Glettler in Sorge über "wachsende seelische Obdachlosigkeit"
Über eine "wachsende seelische Obdachlosigkeit" inmitten einer "ungeduldigen Wohlstandsgesellschaft" macht sich der neue Innsbrucker Bischof Hermann Glettler Sorgen. "Viele sind innerlich nicht mehr zu Hause", sagte Glettler im Interview mit "Die ganze Woche" (aktuelle Ausgabe). Gleichzeitig beobachte er bei vielen Menschen eine Sehnsucht nach dem Heiligen, "meist sogar eine Sehnsucht nach Gott", auf die das "Kind von Bethlehem" Antwort gebe. "Bei ihm darf jeder Mensch ankommen und einfach da sein. Gott umarmt jeden ganz persönlich, das ist die tiefe, wertvolle Erfahrung des Weihnachtsfests."
Spürbar werde diese Sehnsucht etwa an den großen kirchlichen Festtagen, an denen die Kirche eine steigende Anzahl von Gottesdienstbesuchern verzeichne. Für hilfreich hielt Glettler das dazu gehörende Brauchtum als "Handlungsanleitung" für "ganz besondere Zeiten und Anlässe". Bedenklich werde es allerdings dann, "wenn der persönliche Glaubensbezug fehlt". Wird etwa zu Weihnachten nicht mehr sichtbar, dass es um die Geburt Jesu geht, "ist auch das schönste Brauchtum bloß ein äußerlicher Aufputz".
Den 24. Dezember beginnt Glettler am Vormittag in der Benediktinerabtei Fiecht, am Nachmittag besucht er verschiedene Sozialeinrichtungen in der Landeshauptstadt. Er wolle gerade an diesem Tag jenen Aufmerksamkeit schenken, die es im Leben schwer haben und kein idyllisches Fest erleben, betonte Glettler, und ermutigte dazu, sich persönlich für Notleidende zu engagieren, um die Welt eine "Spur gerechter" zu machen. Den Heiligen Abend feiert der Bischof im kleinen Kreis im Bischofshaus, die Christmette zelebriert er traditionell in einer Dorfkirche in der Diözese, dieses Jahr im Stubai.
Das Ansteigen des muslimischen Anteils in der Gesellschaft sehe er auch als eine Chance, erklärte Glettler auf eine entsprechende Journalistenfrage. So fordere die Vielfalt der Religionslandschaft dazu heraus, den eigenen Glauben neu zu entdecken. Das decke sich mit eigenen Erfahrungen, etwa mit Exkursionen ganzer Schulklassen in Kirchen und in Moscheen, die die "besten Lerneffekte" gebracht hätten.
In der Diskussion um die Übersetzung des Vaterunsers hielt es Glettler wie der Papst: Der Satz "Und führe uns nicht in Versuchung" sei tatsächlich irreführend, "als ob Gott jemand wäre, der uns in solche Extremsituationen führt", befand er. Die Formulierung "Führe uns in der Versuchung" sei deshalb angemessener. "Eine Änderung dieser Passage könnte den Sinn des Gebets vertiefen."
Quelle: kathpress