"Ehe für alle": Kritik am VfGH-Entscheid von katholischer Seite
Kritik am Verfassungsgerichtshof nach dessen Urteil für die "Ehe für alle" ist am Mittwoch von verschiedenen Seiten gekommen. So ortete beispielsweise die Katholische Aktion Österreich (KAÖ) die Tendenz beim heimischen Höchstgericht, "selbst Gesellschaftspolitik zu betreiben", statt Gesetze auf ihre Verfassungsgemäßheit zu überprüfen. Der Katholische Familienverband Österreichs (KFÖ) kritisierte u.a., dass die Höchstrichter bei ihrer Entscheidung das Wesen der Ehe - die Offenheit für gemeinsame Kinder - völlig negiert hätten.
Der VfGH hat mit seinem am Dienstag veröffentlichte Erkenntnis seine bisherige Rechtsprechung zum Eherecht grundlegend geändert. Demnach sehen die Höchstrichter in der Unterscheidung zwischen Ehe und eingetragener Partnerschaft eine verfassungswidrige Verletzung des Diskriminierungsverbots. Gleichzeitig hat der VfGH verfügt, dass die bisher bestehenden unterschiedlichen Regelungen für verschieden- und gleichgeschlechtliche Paare mit Ablauf des 31. Dezember 2018 aufgehoben werden. Somit können auch gleichgeschlechtliche Paare in Österreich künftig heiraten. Gleichzeitig steht dann die eingetragene Partnerschaft auch verschiedengeschlechtlichen Paaren offen.
Das Urteil werfe die Frage auf, welche Rolle dem VfGH im politischen Gefüge in Österreich zukommt bzw. welche Rolle dieser selbst einnehmen wolle, so KAÖ-Präsidentin Gerda Schaffelhofer in einer Aussendung am Mittwoch. Da der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in der bestehenden österreichischen Regelung, zwei unterschiedliche Rechtsformen für verschiedengeschlechtliche und gleichgeschlechtliche Paare vorzusehen, keine Diskriminierung gesehen hat, hätte das Urteil des VfGH auch anders ausfallen können, so Schaffelhofer: "Ich würde die Rolle des VfGH vor allem darin sehen, Gesetze auf ihre Verfassungsgemäßheit zu prüfen." In manchen Entscheiden des Gerichts sehe sie aber eine Tendenz, "selbst Gesellschaftspolitik zu betreiben." Schaffelhofer: "Hier zieht der VfGH meiner Einschätzung nach Kompetenzen an sich, die zuallererst dem Gesetzgeber, sprich dem Parlament zustehen."
Diese Vorgehensweise werde auch von manchen Parteien - wenn auch nicht offen - indirekt gutgeheißen, denn die Entscheidung über gesellschaftlich heikle und strittige Fragen könne man so auf den VfGH abschieben, ohne durch ein klare gesellschaftspolitische Positionierung mögliche Wählerschichten vergrämen zu müssen.
Wenn also der VfGH glaubt, auch gesellschaftspolitische Akzente setzen zu müssen, dann wäre es wünschenswert und längst überfällig, so die KAÖ-Präsidentin, dass sich der VfGH der Rechte von Behinderten in Österreich annimmt: "Dass die eugenische Inidikation, die eine Abtreibung behinderter Kinder bis kurz vor der Geburt erlaubt, vom VfGH bisher nicht beeinsprucht wurde, ist ein Skandal." Hier wäre der Verfassungsgerichtshof längst gefordert.
Auch die Einforderung der Einhaltung der Kinderrechte wäre ein reiches Betätigungsfeld. Schaffelhofer: "Der Forderung nach einem zentralen Register für Samen- und Eizellenspenden ist der Gesetzgeber bis heute nicht nachgekommen, womit Kindern das Recht verweigert wird, ihre Eltern zu kennen. Dass der VfGH zu solchen eklatanten Diskriminierungen und Verweigerungen von Rechten schweigt, zeigt die politische Handschrift des VfGH."
Innerkirchlich sah die Präsidentin der Katholischen Aktion nach dem VfGH-Entscheid zur "Ehe für alle" die Kirche gefordert, "die Bedeutung und den Wert der sakramentalen Ehe ins Zentrum zu rücken und deutlich zu machen". Wenn man sich die Reaktionen auf den VfGH-Entscheid ansieht, werde deutlich, dass offenbar auch viele Katholiken die kirchliche Auffassung vom Wesen der Ehe als Verbindung zwischen Mann und Frau mit der prinzipiellen Möglichkeit, gemeinsame Kinder zu zeugen, nicht mehr uneingeschränkt teilten, so Schaffelhofer.
Trendl: "Erkenntnis für mich nicht nachvollziehbar"
"Ich nehme die Entscheidung zur Kenntnis, gestehe aber, dass ich hier skeptisch bin", kommentierte Alfred Trendl, Präsident des Katholischen Familienverbandes, das aktuellen Erkenntnis des VfGH. Für Trendl ist es keine Frage, dass jede Art von Diskriminierung abzulehnen sei. Er bedauerte aber in einer Stellungnahme am Mittwoch, dass der VfGH mit keinem Wort erwähnt, dass der wesentliche Unterschied zwischen Ehe und eingetragener Partnerschaft in der Möglichkeit bestehe, gemeinsame Kinder zu zeugen. Trendl: "Für mich als Präsident des Katholischen Familienverbandes ist das keine Nebensache. Ich halte das für grundlegend. Die herausgehobene Stellung der Ehe ist nicht durch die sexuelle Orientierung gegeben, sondern durch die Offenheit für gemeinsame Kinder."
