eine gemeinsame christlich-jüdische Gedenkstunde bzw. Einstimmung auf den "Tag des Judentums" erarbeitet hat. Dafür wurde die Initiative 2017 mit dem Ökumene-Preis der katholischen und evangelischen Kirchen in Österreich ausgezeichnet.
Umkehr und Erneuerung
Ausgehend vom Schuldbekenntnis der Kirchen gehe es freilich infolge auch um Umkehr und Erneuerung:
Es geht darum, das Judentum als Teil der christlichen Identität wertzuschätzen, es aber dennoch in seiner Andersheit wahrzunehmen und nicht für die christliche Selbstfindung zu vereinnahmen.
Zum Entdecken des Jüdischen gehöre ein veränderter Zugang zur Bibel, so Jäggle. Zu verlernen wäre die sachwidrige aber folgenreiche Polarisierung "Gesetz oder Evangelium", womit die Hebräische Bibel entwertet und das Neue Testament als überlegen bewertet wird.
Zu lernen wäre für Christinnen und Christen auch, die Bibel zuerst als ein Buch von Juden für Juden wahrzunehmen, so Jäggle. Er verweist in diesem Zusammenhang auf die Päpstliche Bibelkommission, die schon 2001 feststellte, dass "die jüdische Lesung der Bibel eine mögliche Leseweise" darstelle. Auf dem konkreten Feld der Exegese können die Christen viel von der jüdischen Exegese lernen, so die Kommission.
Jäggle: "Mit welchen Widerständen dabei zu rechnen ist, zeigen freilich die jüngsten Proteste rechtsnationaler Kreise, nur weil sich die überarbeitete Einheitsübersetzung 2016 um eine stärkere Orientierung am hebräischen Originaltext bemüht."
Der Präsident des Koordinierungsausschusses vereist weiters auch auf die rabbinische Erklärung "Zwischen Jerusalem und Rom", deren Übersetzung am vergangenen Nationalfeiertag in Wien an Kardinal Christoph Schönborn übergeben worden war. Diese Erklärung schließt mit den Worten: "Wir suchen nach zusätzlichen Möglichkeiten, die uns in die Lage versetzen, gemeinsam die Welt zu verändern: Gottes Wegen zu folgen, die Hungrigen zu speisen, die Nackten zu kleiden, Witwen und Waisen Freude zu bringen, den Verfolgten und Unterdrückten Zuflucht zu bieten und uns damit Seiner Wohltaten würdig zu erweisen." Das widerspreche aber der jetzigen gesellschaftlichen und politischen Dynamik in Österreich, so Jäggle. Daher wäre es wichtig, dem Wunsch nach jüdisch-christlicher Zusammenarbeit zu entsprechen, "solange das Zündholz brennt", so Jäggle unter Verwendung eines Zitats von Kardinal Schönborn.
ÖRKÖ-Initiative seit 2000
Die Kirchen in Österreich feiern seit dem Jahr 2000 am 17. Jänner den "Tag des Judentums". Dabei sollen sich die Christen in besonderer Weise ihrer Weggemeinschaft mit dem Judentum bewusst werden. Zugleich soll auch das Unrecht an jüdischen Menschen und ihrem Glauben in der Geschichte thematisiert werden. Der "Tag des Judentums" ist eine Initiative des Ökumenischen Rates der Kirchen in Österreich (ÖRKÖ) und wird in ganz Österreich mit verschiedenen Veranstaltungen und Gottesdiensten begangen. Der zentrale Gottesdienst des ÖRKÖ zum "Tag des Judentums" findet am Dienstag, 17. Jänner, um 18 Uhr in der Altkatholischen Heilandskirche (Rauchfangkehrergasse 12) statt. Die Predigt hält die evangelische Oberkirchenrätin Ingrid Bachler.
Weitere Informationen zu Veranstaltungen rund um den "Tag des Judentums" sind im Internet auf der Website des Koordinierungsausschusses für christlich-jüdische Zusammenarbeit unter www.christenundjuden.org abrufbar.
Quelle: kathpress