Neonatologe: Prägefunktion des Lebensbeginns mehr beachten
Mehr Augenmerk auf die erste Lebensphase des Menschen vor und nach der Geburt hat der Neonatologe und Theologe Georg Simbruner eingefordert. Es gebe wissenschaftlich keine Zweifel mehr, dass der Lebensbeginn aufgrund der Epigenetik "biologisch prägend" sei, sagte der renommierte Mediziner in einem von der "Aktion Leben" im "Infodienst Bioethik" (Dezember-Ausgabe) veröffentlichten Interview. Ein radikales Umdenken besonders gegenüber Schwangerschaft und schwangeren Frauen sei nötig, plädierte der Experte für eine bestmögliche Atmosphäre des Angenommenseins.
Simbruner, der bis 2009 die Universitäts-Kinderklinik Innsbruck leitete und nach seiner Emeritierung die Theologenlaufbahn startete, veröffentlichte kürzlich seine Dissertation "Der Anfang des menschlichen Daseins und die Grundlegung des Menschen" in Buchform. Besonders geht es dabei um die Epigenetik, die sich mit dem Einfluss der Umwelt auf die Aktivitäten eines Gens und damit der Zellentwicklung beschäftigt. Erst in den jüngsten Jahren sei klar geworden, dass Stress, Präferenzen oder auch die wichtigsten Krankheiten bereits vorgeburtlich geprägt werden, nämlich außer durch die Gene auch durch den Lebensstil.
Der Mensch sei bei aller Freiheit, wie er mit seinen Anlagen umgeht und sich geistig entwickelt, dennoch "in den ersten zwei, drei Lebensjahren so geworden, wie er ist", erklärte Simhofer. Dies komme einerseits einem "Blankoschein" gleich, zumal man für seine Grundverfasstheit nichts könne. Gleichzeitig erlaube dies auch, sich selbst anzunehmen, und schaffe eine Basis für mehr Toleranz und "gleiche Augenhöhe" zu anderen. "Als Christ glaube ich an den gottgedachten Zufall - es wurde mir eine Rolle zugedacht. So kann auch jemand, der mit nur einem Arm geboren wurde, sagen: Es hat einen Sinn, dass ich geworden bin wie ich bin", so der stellvertretende Vorsitzende des Katholischen Akademikerverbandes.
Schwangere wollen sich willkommen fühlen
Von gesellschaftlicher Relevanz sei das neue Wissen über Epigenetik besonders für die Grundbedingungen, in denen Frauen Kinder bekommen: Diese sollten gut gestaltet werden und "Stress vermeiden", riet Simhofer. "Frauen brauchen das Gefühl: Ich bin als schwangere Frau willkommen, geborgen, auch finanziell abgesichert." Außer den Medien und der Gesundheitspolitik sei hier auch das Bildungswesen gefordert: "Es müsste zum Codex unserer Kultur gehören, dass Jugendliche über ihre Fruchtbarkeit, das Nachlassen der weiblichen Fruchtbarkeit ab 30 Jahren und die Verantwortlichkeit gegenüber den potenziellen Kindern Bescheid wissen und damit umgehen können", so der Experte.
Implikationen gebe es jedoch auch für die Fortpflanzungsmedizin: Etwa bei der Leihmutterschaft sei es bislang viel zu wenig bekannt, "dass die sogenannte Tragemutter nicht bloß eine Art Inkubator ist, sondern dass sie einen wesentlichen Beitrag zum Werden und zu den Eigenschaften des Menschen, den sie austrägt, beisteuert." Künftig könnte man zudem per Epigenom-Test bereits vor einer geplanten Zeugung feststellen, ob diese biologisch empfehlenswert ist. "Es könnte dann heißen: Ändern Sie ihren Lebensstil, bevor sie Kinder zeugen", so ein Zukunftsentwurf des Wissenschaftlers.
Bestätigt sieht sich in Simbruners Ausführungen die "Aktion Leben", die sich schwerpunktmäßig um schwangere Frauen kümmert. "Mit unserer bindungsfördernden Schwangerenberatung stärken wir schwangere Frauen. Durch die praktische Hilfe reduzieren wir existenzielle Sorgen und vermindern damit großen Stress", erklärte Generalsekretärin Martina Kronthaler. Wichtig sei dem Verein auch die Sensibilisierung junger Menschen für die Bedeutung des Lebensanfangs, etwa über die Mitmach-Ausstellung "LebenErleben", die bereits 20.000 Jugendliche in Österreich sahen.
Quelle: kathpress