Das Wesen der Ehe so zu begründen, scheine für den Verfassungsgerichtshof so unwichtig, dass dieser Unterschied nicht einmal erwähnt wird, kritisierte der KFÖ-Präsident. Nachsatz: "Insofern ist das Erkenntnis für mich nicht nachvollziehbar."
Trendl verwies zugleich auf den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, der diesen Unterschied als so wichtig erachtet, dass er zwei Rechtsinstitute - wie derzeit in Österreich - zulässt und klar sagt, dass es sich dabei um keine Diskriminierung handelt. Der KFÖ-Präsident bedauerte, "dass sich der VfGH dazu völlig verschweigt".
Die Entscheidung des VfGH wäre für den Präsidenten des Familienverbandes dann nachvollziehbar, wenn die Richter Diskriminierung im Alltag vermuten und diese vermeiden wollten. "Wenn der VfGH aber konzediert, dass diese beiden Rechtsinstitute zu einer 'weitgehend rechtlichen Gleichstellung' geführt haben, scheint das nicht der Fall zu sein", so Trendl. Der Gesetzgeber habe seine Arbeit gemacht, um Diskriminierung zu vermeiden. Für Trendl begibt sich der VfGH mit diesem Erkenntnis in die Rolle des Gesetzgebers, weil er dem klaren Wunsch des Nationalrats - zwei Institute für diesen Unterschied einzurichten - widerspricht.
Dass laut Erkenntnis die "Bundesregierung keine Stellungnahme abgegeben hat" ist für den Präsidenten des Familienverbandes angesichts der aktuellen politischen Situation nicht überraschend. "Interessant wäre vielmehr, ob sich auch das zuständige Ressort, das Justizministerium, verschwiegen hat. Wenn nicht, wäre eine Veröffentlichung interessant", so Trendl.
Einsatz für Kinderrechte
Er erwarte nun vom VfGH, dass er sich mit der gleichen Intensität um die Rechte der Kinder kümmert und darauf achtet, dass das nach UN- Kinderrechtskonvention bestehende Recht des Kindes, seine Eltern zu kennen und von ihnen betreut zu werden, auch umgesetzt wird. Nachholbedarf bestünde hier beispielsweise beim Fortpflanzungsmedizingesetz.
Der Präsident des Familienverbandes machte darauf aufmerksam, dass es nach wie vor kein zentrales Register für Samenspender und Eizellenspenderinnen gibt. Damit sei es Kindern, die mittels Eizellen- oder Samenspende gezeugt wurden, nicht möglich, ihre biologischen Eltern zu kennen.
Deutliche Schönborn-Kritik
Kardinal Christoph Schönborn hatte schon am Dienstag mit ungewöhnlich deutlicher Kritik auf die Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs zur Ehe reagiert: "Es ist beunruhigend, dass sogar die Verfassungsrichter den Blick verloren haben für die besondere Natur der Ehe als Verbindung von Mann und Frau. Sie ist wie keine andere Beziehung geeignet, Kinder hervorzubringen, zu hüten und aufzuziehen und damit die Generationenfolge zu sichern", so der Vorsitzende der Bischofskonferenz in einer Stellungnahme gegenüber Kathpress. "Wenn der VfGH die Einzigartigkeit und damit die juristische Sonderstellung der Ehe verneint, die auf der Unterschiedlichkeit der Geschlechter aufbaut, verneint er die Wirklichkeit", sagte der Kardinal und hielt in Richtung Höchstgericht fest: "Er tut damit der Gesellschaft keinen Dienst und schadet letzten Endes allen - auch denen, die er schützen möchte und die es auch zu schützen gilt."
Zustimmung von evangelischer Kirche
Anders als in der katholischen Kirche wird die Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs für die "Ehe für alle" in der evangelischen Kirche begrüßt. "Für die Evangelische Kirche sind Vertrauen, Verlässlichkeit und die Übernahme von Verantwortung in der Gestaltung menschlicher Beziehungen von zentraler Bedeutung", hielt der lutherische Bischof Michael Bünker am Mittwoch in einer Stellungnahme gegenüber dem Evangelischen Pressedienst fest. Aus Sicht der Evangelischen Kirche biete die Ehe dafür beste Voraussetzungen und sei deshalb "ein Zukunftsmodell".
Die Ehe bilde den rechtlichen Rahmen für ein Zusammenleben von zwei Menschen, das auf lebenslanger Treue beruhe. Für Martin Luther - "und im Jahr des Reformationsjubiläums soll daran erinnert werden" - sei die Ehe "ein weltlich Ding", erklärte der Bischof.
Dass auch für gleichgeschlechtlich liebende Menschen, die den Wunsch nach einer lebenslang verbindlichen Partnerschaft haben, der rechtliche Raum nun vollständig geöffnet wird, "in dem Vertrauen, Verlässlichkeit und Verantwortung durch gesetzliche Regelungen geschützt und unterstützt werden, ist aus meiner Sicht zu begrüßen", so der Bischof. Es gehe um die rechtliche Gleichbehandlung und die Überwindung von allem, was Menschen diskriminieren könne.
Die Bedeutung der Ehe zwischen Mann und Frau, die für den christlichen Glauben hoch einzuschätzen ist, werde dadurch keineswegs geschmälert. Bünker: "Im Gegenteil - sie wird noch einmal unterstrichen."
Quelle: kathpress