Glettler: Identität wächst durch Interesse am anderen
Der künftige Innsbrucker Bischof Hermann Glettler geht zwar "nicht leicht" weg aus Graz, kann aber mit der Tiroler Mentalität "gut umgehen". "Das Kernige, Gerade in Tirol gefällt mir gut", sagte Glettler bei einem "Jour fixe"-Gespräch des Verbands katholischer Publizist(inn)en in Wien am Mittwoch - gleichzeitig 250. Geburtstag von Andreas Hofer. Glettler, der aus dem steirischen Übelbach stammt und Pfarrer in Graz-St.Andrä war, wird am Samstag, 2. Dezember, in der Innsbrucker Olympiahalle zum Bischof geweiht. Mehr als 7.000 Gläubige werden erwartet, viele davon aus der Steiermark.
Glettler hat als Nichttiroler, der Bischof in Tirol wird, auch Grundsätzliches zum Thema "Identität" zu sagen: "Wenn sich Identität nur in Abgrenzung ausdrückt, ist sie eine schwache Identität. Da würde bei mir gelten: Ich bin Nicht-Tiroler. Identität wächst aber auch durch Interesse an anderen. Wir wurden durch Befruchtungen zu Österreichern, einem Mix aus Einflüssen. Identität ist immer im Wachsen und braucht Dialog. Identität entsteht durch Hingabe: Sich zur Verfügung stellen für andere."
In Blick auf Migranten und Flüchtlinge - für viele eben "die anderen" - sei Aufgabe der Kirche, "möglichst vermittelnd zu sein. Die Gesellschaft verstehen, wenn sie Angst hat. Aber versuchen, Ängste zu relativieren."
Muslime nicht unter Druck setzen
Auch beim Thema Islam will Glettler, dass nicht "Extremismus" der primäre Blickwinkel sei. Er habe gewisse Erfahrungen aus seiner "multikurellen" Pfarre Graz-St. Andrä. Tatsache sei sicher, dass es auch in Österreich salafistische Muslime gebe, mit denen kein Dialog möglich sei. "Vor denen fürchte ich mich auch", sagte der neue Bischof: "Aber das ist eine Minderheit".
Er halte es für wichtig, den Muslimen "möglichst freundlich zu begegnen". Als Christen "sollen wir ihnen den Zwang nehmen, dass sie sich ständig für die Ausübung ihre Religion rechtfertigen müssen". Es müsse auch die Möglichkeit für Sakralräume, "auch für Minarette", geben, so Glettler mit Blick auf das Minarett im Tiroler Telfs. Diese Einstellung nehme den Muslimen "diesen Stress, der auch zu Radikalisierung führt". Sie könnten dann differenzieren im Sinne von "Das kann ich leben, das nicht".
Bischof soll "hörend und verwundbar" bleiben
Der künftige Bischof berichtete von persönlichen Erfahrungen, die ihn geprägt hätten. So habe er während eines Ferialpraktikums bei den Mutter-Teresa-Schwestern in der New Yorker Bronx viele Begegnungen mit Drogensüchtigen gehabt; der Platz vor dem Haus sei ein Fixer- und Dealertreff gewesen. Er sei sich bewusst, dass er auch für diese Menschen und andere am Rand der Gesellschaft Stehende Bischof sein wird - "ja, für wen ist man sonst Bischof?", so seine Antwort.
Er wolle als Bischof "hörend und verwundbar" bleiben, und er werde sich bemühen, "normal zu bleiben", betonte Glettler. Sein Vorbild für die Begegnung mit Menschen sei der 2010 verstorbene Hernalser Pfarrer Johann Koller. Er habe ihn als Gymnasiast kennengelernt. Das Beeindruckende an ihm sei die Art gewesen, "wie er über Menschen sprechen konnte, die gefallen sind und die sich dann aufrichten konnten".
