Fünf Fragen und Antworten zum Heiligen Martin
Wofür steht der heilige Martin?
In Europa bräuchte es heute mehr von seinem Schlag: Die Not der anderen ging dem römischen Soldaten Martin über seine eigene Karriere. Buchstäblich grenzüberschreitend war er und hatte den klaren Blick für den Nächsten. Ein Christ, der im entscheidenden Moment seines Lebens barmherzig war und «an die Ränder» ging. Der heilige Martin steht für Frieden und Solidarität, für mehr Aufmerksamkeit gegenüber Randgruppen. Er ist Patron der Bettler, der Geächteten und der Kriegsdienstverweigerer.
Wofür steht der Martinstag (11. November) im Jahreskalender?
Der Martinstag war traditioneller Pacht- und Zahltag; es wurde geschlachtet und viel in Naturalien gezahlt. Gänse und frische Wurst waren im Umlauf - ein Grund, warum Landarbeiter und Kinder am Ende des bäuerlichen Wirtschaftsjahres um die Häuser zogen, sangen und mit Naturalien belohnt wurden. Nach dem Martinstag begann die 40-tägige Fastenzeit vor Weihnachten («Martinsquadragese»). Also wurde noch mal ordentlich hingelangt - wie noch heute an den Tagen vor Aschermittwoch. Und das, obwohl Martin selbst, der frühere Mönch und Bischof, ein ausgemachter Asket war. In Frankreich gibt es sogar die Bezeichnung «Martinsschmerzen» («mal de Saint-Martin») für Kater und Bauchweh nach dem Gelage.
Was haben die protestantischen Preußen mit dem heiligen Martin zu tun?
Der Martinsabend mit seinen Martinsfeuern war ein ausgelassenes Fest. Entsprechend sorglos-undiszipliniert konnte die Dorfjugend agieren - erst recht, wenn sie sich nicht ausreichend bedacht fühlte. Zum Ende des 19. Jahrhunderts wünschten sich die Preußen in den Rheinlanden mehr «Zucht und Ordnung» - und so wurde das Brauchtum des Holens und Sich-Organisierens kanalisiert in eines des Gebens und Zuteilens. Ein reitender Sankt Martin - eine fromme Autoritätsperson also - ging einem «ordentlichen» Fackelzug voran. An einem zentralen Feuer (statt vieler kleiner, unbeaufsichtigter) verteilte Martin an alle Kinder Süßigkeiten: einen Weckmann und/oder eine Martinstüte. Bis heute ist in manchen Regionen das «Singen», «Heischen», «Gripschen» oder «Kötten» von Tür zu Tür verpönt - während es anderswo fest zum Martinsbrauchtum dazugehört.
Was ist aus dem halben Mantel geworden?
Als Martin seinen Mantel mit dem Bettler teilte und damit Militäreigentum beschädigte, beging er eine Straftat, auch wenn damals nominell die Hälfte dem römischen Staat und die andere dem Soldaten selbst gehörte. Heute gilt der halbe Mantel als ein Zeichen christlicher Barmherzigkeit. Im Mittelalter jedoch wurde er von den Franken als Glücksbringer mit in die Schlacht geführt. Dort verlieren sich seine Spuren.
Im spätantiken Latein hieß der mantelartige Umhang «cappa». Die Cappa des heiligen Martin war eine der bedeutendsten Reliquien des Reiches. Zu seiner Bewachung wurden eigens Geistliche abgestellt, sogenannte Kapellane. Sie betreuten auch die jeweilige «Kapelle», also jene Gotteshäuser, in denen die Cappa aufbewahrt wurde. Bis heute ist der «Kaplan» ein Geistlicher für besondere Aufgaben, die «Kapelle» ein Gotteshaus ohne unmittelbare Zuweisung für die Pfarrseelsorge. Oder aber eine Gruppe von Musikanten, die ursprünglich wohl für die liturgische Gestaltung von Gottesdiensten an der «Cappa» zuständig waren.
Warum ist in Frankreich das Martinsbrauchtum fast völlig vergessen?
In Frankreich, wo Martin als Bischof von Tours wirkte, kennt kaum einer mehr seine Legenden und Geschichten. Ein wichtiger Grund dafür ist, dass der Oberkommandierende der Westalliierten im Ersten Weltkrieg, der fromme Marschall Ferdinand Foch, das Datum der deutschen Kapitulation auf den 11. November 1918 legte, den Martinstag. Kurz zuvor hatte Foch noch in einer Martinskirche für den Sieg gebetet. Für das Bewusstsein um den heiligen Martin war das ungewollt ein Bärendienst. Denn bis heute ist der 11. November in Frankreich zwar ein Feiertag - aber als staatlicher «Tag des Waffenstillstands», an dem der Veteranen gedacht wurde und nicht des heiligen Bischofs aus der Antike.