Für Glettler ist auch "Heiliges Land Tirol" ein Begriff, den er in diesem Sinn interpretieren will: "Heilig sind wir ja nicht durch unser moralisches Verhalten, sondern indem wir andocken an das Heilige. So wie der Zöllner Zachäus im Evangelium."
Auf alle Fälle werde es auch in seiner künftigen Diözese um "Mission" in seiner Doppelbedeutung gehen - einerseits Evangelisation, andererseits Caritas. "Mission ist immer beides, aber dennoch 'One mission', sie hat zwei Lungenflügel, aber einen Herzschlag", so Glettler. Das sei auch das Prinzip für Strukturreformen, die unvermeidlich seien.
Frauendiakonat wünschenswert
Positiv steht der künftige Bischof der Zulassung des Diakonats der Frau gegenüber und sagte: "Das würde mich freuen." Allerdings halte er eine vorhergehende Abklärung über das spezifische Wesen dieser Weihe über die Einsatzorte, "die künftigen Orte und Felder der Verkündigung", für unumgänglich.
Gleichzeitig betonte Glettler das gemeinsame Priestertum aller Gläubigen durch die Taufe. Mehr als bisher sollten Gläubige kraft der Taufe wichtige Aufgaben in der Kirche übernehmen. Im Blick auf den Priestermangel schwebt Glettler daher eine stärkere Komplementarität von Laiendienst und Priesterdienst in den Pfarren vor. "Wir müssen die Gemeinden aufwecken. Man fragt viel zu viel: Was macht der Pfarrer? Was lässt er zu?"
Offenheit zeigte der künftige Innsbrucker Bischof bei der Frage nach der Zulassung bereits verheirateter Männer zum Priesteramt ("Viri probati"). "Ich bin nicht der Andreas Hofer des Kirchenvolksbegehrens", so Glettler in Anspielung auf den vor 250 Jahren auf den Tag genau geborenen Tiroler Freiheitskämpfer, aber es gelte bei dem Thema "theologisch beweglich zu bleiben".
Im Blick auf den Sakramentenempfang von Wiederverheirateten Geschiedenen erinnerte Glettler an die Leitlinie des Papstschreibens "Amoris laetitia" von 2016 - "begleiten, unterscheiden, integrieren". Sehr konkret seien diesbezüglich auch die schon vor der Synode 2014/15 zusammengestellten "5 Aufmerksamkeiten" der Erzdiözese Wien. Der neue Bischof plädiert auf dieser Linie für eine vorsichtige Öffnung, hält aber auch eine Entscheidung für den Verzicht auf die Kommunion, die aus Solidarität mit anderen Betroffenen erfolgt, für richtig. "Nicht nachvollziehbar" ist für ihn die Kritik am Papstdokument durch die sogenannten "Dubia-Kardinäle". Ihre Argumente bestünden im Grunde aus "Spitzfindigkeiten" und ließen den Bezug zur Lebensrealität vermissen.
Wichtige politische Anliegen für den in einer Wochen ins Amt kommenden Bischof sind eine stärkere Solidarität mit den Schwachen und vom Sozialstaat Mitgetragenen - auch den Mindestsicherungsbeziehern - und Europa. Die Mindestsicherungsbezieher bräuchten gleichzeitig mehr Anreize, wieder ins Berufsleben zu kommen. Europa dürfe nicht fragmentiert werden, sondern müsse gestärkt werden, so Glettler, der nationalistischen Tendenzen eine klare Absage erteilte.
Zur modernen Kunst, die er als Pfarrer gefördert hat, sagte Glettler, er halte die Bereiche Glaube und Kunst auseinander. "Ich habe immer betont: Nicht vereinnahmen." Ein modernes Kunstwerk in einem Sakralraum dürfe für sich sprechen und brauche nicht gleich eine religiöse Interpretation. Aber: "Gute Kunst ist immer auch belastbar für eine spirituelle 'Lesung'".
Quelle: kathpress